Wahlschlappe für den Präsidenten
Ukraine. Selenskijs Partei der „Volksdiener“landete bei den Lokalwahlen weit abgeschlagen. In der Hauptstadt Kiew bleibt der Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko weiter Bürgermeister.
Warschau. Trotz administrativer Tricks haben sich die Lokalwahlen in der Ukraine als eine schwere Niederlage für die Präsidentenpartei der „Volksdiener“herausgestellt. Staatspräsident Wolodymyr Selenskij betonte in einer ersten Stellungnahme vor allem den demokratischen Ablauf, auf das Abschneiden seiner eigenen Formation ging er nicht ein.
In Vertrauensumfragen ist der im Mai 2019 noch mit 73 Prozent gewählte Ex-Komiker inzwischen auf unter 50 Prozent abgerutscht. Zwei von drei Ukrainern sind der Ansicht, das Land bewege sich heute in die falsche Richtung. Selenskij ist es bisher weder gelungen, die grassierende Korruption einzudämmen, noch den Krieg im Donbas zu beenden. Auch die Justizreform harrt weiter einer Umsetzung. Dies führte dazu, dass bei den Lokalwahlen selbst ein verurteilter Mörder zum Bürgermeister gewählt werden konnte.
Noch waren am Dienstag außerhalb der Hauptstadt Kiew nicht alle Stimmen ausgezählt. Doch es war klar: Die Resultate der Volksdiener in der wichtigen Hauptstadtregion sind alles andere als gut. So ist es dem oppositionellen Ex-Boxer Vitali Klitschko bereits in der ersten Runde gelungen, als Bürgermeister der Hauptstadt wiedergewählt zu werden. Nach Auszählung von 99,5 Prozent der Stimmen kommt Klitschko auf 50,6 Prozent. Am Wochenende wurde gemeldet, dass sich Klitschko mit Covid-19 infiziert habe.
Resistente Lokalbarone
Nicht viel besser ging es der Selenskij-Partei im Kiewer Stadtrat sowie dem Gebietsparlament. In beiden siegte die oppositionelle Partei Europäische Solidarität des 2019 abgewählten Staatspräsidenten Petro Poroschenko mit je rund 20 Prozent.
Beide Lokalverwaltungseinheiten haben künftig mehr Gewicht als in der Vergangenheit. Denn eine von der EU geforderte Verwaltungsreform soll zu einer Dezentralisierung der Ukraine führen. Viele Gemeinden werden fusioniert. Die neuen Einheiten können mehr Steuergelder selbst behalten, anstatt sie wie bisher an die Zentralregierung abzugeben.
Selenskij hatte geplant, durch vorgezogene Lokalwahlen nach den im Sommer 2019 haushoch gewonnenen Parlamentswahlen auch in den Regionen die Macht für seine Volksdiener zu zementieren. Doch die alteingesessenen Lokalbarone zeigen sich stärker als die erfolgsverwöhnte Präsidentenpartei. So hat in der zweitgrößten Stadt Charkiw der bisherige Bürgermeister, Gennady Kernes, ein früherer prorussischer Wendehals, bereits in der ersten Runde gewonnen. In Odessa, Dnipro (früher: Dnepropetrowsk) und Lwiw dürften in der zweiten Runde ebenfalls die bisherigen Bürgermeister gewinnen.
Ein kurzfristig anberaumtes Konsultativreferendum des Staatspräsidenten sollte die Position der Volksdiener verbessern. Den rund 28 Millionen Wahlberechtigten wurden fünf Fragen gestellt. Großer Zustimmung erfreute sich der Vorschlag, die Zahl der nationalen Abgeordneten von 460 auf 300 zu begrenzen und für besonders schwere Korruptionsfälle eine lebenslängliche Haftstrafe einzuführen. Keine Mehrheit fand Selenskij aber für seine Idee einer Sonderwirtschaftszone im von Kiew kontrollierten Nord-Donbas.
OSZE-Wahlbeobachter lobten die Lokalwahlen als „gut organisiert und transparent“. Die Wahlbeobachter bemängelten jedoch Fälle von Stimmenkauf und den Einsatz der Administration für den Wahlkampf. Den Volksdienern hat die Rückendeckung der Behörden indes nicht zum Durchbruch auf lokaler Ebene verholfen, wie die Resultate zeigen. „Die Wähler haben uns den Stinkefinger gezeigt“, kommentierte gestern Alexander Dubenski von den Volkdienern schonungslos. Die zweite Runde der Bürgermeisterwahlen in mehr als 100 Städten findet am 15. November statt.