Die Presse

„Shopping“in Wien: Schlag nach bei Ludwig Hirschfeld!

Alles verguccit und verfendit? Ein Reiseführe­r aus den 1920ern und Wiener Einkaufsme­ilen heute.

- VON WOLFGANG FREITAG E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

Es war einmal. So fangen gängiger Vorstellun­g nach Märchen an (wenngleich eine Nachschau bei den Brüdern Grimm ziemlich viele alternativ­e Märchenanf­änge zutage fördert). Es war einmal, heißt es auch oft, wenn die Rede auf Wiens Edeleinkau­fsquartier­e kommt, also namentlich die der Innenstadt: Es war einmal eine Geschäftss­zenerie, die nicht so bald einer anderen glich – damals, in den lang vergangene­n Tagen, da der lokale Fachhandel noch das Stadtbild dominierte und die Kärntner Straße nicht verpeek&cloppenbur­gt, der Kohlmarkt nicht verfendit und verguccit war. So weit, so bekannt die Klage.

Wer nicht glauben will, muss lesen. Etwa Ludwig Hirschfeld­s Wien-Reiseführe­r, verfasst vor fast 100 Jahren für die Reihe „Was nicht im Baedeker steht“und dieser Tage im Milena-Verlag wieder aufgelegt. Was sich da im ziemlich ausführlic­hen Kapitel „Shopping“(ja, so nannte man das schon damals) findet, klingt aufs Erste wie ein Spaziergan­g durch eine versunkene Welt: Von einem Modesalon am Kärntner Ring namens Maison Spitzer ist die Rede und von Damenwäsch­e bei Riedel & Beutel am Stephanspl­atz, nicht zu vergessen Bücher bei Halm & Goldmann am Opernring.

Anderersei­ts: Manches ist auch zu entdecken, was bis heute überdauert hat. Ittner Mode residiert noch immer in der Spiegelgas­se, der Juwelier Köchert am Neuen Markt, Knizeˇ am Graben sowieso, und von Braun & Co. ein paar Häuser weiter ist wenigstens Fassade samt Interieur geblieben. Also eh alles paletti? Das keineswegs. Doch sollten wir bei all dem berechtigt­en Bedauern ob der zunehmende­n Austauschb­arkeit unserer Einkaufsme­ilen nicht vergessen, was so brutal und nachhaltig wie nichts anderes die heimische Geschäftsw­elt niederzwan­g: Mord und Vertreibun­g nach dem „Anschluss“, verantwort­et von Wienern an Wienern.

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[ wf ] Nur mehr Fassade: Braun & Co. am Graben.
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