„Shopping“in Wien: Schlag nach bei Ludwig Hirschfeld!
Alles verguccit und verfendit? Ein Reiseführer aus den 1920ern und Wiener Einkaufsmeilen heute.
Es war einmal. So fangen gängiger Vorstellung nach Märchen an (wenngleich eine Nachschau bei den Brüdern Grimm ziemlich viele alternative Märchenanfänge zutage fördert). Es war einmal, heißt es auch oft, wenn die Rede auf Wiens Edeleinkaufsquartiere kommt, also namentlich die der Innenstadt: Es war einmal eine Geschäftsszenerie, die nicht so bald einer anderen glich – damals, in den lang vergangenen Tagen, da der lokale Fachhandel noch das Stadtbild dominierte und die Kärntner Straße nicht verpeek&cloppenburgt, der Kohlmarkt nicht verfendit und verguccit war. So weit, so bekannt die Klage.
Wer nicht glauben will, muss lesen. Etwa Ludwig Hirschfelds Wien-Reiseführer, verfasst vor fast 100 Jahren für die Reihe „Was nicht im Baedeker steht“und dieser Tage im Milena-Verlag wieder aufgelegt. Was sich da im ziemlich ausführlichen Kapitel „Shopping“(ja, so nannte man das schon damals) findet, klingt aufs Erste wie ein Spaziergang durch eine versunkene Welt: Von einem Modesalon am Kärntner Ring namens Maison Spitzer ist die Rede und von Damenwäsche bei Riedel & Beutel am Stephansplatz, nicht zu vergessen Bücher bei Halm & Goldmann am Opernring.
Andererseits: Manches ist auch zu entdecken, was bis heute überdauert hat. Ittner Mode residiert noch immer in der Spiegelgasse, der Juwelier Köchert am Neuen Markt, Knizeˇ am Graben sowieso, und von Braun & Co. ein paar Häuser weiter ist wenigstens Fassade samt Interieur geblieben. Also eh alles paletti? Das keineswegs. Doch sollten wir bei all dem berechtigten Bedauern ob der zunehmenden Austauschbarkeit unserer Einkaufsmeilen nicht vergessen, was so brutal und nachhaltig wie nichts anderes die heimische Geschäftswelt niederzwang: Mord und Vertreibung nach dem „Anschluss“, verantwortet von Wienern an Wienern.