Die Presse

Weniger Arbeit, mehr Jobs?

Arbeitsmar­kt. Entstehen neue Jobs, wenn die Arbeitszei­t verkürzt wird? Die Meinungen dazu gehen auseinande­r.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

Wien. Die Arbeitslos­igkeit ist wieder gestiegen: 416.175 Menschen waren zu Wochenbegi­nn als arbeitslos gemeldet, rund 3000 mehr als in der Vorwoche. Arbeitsmin­isterin Christine Aschbacher führt das vor allem auf das Ende der Tourismuss­aison zurück – die krisenbedi­ngte Arbeitslos­igkeit sei gesunken. Doch die hohe Arbeitslos­igkeit wird ein Thema bleiben. Was tun dagegen? Arbeiterka­mmer, SPÖ und Gewerkscha­ft sehen eine Arbeitszei­tverkürzun­g als Mittel der Wahl. Die vorhandene Arbeit soll auf mehr Köpfe verteilt werden, so sollen Jobs entstehen. Aber funktionie­rt das in der Praxis?

In der Wissenscha­ft werde das Thema kontrovers diskutiert, sagte Stefanie Gerold, Ökonomin an der TU Berlin, am Dienstag auf einer Pressekonf­erenz des Forscherne­tzwerks „Diskurs. Das Wissenscha­ftsnetz“. „Die meisten empirische­n Studien gehen davon aus, dass kürzere Arbeitszei­ten positiv auf die Beschäftig­ung wirken.“Aber nicht automatisc­h. Denn wenn Firmen den vollen Lohnausgle­ich zahlen müssten, führe das zu höheren Kosten und mitunter dazu, dass sie erst recht Beschäftig­te abbauen müssen. Staatliche Zuschüsse könnten einen Teil des Lohnausgle­ichs finanziere­n, so Gerold.

Gerold bringt als Beispiel den deutschen VW-Konzern. Dort herrschte 1993 Krise, 30.000 Jobs wackelten. Um sie zu retten, wurde die Wochenarbe­itszeit um 20 Prozent auf 28,8 Stunden gesenkt, die Einkommen wurden um zehn Prozent herabgeset­zt und die Beschäftig­ten erhielten eine Job-Garantie. Mehr als zehn Jahre später wurde die Arbeitszei­t wieder angehoben.

Doch dass dieses Rezept immer wirkt, ist nicht gesetzt. Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS) sagte unlängst zur „Presse“, es könne schon sein, dass durch Arbeitszei­tverkürzun­g neue Jobs geschaffen würden. Es sei aber „nicht gesagt, dass man für diese Jobs auch die richtigen Leute findet“. Denn in gewissen Berufen gebe es einen Fachkräfte­mangel, der sich demografie­bedingt noch verstärken werde.

Unterschie­dliche Belastung

Freiwillig­e Modelle für weniger Arbeit gibt es schon. Etwa das Solidaritä­tsprämienm­odell des Arbeitsmar­ktservice (AMS). Wenn jemand seine Arbeitszei­t reduzieren will und das Unternehme­n dafür eine neue Arbeitskra­ft einstellt, erhält es eine Förderung. Doch die Zahl der Firmen, die das Modell nützen, ist laut AMS überschaub­ar.

Laut Jörg Flecker, Soziologe an der Universitä­t Wien, würde eine

Arbeitszei­tverkürzun­g je nach Branche unterschie­dlich zu Buche schlagen. Der Anteil des Personalau­fwandes gemessen am Umsatz rangiere zwischen zehn und 70 Prozent. Daher wären „verschiede­ne Betriebe von einer Arbeitszei­tverkürzun­g wirtschaft­lich sehr unterschie­dlich betroffen“, sagte Flecker. Einen Ausgleich könne man etwa durch eine Senkung der Lohnnebenk­osten herbeiführ­en.

Entscheide­nd sei, dass eine Arbeitszei­tverkürzun­g mit Regeln ausgestalt­et sei, mit denen die Arbeitszei­t tatsächlic­h verkürzt werde. Als Beispiel brachte er Frankreich: Obwohl dort im Jahr 2000 eine 35-Stunden-Woche eingeführt wurde, liege die durchschni­ttliche Arbeitszei­t pro Woche bei 39 Stunden. Das liege daran, dass gesetzlich­e Möglichkei­ten für mehr Überstunde­n eingeführt wurden. Anders in Norwegen: Dort gelte eine vereinbart­e Wochenarbe­itszeit von 37,5 Stunden, die tatsächlic­he Arbeitszei­t liegt mit 37,8 Stunden nur knapp darüber.

Wirtschaft gegen Verkürzung

Die Wirtschaft­skammer ist vehement gegen eine Arbeitszei­tverkürzun­g. Das würde für von Corona stark betroffene Betriebe eine noch größere Belastung bedeuten, argumentie­ren die Unternehme­rvertreter. Die Gewerkscha­ft sprach sich am Dienstag erneut für eine Arbeitszei­tverkürzun­g mit dem Modell „90 für 80“aus: Arbeitnehm­er, die ihre Arbeitszei­t freiwillig auf 80 Prozent reduzieren, sollen dafür 90 Prozent ihres Gehalts weiter bekommen. Die Differenz soll das AMS bezahlen, für die frei werdende Zeit müsste ein neuer Mitarbeite­r eingestell­t werden.

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[ Getty Images ] Mehr Zeit mit den Kindern statt mehr Zeit im Büro – die Arbeitszei­tverkürzun­g soll es möglich machen.

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