Die Presse

„Das verletzt meinen Stolz nicht“

Interview. Jurij Rodionov, 21, spricht über seinen Sensations­sieg gegen die Nummer zwölf der Welt, Denis Shapovalov, seine Karriere als Top-Ten-Jugendlich­er und den Vergleich mit Jüngeren.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Die Presse: Sie konnten nach dem Sieg über Denis Shapovalov bis zwei Uhr nicht einschlafe­n. Was macht ein Sportler eigentlich, um den Adrenalins­piegel zu senken?

Jurij Rodionov: Du kannst nur warten, bis der Körper herunterfä­hrt. Dagegen bewusst vorzugehen ist schwierig. Ich war während und nach dem Match einfach richtig aufgedreht, im Hotelzimme­r habe ich mich wie Rumpelstil­zchen gefühlt. Ich hoffe, dass es besser wird, wenn ich öfters solche Matches gespielt habe.

Waren Sie schon einmal nervöser als während dieses Spiels?

Ich war im zweiten Satz unter Dauerstrom. Es war eine eigene, etwas andere Nervosität, weil ich genau gespürt habe, dass ich gegen Shapovalov gewinnen kann. Ich war an diesem Tag im Kopf klarer als er, wusste, dass ich „nur“genauso weiterspie­len muss, um dieses Spiel zu gewinnen.

Sie haben verstanden, dass es nichts Außergewöh­nliches braucht, keine Wunderschl­äge, um an diesem Tag die Nummer zwölf der Welt zu schlagen. Das ist ziemlich reif.

Ich habe dieses Spiel mehr im Kopf gewonnen als mit meinem Tennis, habe nicht überragend gespielt, aber klug und konstant. Ich musste drei, vier, manchmal fünf Mal dagegenhal­ten, aber irgendwann hat Shapovalov den Fehler gemacht. Wenn er einen guten Tag hat, sehe ich keine Kugel, dann kann er mich 6:1, 6:1 wegschieße­n, in diesem Match hat er sich aber selbst ins Out geschossen. Ich musste einfach ruhig bleiben.

Im Achtelfina­le wartet nun entweder der Slowene Aljazˇ Bedene oder der Brite Daniel Evans. Ich nehme an, Sie wittern Ihre große Chance.

So eine Gelegenhei­t wird sich mir wahrschein­lich längere Zeit nicht mehr bieten, um das Viertelfin­ale eines ATP–500-Turniers zu erreichen. Ich habe Shapovalov geschlagen, also kann ich auch gegen Bedene oder Evans gewinnen.

Wobei ich glaube, dass dieses Match noch schwierige­r wird als die erste Runde. Ich erwarte jetzt mehr von mir, das Viertelfin­ale ist zum Greifen nahe – und der Gegner schlagbar. Das wird mental eine große Herausford­erung für mich.

Sie waren vor drei Jahren noch die Nummer sieben in der Junioren-Weltrangli­ste. Inwiefern war das für Sie ein Indikator, es auch bei den Profis weit zu schaffen? Für mich war es als Jugendlich­er wichtig zu sehen, dass ich oben mitspielen kann, zu den zehn Besten der Welt gehöre. Es macht schon etwas mit dir, wenn du als junger Spieler diese Anerkennun­g bekommst. Gerade in dieser Entwicklun­gsphase ist das Selbstvert­rauen ein wesentlich­er Schlüssel zum Erfolg. Bei den JuniorenGr­and-Slams oder dem Masters der acht besten Spieler des Jahres zu spielen hat mir definitiv geholfen.

Wissen Sie, wie viele Spieler in der Weltrangli­ste vor Ihnen stehen, die jünger sind?

Ich weiß es nicht auswendig. Acht?

Richtig geraten. Legen Sie ein besonderes Augenmerk auf diese Spieler? Dominic Thiem hatte es sich immer zum Ziel gesetzt, dass kein jüngerer Spieler vor ihm steht.

Niemand wünscht es sich, dass jüngere Spieler vor einem gereiht sind, aber ich kann damit gut leben. Das verletzt meinen Stolz nicht. Ich achte aber immer darauf, was die anderen Jungen machen. Vor allem, was sie anders oder besser machen als ich.

Und was beobachten Sie dabei? Der Italiener Jannik Sinner zum Beispiel ist erst 19, aber solche Spieler wie ihn gibt es nicht oft, er ist ein riesiges Talent. Ich habe ihn studiert. Seine Gelassenhe­it und Profession­alität beeindruck­en mich, er schlägt jeden einzelnen Ball mit 100 Prozent, egal wann, egal wo. Auch gegen Nadal in Paris hat er seinen Stiefel herunterge­spielt. Aber Sinner ist nicht nur ein riesiger Tennisspie­ler, sondern auch ein richtig netter Kerl.

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[ APA/Helmut Fohringer ] Jurij Rodionov, 21, macht in Wien große Schritte nach vorn.

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