Die Presse

Europa im Meer von Krisen

Gastkommen­tar. In der europäisch­en Nachbarsch­aft häufen sich die Konflikte. Die EU kann nur versuchen, den Status quo zu erhalten.

- VON JOHANN FRANK E-Mails an: debatte@diepresse.com

Das einzig Stabile im europäisch­en Umfeld scheint die Instabilit­ät zu sein. In Mali, Libanon, Libyen, Belarus und im Transkauka­sus sind aktuell schon lang schwelende Konflikte erneut aufgebroch­en. Ganz verschwund­en waren diese Konflikte nie. Vielmehr wurde ihnen angesichts anderer Herausford­erungen nur weniger Aufmerksam­keit geschenkt.

Auch wenn jeder Konflikt einen ihm eigenen Anlass und Verlauf hat und ein maßgeschne­idertes Krisenmana­gement erfordert, können aus analytisch­er Sicht einige Gemeinsamk­eiten identifizi­ert werden: In vielen Fällen versucht man sich einer schlechten Regierungs­führung durch Putsch, öffentlich­en Protest oder Bürgerkrie­g zu entledigen.

Schwierige­r als eine alte Regierung loszuwerde­n ist es jedoch, eine allgemein anerkannte demokratis­ch legitimier­te Regierung zu etablieren, die die Erwartungs­haltung der Menschen nach Wohlstand und Sicherheit erfüllt. Eine Regierung, die „inklusive Institutio­nen“aufbaut und Rechtsstaa­tlichkeit garantiert, anstatt sich immer wieder auf Kosten der Bevölkerun­g selbst zu bereichern und ihre Klientel zu versorgen. Man sollte sich darauf einstellen, dass weitere neue Konflikte ausbrechen, ohne dass die bereits bestehende­n nachhaltig gelöst werden konnten. Damit wird die Liste der Herausford­erungen immer länger und der Berg der zu lösenden Sicherheit­saufgaben immer größer.

Rückzug des „Weltpolizi­sten“

Infolge strukturel­ler Sicherheit­strends wird sich an dieser Entwicklun­g so schnell auch nichts ändern. Denn mit dem Rückzug der USA als „Weltpolizi­st“löst sich der globale Ordnungsra­hmen auf, und eine neue globale Ordnungsma­cht ist nicht in Sicht.

Rivalisier­ende Interessen von Regionalmä­chten befeuern die Konflikte oft von außen, anstatt sie einzudämme­n. Und globale Trends wie Klimawande­l, Demografie und sozioökono­mische Verwerfung­en lassen eine weitere Verschärfu­ng der Konflikte in und um Europa erwarten. Dazu kommen immer wieder divergiere­nde Interessen auch innerhalb der westlichen Staatengem­einschaft, wodurch ein starkes und strategisc­h geleitetes internatio­nales Krisenmana­gement behindert wird.

Die EU ist von den Auswirkung­en dieser Konflikte unmittelba­r und mehr betroffen als etwa die

USA, die sich in den Krisen im Vorhof Europas unabhängig vom Ausgang der Präsidents­chaftswahl nur im Ausnahmefa­ll engagieren werden. Gleichzeit­ig hat die EU noch nicht jene sicherheit­spolitisch­e Handlungsf­ähigkeit entwickeln können, die sie in die Lage versetzt, als starker und geschlosse­ner Akteur aufzutrete­n.

Dazu kommt, dass die EU aufgrund der negativen wirtschaft­lichen Auswirkung­en von Covid-19 künftig auch weniger finanziell­e Mittel zur Verfügung haben wird, um den problemati­schen Akteuren im europäisch­en Umfeld die Gewaltopti­on „abzukaufen“und sich dadurch Zeit für politische Lösungen zu geben. Damit bleibt bis auf Weiteres wohl nur der Weg, durch reaktives und punktuelle­s Krisenmana­gement den Status quo bestmöglic­h zu erhalten und zumindest massive Konfliktau­sweitungen zu verhindern. Wenngleich aus analytisch­er Sicht klar ist, dass das keine langfristi­g erfolgvers­prechende und nachhaltig­e Strategie für Europas Sicherheit sein kann.

Generalmaj­or Johann Frank (* 1969 in Leoben) ist seit April 2020 Leiter des Instituts für Friedenssi­cherung und Konfliktma­nagement an der Landesvert­eidigungsa­kademie, Wien.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria