Rot-pinke Freude, grünblaues Leiden
Koalitionsgespräche. Die rot-pinken Verhandlungsteams erarbeiten gerade den Zeitplan für die Koalitionsverhandlungen. Parallel dazu hat die wahrscheinliche neue Regierungsform massive Auswirkungen auf die politische Landschaft in Wien.
Wie sich die politische Landschaft in Wien gerade verändert.
Wien. Die Verhandlungen über die erste rot-pinke Koalition auf Landesebene haben nun begonnen. Für die Wiener SPÖ verhandeln in der Hauptgruppe Bürgermeister Michael Ludwig, Parteimanagerin Barbara Novak und Klubchef Josef Taucher. Das Verhandlungsteam der Neos ist doppelt so groß: Parteichef Christoph Wiederkehr, Bettina Emmerling (Vize-Klubobfrau), Selma Arapovic (künftige Gemeinderätin), Markus Ornig (Vize-Landessprecher), Stefan Gara (Gemeinderat) und Philipp Kern (Landesgeschäftsführer Neos Wien).
Unabhängig von den Verhandlungen steht bereits jetzt fest: Michael Ludwigs Entscheidung für eine rot-pinke Rathauskoalition wirkt sich massiv auf die Wiener Parteienlandschaft aus.
SPÖ
Bürgermeister Ludwig hat seine Wunschkoalition innerparteilich ohne Probleme durchgebracht. Als Zugeständnis an den linken, rotgrünen Flügel dürfte dessen Vertreter in der Stadtregierung, Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky, aufgewertet werden. Auch, weil Ludwig das Bildungsressort den Neos überlassen dürfte. Innerparteilich herrscht mit der erwarteten Aufwertung Czernohorszkys jedenfalls Frieden.
Fallstricke liegen auf Bezirksebene. Es gibt dort keine Koalitionen, aber Rot-Grün hat gemeinsam Projekte umgesetzt – mit seiner Mehrheit in vielen Bezirksparlamenten. Das Ende der rot-grünen Zusammenarbeit auf Landesebene dürfte sich nun massiv dort auswirken. Denn die Neos sind oft zu schwach, um einem roten Bezirksvorsteher eine Mehrheit für gemeinsame Beschlüsse zu besorgen. Damit stehen die Bezirkskaiser in den rot-grünen Bezirken vor einer neuen Situation: Dem freien Spiel der Kräfte.
ÖVP
Die Partei unter Finanzminister Gernot Blümel hat sich nun verdoppelt. Das schafft ihr neue Möglichkeiten. Zumindest in Bezug auf die Besetzung so mancher Funktion. Dass Rot-Türkis nicht kommt, dürfte allen in der ÖVP schon während des Wahlkampfes klar gewesen sein. Zu groß waren die inhaltlichen Unterschiede, zu groß die Konflikte zwischen ÖVP-Bundespolitikern und dem roten Wien.
Nun ist die ÖVP die stärkste Oppositionspartei in Wien. Blümel will, dass sie auch inhaltlich als führende Oppositionspartei gesehen wird. Blümels Kurs, der von manchen als FPÖ-nah bezeichnet wurde, wird nach dem Wahlerfolg naturgemäß nicht geändert. Die Signale an die (nach Skandalen) enttäuschten FPÖ-Wähler haben gut gewirkt – wie am Wahlergebnis abzulesen ist. Die SPÖ wird es gegen Türkis schwerer haben als gegen die FPÖ. Ihr hatte die SPÖ einen ausländerfeindlichen Wahlkampf vorgeworfen und ein Duell um Wien inszeniert, womit rote Sympathisanten mobilisiert wurde. Diesen Vorwurf kann die SPÖ Türkis nicht machen; sie muss sich eine neue Mobilisierungstaktik einfallen lassen.
Grüne
Grünen-Chefin Birgit Hebein betont bei jeder Gelegenheit fast flehentlich, dass ihre Türen für Koalitionsverhandlungen weiter offen stehen. Die SPÖ solle doch zurückkommen, Rot-Pink würden doch nicht zusammenpassen.
Das zeigt: Die Grünen befinden sich in einem Schockzustand. Denn Ludwigs Entscheidung hat massive Konsequenzen: Nun sind keine Posten mehr an grüne Sympathisanten zu vergeben (Fußgängerbeauftragte usw.). Im Gegenteil: Die Grünen verlieren schlagartig einflussreiche Positionen, sind plötzlich von Geldmitteln für ihre Projekte abgeschnitten (z. B. Radagentur) und können für ihre Konzepte nicht mehr auf den Verwaltungsapparat des Magistrats zurückgreifen. Bald könnte auch eine Obfrau-Diskussion beginnen, da nicht wenige Grüne Hebein die Schuld am Scheitern von Rot-Grün geben. Klubchef David Ellensohn und Planungssprecher Peter Kraus lauern bereits.
Aktuell kann der Machtkampf gerade noch verhindert werden. Planungssprecher Peter Kraus (Realo-Flügel) dürfte nicht amtsführender Stadtrat werden. David Ellensohn (linker Flügel) bleibt Klubchef. Birgit Hebein will bleiben, sie dürfte nicht amtsführende Stadträtin werden. Damit wäre die Macht zwischen den Flügeln vorerst verteilt. Einer Obfrau-Debatte dürfte Hebein trotzdem nicht entkommen.
Neos
Christoph Wiederkehr, Parteichef der Wiener Neos, kann sein Glück kaum fassen: Zugewinne bei der Wien-Wahl, erstmals Anspruch auf einen Stadtrat und gleich der Sprung in die Stadtregierung. Denn dass die rot-pinken Verhandlungen scheitern, ist wenig realistisch – inhaltlich sind Rot und Pink bereits großteils auf einer Ebene.
Damit ist die Partei in derselben Situation wie die Grünen 2010. Man kann erstmals in Wien mitregieren, für eigene Projekte auf die enormen Ressourcen der Stadt Wien zurückgreifen und erhält öffentliche Aufmerksamkeit – kann sich also entsprechend vermarkten. Der Nachteil: Wiederkehr muss ein akzeptables Verhandlungsergebnis nach Hause bringen; sonst könnte es schnell Unmut geben. Dazu müssen die Neos nun unangenehme Entscheidungen mittragen, was ebenfalls für pinke Unruhe sorgen könnte. Erst dann wird man sehen, wie viel Autorität Wiederkehr wirklich besitzt.
FPÖ
Für den Wiener FPÖ-Chef, Dominik Nepp, verschlimmert Rot-Pink die Situation weiter. Er muss die FPÖ, die von 31 Prozent (2015) auf sieben Prozent gesunken ist, völlig neu aufbauen. In dieser Situation kommt ihm (mit den Grünen) auch noch der Lieblingsgegner abhanden. Immerhin ließen sich mit herber Kritik an Pop-up-Radwegen, Begegnungszonen und dem Rückbau von Pkw-Fahrspuren FPÖ-Sympathisanten und Unzufriedene gut mobilisieren. Als Parteichef dürfte Nepp das Wahldebakel überstehen. Er hat bereits einen Rücktritt ausgeschlossen, die Bundespartei ebenso – nachdem man Ex-Parteichef HeinzChristian Strache für die Niederlage verantwortlich gemacht hatte.