Experte: „Partieller Lockdown nicht zu vermeiden“
Coronavirus. Wegen der steigenden Zahl an Intensivpatienten hält der Leiter der Notfallaufnahme der Klinik Donaustadt, Rainer Thell, ein erneutes Herunterfahren des öffentlichen Lebens für unausweichlich.
Wien. „Der Ernst der Lage ist ganz vielen Menschen in der Gesellschaft überhaupt nicht bewusst“, sagt Rainer Thell, Facharzt für Anästhesie sowie Intensivmedizin und Leitender Oberarzt der Notfallaufnahme an der Klinik Donaustadt, ehemals SMZ Ost. „Österreich ist hinsichtlich der Menge der Erkrankten nicht besser aufgestellt als etwa die Schweiz, die Zahl der Infektionen hinkt lediglich hinterher.“
Der Anstieg sei zwar weniger steil, aber Spitalspatienten, insbesondere Intensivpatienten, benötigten für gewöhnlich eine längere Behandlung, weswegen es sich „auch bei uns massiv aufstauen wird“. Thell hält daher einen, wie er sagt, „partiellen Lockdown“für zwei bis drei Wochen – jene Zeit also, in welcher der Ansteckungszyklus von Covid-19 unterbrochen werden kann – für unvermeidlich. Wie dieser Lockdown aussehen könnte? „Schulen und alle Arten von Geschäften würde ich offenhalten. Schulen wegen der gigantischen Auswirkungen auf die Schüler sowie deren Eltern. Und Geschäfte, weil dort praktisch keine Übertragungen erfolgen – weder in Baumärkten noch in Textilgeschäften, Parfümerien oder im Elektrohandel.“
Die Problembereiche, die man beeinflussen könne, seien vielmehr Lokale wie Cafes´ und Bars sowie Veranstaltungen mit vielen Teilnehmern. Orte also, an denen viel geredet und der Abstand nicht immer eingehalten wird. Dazu gehörten auch Büros, nach Möglichkeit sollte also wieder vermehrt auf Home-Office gesetzt werden.
Contact Tracing überdenken
Rainer Thell, der selbst Covid-19-Patienten behandelt und ein Dienstrad mit Ärzten ins Leben rief, die für das Isolieren von positiv getestetem Personal sowie deren Kontaktpersonen verantwortlich sind, spricht sich darüber hinaus für ein Umdenken beim Contact Tracing aus. Den Patienten null zu suchen sowie sämtliche Kontakte einer infizierten Person zu ermitteln, gelinge nur noch in einem Spital wie der Klinik Donaustadt – und auch hier nur unter massivem Einsatz aller Beteiligten.
„Uns geht es deshalb vor allem darum, herauszufinden, mit wem die infizierte Person ihre Pausen verbrachte und welche Patienten sie behandelte, damit wir nicht reihenweise Ausfälle haben“, sagt er. Sich auf die Suche nach dem Patienten null und nach allen Kontaktpersonen von Infizierten zu machen, wie das bisher gemacht oder zumindest versucht wurde, sei „von zweifelhafter Sinnhaftigkeit“. Denn: Viele Betroffene sagten schlichtweg nicht die Wahrheit, um sich und ihren Freunden bzw. Bekannten keine Unannehmlichkeiten zu bereiten. „Sie sagen: ,Ich habe einen Kindergeburtstag mit zehn Gästen und Kaffee veranstaltet.‘ Dabei war es eine Nachbarschaftsfeier mit viel Sekt und 20 Leuten, die den halben Abend lang keine Maske trugen.“
Um effizient und ressourcenschonend vorzugehen, würde es daher seiner Ansicht nach genügen, die positiv Getesteten zu fragen, ob sie Kontakt zu älteren und Menschen mit Vorerkrankungen hatten – um diese dann rasch zu ermitteln, testen und gegebenenfalls zu isolieren.
Intensivbetten dokumentieren
Wegen der teilweise widersprüchlichen Angaben zur Zahl an Intensivbetten fordert der Intensivmediziner eine österreichweit einheitliche Definition sowie Zählung, um eine bessere Übersicht über deren Verfügbarkeit zu haben.
Schließlich gebe es drei Arten von Intensivbetten – Vollintensivbetten, Intermediate-Medical-Care-Unit-Betten und Überwachungsbetten. Diese seien nicht nur technisch unterschiedlich ausgestattet, sondern hätten auch einen anderen Personalschlüssel, was in der öffentlichen Diskussion nicht berücksichtigt werde, wenn von verfügbaren Intensivkapazitäten die Rede sei.
Sein Vorschlag: eine grundsätzliche Unterscheidung aller Intensivbetten in Beatmungs- und Nicht-Beatmungsbetten, wobei insbesondere Erstere für Covid-19-Patienten infrage kommen und daher gezählt werden sollten, wenn es um das Zusammentragen aller Intensivkapazitäten in Österreich geht.