Ein Mann zwischen Wert und Tat
Porträt. Jozsef´ Sz´ajer gehörte zur politischen Elite Ungarns. Nach einer Sexparty in Brüssel wird er zum Symbol der Widersprüchlichkeit seiner Partei.
Jo´zsef sza´jer gehörte zur politischen Elite ungarns. Nach einer sexparty wird er zum symbol der widersprüchlichkeit seiner partei.
Wien/Brüssel. Etwas aufgeregt war er immer, wenn er im Europäischen Parlament öffentlich auftrat. Dann hielt er seinen Notizblock fest umklammert, versuchte lauter, als es seine leise Stimme erlaubte, zu argumentieren. So auch in einer Fraktionssitzung der Europäischen Volkspartei (EVP) vor rund zehn Tagen. Da verteidigte er Ungarns Position im Streit um die Bindung von EU-Förderungen an die Rechtsstaatlichkeit, sprach von linksliberalen Attacken gegen sein Land, das lediglich Werte wie kulturelle Herkunft und die traditionelle Familie verteidige. Jozsef´ Sza-´ jer war bis Freitag der wichtigste Vertreter von Ungarns Ministerpräsident, Viktor Orban,´ in Brüssel. Doch dann stürmte die Polizei eine Homosexuellen-Party nahe dem Brüsseler Grand-Place, traf ihn mit rund 25 anderen Männern an. Auch Drogen waren im Spiel.
Wer ist dieser EU-Abgeordnete, der nun über jene Werte stürzte, die er so bemüht mit eigenen Worten vertrat? Szajer´ zählt zu den Gründungsmitgliedern der Regierungspartei Fidesz. Über viele Jahre war er einer der engsten Verbündeten Orbans.´ Der ehemalige Vizepräsident der Partei und Fraktionsvorsitzende gilt als wichtigster Autor der neuen ungarischen Verfassung von 2011. Es heißt, er habe sie großteils während einer Zugfahrt von Paris nach Brüssel geschrieben: auf einem iPad.
Ausländische Kritik am Grundgesetz wehrte er verbissen ab. Einen Widerspruch etwa zum Säkularismus sah er durch den Hinweis auf eine enge Absprache von Regierung und Kirche nicht. Auch nicht darin, dass die Verfassung eine Familie allein auf das Zusammenleben von Mann und Frau beschränkt – homosexuelle Partnerschaften damit ausschließt. Schon gar kein Verständnis hatte Szajer´ für Zweifel an der Unabhängigkeit der ungarischen Gerichte. Die neue Verfassung brachte dem Landesjustizrat umstrittene Befugnisse bei der Kontrolle von Richtern. Zur Leiterin des Gremiums wurde fast zeitgleich mit dem Inkrafttreten der Verfassung Szajers´ Ehefrau, Tünde Hando,´ bestellt. „Es scheint, dass es eine Machtkonzentration in der Person der Präsidentin des Landesjustizrates gibt“, warnte die damalige EU-Justizkommissarin, Viviane Reding, in einem Brief an Ungarns Justizminister, Tibor Navracsics.
Navracsics entzweite sich später von Orban,´ wurde von ihm als EU-Bildungskommissar nach Brüssel entsorgt. Szajer´ blieb seinem Chef treuer. Seit 2004 ist der Jurist Abgeordneter im Europaparlament und schaffte es bis zum Vizevorsitzenden der EVP-Fraktion. In dieser Funktion war er für die Empfehlungen bei Abstimmungen zuständig. Wenn er in der ersten Reihe seine Finger hob, sollten hinter ihm alle EVP-Abgeordneten freiwillig folgen. Im Europaparlament gibt es im Gegensatz zu nationalen Parlamenten keinen Klubzwang. Szajer´ führte dennoch eine Statistik der Abweichler.
Und wenn es hart auf hart ging im Straßburger Plenum, dann warf er sich persönlich in die Bresche. So sehr die EVP heute auch versucht, sich von der Fidesz und Sza-´ jer zu distanzieren: Vor ein paar Jahren noch war er ein geschätztes Sturmgeschütz bei Scharmützeln mit dem politischen Gegner. Zum Beispiel im Jänner 2010. Nachdem Rumjana Schelewa, Bulgariens
Kandidatin für die Kommission von Jose´ Manuel Barroso und wie Szajer´ Mitglied der EVP, ob ihrer lückenhaften Vermögenserklärung scheiterte, schoss sich Szajer´ auf den slowakischen Kandidaten der Sozialdemokraten, Marosˇ Sefˇcoviˇc,ˇ ein und versuchte, ihn als RomaFeind darzustellen. Das misslang.
Von grauer Maus zum Hipster
Langjährige Brüssel-Korrespondenten haben Szajer´ als pingeligen, humorlosen und schnell beleidigten Verteidiger der orbanisti-´ schen Gleichschaltungspolitik in Erinnerung. Ihnen ist aber etwas aufgefallen: Vor etwa vier oder fünf Jahren wandelte sich der bisher eher im grauen Beamtenlook auftretende Abgeordnete in einen farbenfroh kostümierten Hipster, samt Vollbart von alttestamentarischer Prophetenpracht, wie es der letzten Mode Schrei entsprach.