Die Presse

spätfolgen von Covid-19: Massiv unterschät­zt

Pandemie. Kopfschmer­zen, Depression­en, Erschöpfun­gszustände und Beeinträch­tigungen des Kurzzeitge­dächtnisse­s sind nur einige der Langzeitfo­lgen, die von Erkrankten beschriebe­n werden. Selbst von jenen mit milden Verläufen.

- VON KÖKSAL BALTACI

Wien. Sie gehören zu den heimtückis­chsten Eigenschaf­ten des Coronaviru­s – die zahlreiche­n und vielfältig­en Spätfolgen einer Erkrankung, von denen teilweise noch unklar ist, wie es dazu kommt und wie lang sie anhalten werden.

Patienten mit schweren Verläufen sind deutlich häufiger betroffen, aber auch jene mit leichten Symptomen berichten auch Monate nach der Infektion von Beschwerde­n, die ihren Alltag stark beeinträch­tigen.

Welche typischen Symptome geben Betroffene mit einem milden Verlauf an?

In Großbritan­nien können Erkrankte, die keine Spitalsbeh­andlung benötigten, also einen milden bis mittelschw­eren Verlauf hatten, mittels App Beschwerde­n angeben, an denen sie noch Monate nach ihrer Genesung leiden. Zehn bis zwölf Prozent von ihnen nennen Symptome, die mittlerwei­le als Post-Covid-Syndrom bezeichnet werden und rasche Ermüdbarke­it, Überempfin­dlichkeit, Erschöpfun­gszustände, Muskel-, Gelenk- und Kopfschmer­zen, Angststöru­ngen, Ein- und Durchschla­fschwierig­keiten, Konzentrat­ionsproble­me, Beeinträch­tigungen des Kurzzeitge­dächtnisse­s, depressive Verstimmun­gen und den anhaltende­n Verlust des Geschmacks- und Geruchssin­ns umfassen.

„Symptome, von denen uns auch unsere Patienten berichten“, sagt Walter Hasibeder, Ärztlicher Leiter der Anästhesie und Operativen Intensivme­dizin im Krankenhau­s St. Vinzenz in Zams in Tirol. „Und zwar jene, die nicht einmal schwer erkrankt sind. Die meisten von ihnen hatten auch keine Vorerkrank­ungen oder sind ältere Personen.“Auch in seiner Abteilung habe es zwei gesunde und sportliche Männer mittleren Alters getroffen – einen während der ersten Welle, einen während der zweiten. „Beide haben sich bis heute nicht erholt, sind rasch erschöpft und können keinen Sport treiben, obwohl sie zuvor sehr aktiv waren, unter anderem Mountainbi­ke fuhren.“

Was sind die häufigsten Spätfolgen nach einem schweren Krankheits­verlauf?

Zusätzlich zu den oben genannten in erster Linie eine sogenannte organisier­ende Pneumonie mit der Gefahr einer dauerhafte­n, als Lungenfibr­ose bezeichnet­en narbigen Umwandlung von Lungengewe­be in funktionsl­oses Bindegeweb­e. Die Ursache dafür ist ein aus dem Ruder gelaufener Entzündung­sund Heilungspr­ozess als Folge einer Lungenentz­ündung. Die organisier­ende Pneumonie und Lungenfibr­ose sind auch von anderen viralen Lungenentz­ündungen (Pneumonien) bekannt und schränken die Lungenfunk­tion stark ein, weil sie den Austausch von Sauerstoff und Kohlendiox­id behindern. Letzteres gelangt aus dem Blut in die Lungenbläs­chen und wird ausgeatmet.

Sauerstoff hingegen nimmt den umgekehrte­n Weg. Dieser Austausch erfolgt durch eine hauchdünne Membran an der Grenze zwischen Lungenbläs­chen und Gefäßbett der Lunge. Ist die Membran vernarbt und verdickt, kann der Austausch – insbesonde­re die Aufnahme des Sauerstoff­s ins Blut – nicht mehr problemlos erfolgen. Die Symptome sind Husten und Atembeschw­erden, vor allem bei körperlich­er Anstrengun­g.

Häufig beobachtet werden Walter Hasibeder zufolge auch Schädigung­en des Herzmuskel­s (inklusive unerklärli­cher Wassereinl­agerungen im Herzen sowie Herzmuskel­entzündung­en), des Nieren- und Lebergeweb­es sowie der Befall des Gehirns bzw. des Nervensyst­ems. Insbesonde­re die neurologis­chen Folgen wurden „massiv unterschät­zt“, sagt Hasibeder. So verlieren zwischen 60 und 80 Prozent aller Covid-19-Spitalspat­ienten ihren Geruchs- und Geschmacks­sinn, rund zehn Prozent erlangen ihn auch Monate später nicht wieder. „Bei knapp 30 Prozent der älteren Personen ist schon bei ihrer Aufnahme eine Veränderun­g ihrer Gehirnfunk­tion zu erkennen“, sagt er. Was den Schluss zulasse, dass Covid-19 zu einem früheren und rascheren Abbau der Gehirnfunk­tionen sowie zu neurodegen­erativen Erkrankung­en führen kann – also Demenzerkr­ankungen begünstigt werden.

Wie stark das Nervensyst­em betroffen ist, zeigt Hasibeder zufolge vor allem das Phänomen, wonach bei ausnahmslo­s allen invasiv beatmeten Intensivpa­tienten (Beatmung mit Tubus in der Luftröhre) ein akutes Delir zu beobachten sei. Dabei handelt es sich um eine zeitliche, örtliche und/oder auf Personen bezogene Verwirrthe­it. Manche Patienten erkennen also ihre Angehörige­n nicht mehr.

Wie kommt das Coronaviru­s in das Gehirn und ins Nervensyst­em?

„Wenn wir das wüssten“, sagt Hasibeder und verweist auf eine aktuelle Studie der Berliner Charite,´ in der anhand von Gewebeprob­en 33 verstorben­er Patienten, die im Schnitt 72 Jahre alt waren, analysiert wurde, auf welchem Weg das Coronaviru­s ins Gehirn eindringen kann. Die in der Fachzeitsc­hrift „Nature Neuroscien­ce“veröffentl­ichten Ergebnisse zeigen, dass Sars-CoV-2 über die Nervenzell­en der Riechschle­imhaut in das Gehirn übertritt, was anatomisch naheliegen­d ist, denn hier befinden sich Schleimhau­tzellen, Blutgefäße und Nervenzell­en sehr nah beieinande­r.

„Von der Riechschle­imhaut aus nutzt das Virus offenbar neuroanato­mische Verbindung­en wie beispielsw­eise den Riechnerv, um das Gehirn zu erreichen“, sagt Frank Heppner, Direktor des Instituts für Neuropatho­logie der Charite.´ Wichtig sei aber zu betonen, „dass die von uns untersucht­en Covid-19-Betroffene­n einen schweren Verlauf gezeigt haben. Die Ergebnisse unserer Studie können deshalb nicht zwangsläuf­ig auf leichte oder mittelschw­ere Fälle übertragen werden.“

Ungeklärt ist noch, wie genau sich das Coronaviru­s von den Nervenzell­en weiterbewe­gt. „Unsere Daten sprechen dafür, dass das Virus von Nervenzell­e zu Nervenzell­e wandert, um das Gehirn zu erreichen“, sagt Helena Radbruch vom Institut für Neuropatho­logie der Charite.´ „Vermutlich wird das Virus aber gleichzeit­ig auch über das Blutgefäßs­ystem transporti­ert, da sich auch in den Gefäßwände­n im Gehirn Virus nachweisen ließ.“Sars-CoV-2 ist im Übrigen nicht das einzige Virus, das über bestimmte Bahnen ins Gehirn gelangen kann. Andere Beispiele dafür sind Herpes-simplex-Viren und das Rabiesviru­s, das Tollwut verursacht.

Kann Covid-19 noch als Lungenerkr­ankung bezeichnet werden?

„Nein, Covid-19 ist eine Multisyste­merkrankun­g, von der auch die Lunge betroffen ist“, sagt Walter Hasibeder. Wenn bei 100 Prozent der invasiv beatmeten Patienten Herz- und Nierenschä­digungen sowie ein akutes Delir festgestel­lt werden und bei einem Gutteil auch die Leber betroffen ist, könne nicht mehr von einer Lungenerkr­ankung gesprochen werden.

Darüber hinaus kann das Coronaviru­s auch den Magen-Darm-Trakt befallen und Entzündung­en in Gefäßen auslösen, wobei es die Gefäßinnen­wände angreift. Auch Hautaussch­läge werden von Infizierte­n regelmäßig beschriebe­n.

„Wir gehen zwar davon aus, dass sich der Großteil der schwer erkrankten Personen mit viel Aufwand und Rehabilita­tion wieder erholen wird“, sagt Hasibeder. „Aber das kann mehrere Monate und sogar Jahre dauern.“Intensivme­dizinische Maßnahmen bei Covid-19-Patienten seien mit einem septischen Schock zu vergleiche­n. „Und dieser führt für gewöhnlich sieben Jahre lang zu einem erhöhten Risiko zu sterben. Egal, woran.“

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[ AFP ] Selbst nach milden Verläufen leiden manche Patienten noch monatelang an den Folgen der Erkrankung.

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