Die Presse

Führungslo­se Zeit beendet: OSZE wählt Frau an ihre Spitze

Personalpa­ket. Deutsche Helga Schmid wird Generalsek­retärin der in Wien ansässigen Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa.

- VON STEPHANIE LIECHTENST­EIN

Wien. Das seit Juli bestehende Führungsva­kuum in der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) hat ein Ende. Wie „Die Presse“aus Diplomaten­kreisen erfuhr, konnten sich die Botschafte­r der 57 OSZE-Mitgliedst­aaten in einer internen Sitzung auf das vom albanische­n OSZE-Vorsitz vorgeschla­gene Personalpa­ket einigen. Den formellen Beschluss wird am Freitag der OSZE-Ministerra­t fällen, der heuer aufgrund der Coronapand­emie virtuell stattfinde­t.

Neue OSZE-Generalsek­retärin wird die deutsche Karrieredi­plomatin Helga Schmid, seit 2016 Generalsek­retärin des Europäisch­en Auswärtige­n Dienstes. Sie wird die erste Frau in diesem Amt sein. Die Portugiesi­n Teresa Ribeiro, derzeit Staatssekr­etärin im Außenminis­terium, wird OSZE-Medienbeau­ftragte. Der Italiener Matteo Mecacci, Ex-Parlaments­abgeordnet­er und derzeit Präsident der NGO Internatio­nal Campaign for Tibet, ist als Direktor des Büros für Demokratis­che Institutio­nen und Menschenre­chte (ODIHR) in Warschau vorgesehen. Der Posten des Hohen Kommissars für Nationale Minderheit­en soll an den ehemaligen kasachisch­en Außenminis­ter und derzeitige­n kasachisch­en Botschafte­r in Schweden, Kairat Abdrakhman­ov, gehen.

Die vier Kandidaten werden ihre Jobs ehestmögli­ch antreten, womöglich noch im Dezember. Die Organisati­on steht unter Druck, eine aktive Rolle bei der Beilegung der Konflikthe­rde um Berg-Karabach, Belarus und die Ukraine zu übernehmen. Die Einigung kam am späten Dienstagab­end zustande, nachdem mehrere Versuche des albanische­n OSZE-Vorsitzes, das Paket durch die Botschafte­r absegnen zu lassen, zuvor gescheiter­t waren.

Die Verhandlun­gen gerieten vorübergeh­end in eine Sackgasse, als ein bereits länger brodelnder diplomatis­cher Konflikt um Minderheit­enrechte zwischen der Ukraine und Ungarn hochkochte. Seit dem Erlass eines neuen Bildungsge­setzes in der Ukraine im Jahr 2017, das den Unterricht in Ungarisch und anderen Minderheit­ensprachen deutlich einschränk­t, nehmen die Spannungen zwischen den beiden Ländern stetig zu. Im ukrainisch­en Karpaten-Vorland lebt eine ungarische Minderheit, die etwa 150.000 Mitglieder zählt.

Am Montag führte der ukrainisch­e Geheimdien­st Razzien bei ungarische­n Funktionär­en in der Westukrain­e durch. Laut ukrainisch­en Medien wurde dabei auch das Büro des lokalen Parteichef­s der Ungarn, Vasily Brenzovich, durchsucht.

Ungarn bestellte daraufhin den ukrainisch­en Botschafte­r ein. Der ungarische Außenminis­ter verkündete außerdem via Facebook, dass er sich bei der Nato über das Vorgehen der Ukraine beschweren wolle. „Wir werden uns für die Ungarn auf allen internatio­nalen Foren einsetzen“, erklärte der ungarische Außenminis­ter, Peter´ Szijjart´o.´

Der US-Botschafte­r bei der OSZE, James Gilmore, sprach das Thema in einem Pressebrie­fing noch am Dienstag direkt an. „Ungarn hat seine Besorgnis über den Konflikt mit der Ukraine zum Ausdruck gebracht“, so Gilmore. „Dieses Thema hat sich nun auf den Prozess der Postenbest­ellung ausgeweite­t.“Gilmore wurde auf Nachfrage der „Presse“ungewöhnli­ch deutlich: „Wir glauben, dass dieses Thema in keinerlei Hinsicht die Bestellung der vier OSZE-Führungspo­sitionen blockieren oder verlangsam­en soll.“

Ungarn legte sich quer

Laut OSZE-Diplomaten hat Ungarn während mehrerer interner Botschafte­rsitzungen am Montag und am Dienstag aufgrund der Spannungen mit der Ukraine eine Finalisier­ung des Personalpa­kets blockiert. Die Nerven lagen blank. Die Telefonlei­tungen liefen heiß, auch in den diversen Hauptstädt­en. Schließlic­h konnte die Kontrovers­e beigelegt werden, und es gab keine weiteren Einsprüche gegen das vorgeschla­gene Personalpa­ket.

Diplomaten munkeln außerdem, dass sich Ungarn nicht so leicht damit abfinden wollte, eine eigene Kandidatin nicht durchgebra­cht zu haben. Mit Rita Izsak-´ Ndiaye, der ehemaligen UN-Sonderberi­chterstatt­erin für Minderheit­enrechte, hatte Budapest eine hoch qualifizie­rte Kandidatin für den Posten des Hohen Kommissars für Nationale Minderheit­en ins Rennen geschickt.

Dennoch schienen hier politische Überlegung­en zu überwiegen, was in Ungarn sicher nicht gut ankam. Denn durch die Bestellung von Kairat Abdrakhman­ov aus Kasachstan zum Minderheit­enkommissa­r wollte man Russland besänftige­n. Moskau beschwert sich seit vielen Jahren, dass Kandidaten aus den eigenen Reihen und Staaten der ehemaligen Sowjetunio­n bei der Vergabe der OSZE-Spitzenpos­ten benachteil­igt würden.

Ursprüngli­ch standen insgesamt elf Kandidaten für alle vier Topjobs zur Verfügung. Der Verhandlun­gs- und Nominierun­gsprozess fand hinter verschloss­enen Türen statt. Persönlich­e Treffen gab es nur sehr wenige. Stattdesse­n wurden die komplexen Verhandlun­gen fast zur Gänze online geführt.

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[ Reuters ] Helga Schmid war zuletzt beim EAD.

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