Führungslose Zeit beendet: OSZE wählt Frau an ihre Spitze
Personalpaket. Deutsche Helga Schmid wird Generalsekretärin der in Wien ansässigen Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
Wien. Das seit Juli bestehende Führungsvakuum in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat ein Ende. Wie „Die Presse“aus Diplomatenkreisen erfuhr, konnten sich die Botschafter der 57 OSZE-Mitgliedstaaten in einer internen Sitzung auf das vom albanischen OSZE-Vorsitz vorgeschlagene Personalpaket einigen. Den formellen Beschluss wird am Freitag der OSZE-Ministerrat fällen, der heuer aufgrund der Coronapandemie virtuell stattfindet.
Neue OSZE-Generalsekretärin wird die deutsche Karrierediplomatin Helga Schmid, seit 2016 Generalsekretärin des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Sie wird die erste Frau in diesem Amt sein. Die Portugiesin Teresa Ribeiro, derzeit Staatssekretärin im Außenministerium, wird OSZE-Medienbeauftragte. Der Italiener Matteo Mecacci, Ex-Parlamentsabgeordneter und derzeit Präsident der NGO International Campaign for Tibet, ist als Direktor des Büros für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) in Warschau vorgesehen. Der Posten des Hohen Kommissars für Nationale Minderheiten soll an den ehemaligen kasachischen Außenminister und derzeitigen kasachischen Botschafter in Schweden, Kairat Abdrakhmanov, gehen.
Die vier Kandidaten werden ihre Jobs ehestmöglich antreten, womöglich noch im Dezember. Die Organisation steht unter Druck, eine aktive Rolle bei der Beilegung der Konfliktherde um Berg-Karabach, Belarus und die Ukraine zu übernehmen. Die Einigung kam am späten Dienstagabend zustande, nachdem mehrere Versuche des albanischen OSZE-Vorsitzes, das Paket durch die Botschafter absegnen zu lassen, zuvor gescheitert waren.
Die Verhandlungen gerieten vorübergehend in eine Sackgasse, als ein bereits länger brodelnder diplomatischer Konflikt um Minderheitenrechte zwischen der Ukraine und Ungarn hochkochte. Seit dem Erlass eines neuen Bildungsgesetzes in der Ukraine im Jahr 2017, das den Unterricht in Ungarisch und anderen Minderheitensprachen deutlich einschränkt, nehmen die Spannungen zwischen den beiden Ländern stetig zu. Im ukrainischen Karpaten-Vorland lebt eine ungarische Minderheit, die etwa 150.000 Mitglieder zählt.
Am Montag führte der ukrainische Geheimdienst Razzien bei ungarischen Funktionären in der Westukraine durch. Laut ukrainischen Medien wurde dabei auch das Büro des lokalen Parteichefs der Ungarn, Vasily Brenzovich, durchsucht.
Ungarn bestellte daraufhin den ukrainischen Botschafter ein. Der ungarische Außenminister verkündete außerdem via Facebook, dass er sich bei der Nato über das Vorgehen der Ukraine beschweren wolle. „Wir werden uns für die Ungarn auf allen internationalen Foren einsetzen“, erklärte der ungarische Außenminister, Peter´ Szijjart´o.´
Der US-Botschafter bei der OSZE, James Gilmore, sprach das Thema in einem Pressebriefing noch am Dienstag direkt an. „Ungarn hat seine Besorgnis über den Konflikt mit der Ukraine zum Ausdruck gebracht“, so Gilmore. „Dieses Thema hat sich nun auf den Prozess der Postenbestellung ausgeweitet.“Gilmore wurde auf Nachfrage der „Presse“ungewöhnlich deutlich: „Wir glauben, dass dieses Thema in keinerlei Hinsicht die Bestellung der vier OSZE-Führungspositionen blockieren oder verlangsamen soll.“
Ungarn legte sich quer
Laut OSZE-Diplomaten hat Ungarn während mehrerer interner Botschaftersitzungen am Montag und am Dienstag aufgrund der Spannungen mit der Ukraine eine Finalisierung des Personalpakets blockiert. Die Nerven lagen blank. Die Telefonleitungen liefen heiß, auch in den diversen Hauptstädten. Schließlich konnte die Kontroverse beigelegt werden, und es gab keine weiteren Einsprüche gegen das vorgeschlagene Personalpaket.
Diplomaten munkeln außerdem, dass sich Ungarn nicht so leicht damit abfinden wollte, eine eigene Kandidatin nicht durchgebracht zu haben. Mit Rita Izsak-´ Ndiaye, der ehemaligen UN-Sonderberichterstatterin für Minderheitenrechte, hatte Budapest eine hoch qualifizierte Kandidatin für den Posten des Hohen Kommissars für Nationale Minderheiten ins Rennen geschickt.
Dennoch schienen hier politische Überlegungen zu überwiegen, was in Ungarn sicher nicht gut ankam. Denn durch die Bestellung von Kairat Abdrakhmanov aus Kasachstan zum Minderheitenkommissar wollte man Russland besänftigen. Moskau beschwert sich seit vielen Jahren, dass Kandidaten aus den eigenen Reihen und Staaten der ehemaligen Sowjetunion bei der Vergabe der OSZE-Spitzenposten benachteiligt würden.
Ursprünglich standen insgesamt elf Kandidaten für alle vier Topjobs zur Verfügung. Der Verhandlungs- und Nominierungsprozess fand hinter verschlossenen Türen statt. Persönliche Treffen gab es nur sehr wenige. Stattdessen wurden die komplexen Verhandlungen fast zur Gänze online geführt.