Die Museen öffnen – was für ein Trost! Für die ganze Kultur
Der Kulturbetrieb sollte sich durch die ungleiche Behandlung seiner Teile nicht spalten lassen. Seine Vielgestalt ist seine Stärke.
Was für wundervolle Ausstellungen in Wien nur darauf gewartet haben, endlich wachgeküsst zu werden.
With my eyes turned to the past, I walk backwards into the future.“Mit diesem melancholischen Yamamoto-Zitat endete vor fast genau einem Monat diese Kolumne, die ein Klagelied darauf war, dass auch die Museen schließen mussten, dass diese sichersten Kulturstätten über Nacht und ohne Unterschied zum restlichen Kulturbetrieb heruntergefahren wurden, einem windigen Gleichheitsgrundsatz folgend.
Nun darf diese Kolumne dort mit diesem Zitat anschließen, diesmal eine sich erfüllende Sehnsucht beschreibend – denn, so überraschend wie damals die Schließung, wurde gestern, Mittwoch, die Wiederöffnung der Museen verkündet. Überraschend auch für sie selbst, interne Vorwarnung gab es keine.
Fieberhaft wird jetzt also Personal aus der Kurzarbeit zurückgeholt, werden Pressetermine ausgeschickt und alte Ausstellungen wieder in ihr Recht, gesehen zu werden, gesetzt – lichtschützende Tücher zur Seite gezogen, Videos gestartet, der Boden von Beethovens Sterbezimmer entstaubt. Was für wundervolle Ausstellungen in Wien nur darauf gewartet haben, wachgeküsst zu werden, besten, weil stillen Trost zu spenden, allein durch Anwesenheit und Reflexion über alle Menschens(un)zeiten hinweg: Gerhard Richters Landschaften im BA Kunstforum (ab Montag). Andy Warhols Frühwerk im Mumok (ab Dienstag). Die grandiose Beethoven-Schau im Kunsthistorischen Museum (ab Montag). Und, besonders für Familien interessant, die Azteken-Ausstellung im Weltmuseum (ab Montag).
Niemand wird diese AusnahmeAusstellungen so stürmen, wie sie es sich verdient hätten. Für den Konsumenten ist es wie mit dem Skifahren – man hat endlich einmal Platz. Das finanzielle Debakel für die Betreiber blendet man aus. Doch kein Museum, vor allem des Bundes, würde wagen, nicht aufzusperren.
Eher scharrte man in den Startlöchern – das Leopold-Museum mit zwei neuen Ausstellungen, eine davon Beethovens Einfluss auf die Wiener Moderne gewidmet. Die Albertina Modern präsentiert erstmals ihr Herzstück, die Sammlung Essl (samt Haselsteiner-Anteil). Die Landesgalerie
NÖ darf stolz die längst fertiggestellte erste Einzelausstellung der großen alten Dame Lieselott Beschorner zeigen. Und auch Österreichs ausgebremste Biennale-Venedig-Künstlerinnen (wurde auf 2022 verschoben) brauchen sich nicht erneut zu grämen: Am 11. Dezember werden mit geballter Hexenkraft Jakob Lena Knebls und Ashley Hans Scheirls auch im Kunsthaus Bregenz die Lichter angehen.
Glück! Das nicht vergessen lässt, was unendlich fehlt, was nicht stattfinden darf. Theater, Oper, Konzert, Kino etc. Die Öffnung der Museen steigert nur das Vermissen, hält das Wasser jedoch am Köcheln. Der Kulturbetrieb sollte sich dadurch nicht spalten lassen. Nur durch seine Vielgestalt ist er eins. Was für ein Wert.
E-Mails an: almuth.spiegler@diepresse.com