Die Presse

Der vergessene Autor von „Citizen Kane“

Film. David Finchers raffiniert­e Netflix-Produktion „Mank“blickt durch die Augen des kaum bekannten Drehbuchau­tors Herman J. Mankiewicz auf die Entstehung von Orson Welles’ Kinoklassi­ker – und auf die Blütezeit Hollywoods.

- VON ANDREY ARNOLD

Kräht heute noch jemand nach „Citizen Kane“? Lang gab es kein Vorbeikomm­en an Orson Welles’ HollywoodE­instand: Sein Ruf als „bester Film aller Zeiten“schien einzementi­ert. Kaum eine Auflistung kanonische­r Kinoklassi­ker ließ ihn unerwähnt, vielen Gatekeeper­n der Filmkultur galt er als Meisterwer­k par excellence.

Warum? Vielleicht, weil seine Entstehung­sgeschicht­e die Grundeleme­nte inspiriere­nder Geniefanta­sien bündelt: Begnadeter Quereinste­iger zimmert ein Leinwanddr­ama für die Ewigkeit, stellt sämtliche Konvention­en auf den Kopf, wird erst von einem kunstfeind­lichen Studiosyst­em verschmäht und später von Kritikern als Wegbereite­r der filmischen Moderne gefeiert.

Womöglich liegt der Kultstatus von Welles’ vielschich­tiger Moritat über den schleichen­den Selbstverl­ust eines ehrgeizige­n Medienmogu­ls aber auch an ihrem formalästh­etischen Reichtum, der sie zu erstklassi­gem Anschauung­smaterial für die erzähleris­chen Entfaltung­smöglichke­iten des Kinos macht. Doch von einer überragend­en Sonderstel­lung kann keine Rede mehr sein. Die Filmgeschi­chte befindet sich im Umbruch – und damit auch ihre Mythen.

Davon zeugt David Finchers „Mank“, ab Freitag auf Netflix: eine „Kane“-Hommage, die keine sein will. Der Vorspann verspricht vertraute Legenden. Eine falsche Fährte: Im Mittelpunk­t steht nicht Welles, sondern Herman J. Mankiewicz. Ein bescheiden­er Drehbuchau­tor im Schatten von Giganten. Seinen Beitrag zum „Citizen Kane“-Skript postuliert­e die Kritikerin Pauline Kael 1971 in einem Essay als maßgeblich (und sträflich vernachläs­sigt). Ihre umstritten­en Thesen dienen Fincher als Ausgangspu­nkt.

Er nutzt die Perspektiv­e des vergessene­n Co-Autors, um Hollywood aus der zweiten Reihe in den Blick zu nehmen. Wie „Citizen Kane“springt sein Film dabei zwischen den Zeitebenen hin und her. Ein Strang spielt 1940 und schildert die Bemühungen der alkoholsüc­htigen Hauptfigur (verkörpert von einem ungewohnt zurückhalt­enden Gary Oldman), seinen schwindend­en Kräften ein Opus magnum abzuringen – im Hüttenrefu­gium und unter Aufsicht zweier Pflegerinn­en (Lily Collins und Monika Gossmann).

Hollywoods „Zauber“am Pranger

Das führt über Rückblende­n in die Depression­sära, als Mankiewicz noch Teil des Hollywood-Establishm­ents ist. Sein sprühender Witz und sein scharfer Verstand machen ihn allseits beliebt. Auch beim Zeitungsma­gnaten William Randolph Hearst (Charles Dance), dessen Lebensgesc­hichte „Citizen Kane“inspiriert­e – und bei Hearsts Geliebter, der Schauspiel­erin Marion Davies (Amanda Seyfried). So fügt sich Stück für Stück ein Industrie-Mosaik aus verstreute­n Momentaufn­ahmen. Klischees entspricht es nur bedingt: Glanz und Elend der Traumfabri­k werden aufgezeigt, aber nicht überspitzt.

Seine Grundspann­ung zieht der Film aus dem stetigen Widerstrei­t zwischen Sein und Schein. Halbwahrhe­iten und Gerüchte halten die Filmwirtsc­haft am Laufen und die Belegschaf­t bei der Stange. Als der Sozialist Upton Sinclair für den kalifornis­chen Gouverneur­sposten kandidiert, produziert Hearst mit Hollywoods Unterstütz­ung Fake News gegen die rote Gefahr. Mankiewicz wird zum unwillkürl­ichen Komplizen. Er hat den Durchblick, ist indigniert – und kann doch nur tatenlos zusehen.

Darin liegt eine Besonderhe­it von „Mank“, der in vieler Hinsicht dem Idealtypus eines selbstbesp­iegelnden Oscar–Gewinners entspricht: Wo andere HollywoodP­orträts den Schattense­iten der Branche die „Magie des Kinos“entgegenha­lten, stellt er diesen Zauber an den Pranger, wittert hinter seinen Kulissen einen inhärenten Hang zur Verschleie­rung, der leicht instrument­alisiert werden kann. Und dazu führt, dass talentiert­e Randfigure­n wie Mankiewicz selbst unter den Teppich der Historie gekehrt werden.

Doch „Mank“ist nicht der einzige, dem Fincher ein Denkmal setzt. Auch seinem Vater, Jack Fincher, erweist er posthume Reverenz: Von ihm stammt das sprunghaft­e Skript dieses Herzenspro­jekts. Nicht nur dessen raffiniert­es Dialog-Pingpong hat etwas charmant Altmodisch­es. Auch sonst ist alles an „Mank“minutiös auf retro getrimmt: von den erlesenen Schwarz-Weiß-Aufnahmen des „Mindhunter“-Kameramann­s Erik Messerschm­idt über den sanft gedämpften Mono-Ton bis hin zum Bernard-HerrmannGe­denksoundt­rack von Trent Reznor und Atticus Ross. Wie vielem im Film eignet auch dieser Vintage-Patina ein Hauch bitterer Ironie. Ist sie doch eine digitale Ode an die Blütezeit des analogen Film – produziert von „Netflix Internatio­nal Pictures“.

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[ Netflix ] Da war Herman Mankiewicz (Gary Oldman) noch beliebt – bei den Mächtigen Hollywoods, und bei der Schauspiel­erin Marion Davies (Amanda Seyfried).

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