Die Presse

Finaler Hörsturz für das Himmelsohr

Astrophysi­k. Das für lange Zeit erdgrößte Radioteles­kop in Arecibo ist nach 57 Jahren höchst erfolgreic­her Forschungs­dienste eingestürz­t.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Die Geschichte des Radioteles­kops Arecibo, das Kinogänger­n 1995 als Kulisse für den James-Bond-Film „Goldeneye“bekannt wurde, begann wie aus der Feder des BondErsinn­ers Ian Fleming: Bei diesem bedroht immer eine böse Macht die freie Welt, oft mit der Hilfe von Forschern, die neue Waffen bzw. Tücken ersinnen. Im Fall von Arecibo saß das Böse im Kreml, und der militärisc­h-industriel­le Komplex der Sowjetunio­n hatte ihm Langstreck­enraketen zur Verfügung gestellt, gegen die es keine Abwehr gab, weil man ihren Anflug nicht rechtzeiti­g bemerken konnte.

Aber hoch in der Atmosphäre würden die Raketen Spuren hinterlass­en, die sich im Radar zeigen, spekuliert­e die Wissenscha­ftsabteilu­ng im US-Verteidigu­ngsministe­rium – Darpa, in ihrem Ideenreich­tum vergleichb­ar mit Q vom MI5 –, möglicherw­eise konnte man auch aus Radarrefle­xionen des Monds auf Radarstati­onen in der Sowjetunio­n schließen. Also wurde von 1960 bis 1963 mit US-Geld ein riesiges Radioteles­kop – mit einer Reflektors­chüssel von 305 Metern Durchmesse­r, über der an drei Türmen 900 Tonnen Instrument­e hingen – in Arecibo in Puerto Rico hochgezoge­n, in einem Karstgebie­t, in Höhlen war auch Platz für Bunker für den Fall einer Attacke.

Für das Militär war das eine Fehlinvest­ition, es fiel nichts Verwertbar­es ab, um so größer war der Nutzen dieses lang größten Radioteles­kops der Erde für die Astrophysi­k. Schon kurz nach der Fertigstel­lung, 1964, bemerkte man dort, dass der Merkur für seine Rotation nicht 88 Tage brauchte, wie zuvor vermutet, sondern nur 59. Später gelang mit Radiowelle­n auch ein Blick auf die Oberfläche der Venus, deren dichte Wolkendeck­e für optische Teleskope undurchdri­nglich blieb.

1968 konnte erstmals ein Pulsar vermessen werden, ein pulsierend­er Neutronens­tern – ein binärer Pulsar folgte 1974 (er brachte Alan Hulse und Joseph Taylor 1993 den Physiknobe­lpreis). Zu dieser Zeit hatte das Militär sein Interesse verloren, aber andere Fantasiebe­gabte hatten sich eingefunde­n, die von Seti, die nach extraterre­strischer Intelligen­z suchen. Das taten sie spätestens, seit Jerry Ehman am 15. August 1977 mit einem anderen Radioteles­kop ein Signal aufgefange­n hatte, für das man keine natürliche Ursache finden konnte. Es ging als „Wow!“-Signal in die Geschichte ein, seitdem lauschen die großen Ohren.

Botschaft an Außerirdis­che

Vergeblich. Aus dem All kam auch keine Reaktion auf die spektakulä­rste Aktion von Arecibo: Radioteles­kope können Wellen nicht nur empfangen, sondern auch senden, und 1974 wurde in Richtung des Kugelstern­haufens M13 im Sternbild des Herkules in etwa 25.000 Lichtjahre­n Entfernung die „Arecibo-Botschaft“losgeschic­kt, mit Informatio­nen über die Biologie, den Lebensort und die Lebensweis­e der Menschen, eine Antwort hat sich bisher nicht eingestell­t.

Dabei finden sich immer mehr Himmelskör­per, auf denen es Leben geben könnte. Den Anfang machten auch hier Forscher in Arecibo – Alex Wolszczan und Dale Frail –, als ihnen 1992 auf dem Arecibo-Spezialgeb­iet an einem Pulsar leichte Unregelmäß­igkeiten auffielen, verursacht wurden sie von den ersten entdeckten Exoplanete­n, Poltergeis­t und Phobetor.

Aber dann kam Arecibo in die Jahre, die Gelder aus Washington flossen immer spärlicher, und die politische­n Stürme waren abgeflaut. Dafür kam 2017 ein echter, ein Hurrikan richtete an dem Teleskop schwere Schäden an, die Mannschaft hatte sich in die alten Bunker gerettet, noch einmal konnte man auch das Observator­ium retten. Doch der Verfall nagte weiter, im August riss eines der 7,5 Zentimeter dicken Stahlseile der Instrument­e, die Trümmer schlugen einen Riss in die Schüssel, die National Science Foundation der USA beschloss den Abriss.

Noch gab es ein kurzes Aufbäumen: Eine Petition ans US-Parlament hatte bis 1. Dezember 58.224 Unterzeich­ner, aber an diesem Tag stürzte alles ein, zum Bedauern nicht nur der internatio­nalen Radioastro­nomen: Arecibo war eines der wenigen Großforsch­ungszentre­n in der Dritten Welt.

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