Erstmals echte liberale Chancen für Wien
Rot-Pink in Wien. Kritiker der ersten Neos-Regierungsbeteiligung gibt es viele. Ihren Argumenten lässt sich einiges entgegensetzen. Eine Replik.
Wien, so hat Franz Schellhorn vor einigen Tagen an dieser Stelle („Die Presse“, 28. 11.) geschrieben, war einmal das Zentrum des Liberalismus. Und er fürchtete ausgerechnet anlässlich der ersten Regierungsbeteiligung der Neos in Wien gar polemisch den „Ausverkauf des Liberalismus“.
Nun ist es um den Liberalismus in Österreich traditionell nicht zum Besten bestellt gewesen. Dass Wien vor einem Jahrhundert Denker wie Friedrich August von Hayek, Ludwig von Mises oder Joseph Schumpeter hervorgebracht hat, hieß niemals, dass deren Gedanken die politische Realität in Wien, weder als Stadt noch in der Rolle als Bundeshauptstadt, nachhaltig geprägt hätten. Kaum eine politische Partei verkörperte in der österreichischen Geschichte sowohl die wirtschafts- als auch die gesellschaftsliberalen Elemente. Die liberale Erzählung aus Mündigkeit,
Eigenverantwortung und einem transparenten, effizienten Gemeinwesen ist viele Jahrzehnte nur absatzweise wiedergegeben worden. Anders als in der Schweiz, in Deutschland oder den nordischen Ländern ist eine liberale Partei nicht seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten verwurzelt, mit Neos ist eine solche Kraft seit gut acht Jahren nun erstarkt und erstmals in einer Wiener Stadtregierung verankert.
Das Zentrale: Bildung
Bedenkenträger ob dieser Premiere gibt es einige. Dass man in Wien, wie Schellhorn fürchtet, nun „neokommunistische Konzepte“forciere, weil an einer Stelle zu Studien und Projekten das Wort Gemeinwohlwirtschaft steht, ist wohl ähnlich polemisch zu werten wie die Sorge von anderer Seite.
Die grüne nicht amtsführende Stadträtin Judith Pühringer etwa mutmaßte im „Standard“, mit den Neos werde nun die Bildung als „neoliberaler Baustein der Verwertungslogik der Wirtschaft“missbraucht.
Tatsächlich zeigt sich die liberale Handschrift gerade in den klaren Schwerpunkten der Stadtregierung, von der Bildung über die Transparenz bis zur Wirtschaft. Dass die Neos in Wien vor allem das Aufstiegsversprechen durch Bildung ins Zentrum ihrer Regierungsbeteiligung gerückt haben, trifft sich mit den Herausforderungen der Stadt. Wien ist mittlerweile deutlich das jüngste Bundesland Österreichs. War Wien noch vor knapp 60 Jahren mit einem Medianalter von fast 43 Jahren das demografisch älteste Bundesland Österreichs, hat es durch Zuzug aus dem Ausland und den Bundesländern eine regelrechte Verjüngung durchgemacht. Das bringt auch Herausforderungen und Chancen mit sich. Maßnahmen im Bildungsbereich und bei der betrieblichen Lehre sind damit in Wien noch wichtiger, um zu verhindern, dass die aktuelle Pandemie und die damit verbundene Wirtschafts
krise eine „Generation Corona“hervorbringen. Und für gleiche Bildungschancen zu sorgen, ist jedenfalls rückwärtsgewandten Umverteilungsdebatten vorzuziehen.
Dass sich Wien dabei künftig die „London Challenge“zum Vorbild nimmt, um die Wiener Schulen zu den besten des Landes zu machen, ist sicher ambitioniert – und deckt sich mit der einen oder anderen Empfehlung aus Papieren liberaler Denkfabriken. Aber es ist notwendig: Denn nur die Mischung aus wettbewerblichen Elementen, großer Transparenz bei den Ergebnissen und laufender Evaluierung der Schulentwicklung machen es möglich, das Bildungsversprechen in Wien auch wieder zu erfüllen.
Naive Vorstellung der Kritiker
Die Vorstellung mancher Kritiker, dass hier eine Fortschreibung einer rot-grünen Koalition passiere, ist jedenfalls naiv. Dass das Regierungsprogramm einen starken Fokus auf den Klimaschutz legt, ist nicht überraschend, ist die Nachhaltigkeit in allen Aspekten doch seit der Neos-Gründung zentrales Anliegen: Nun enthält das Wiener Regierungsprogramm wesentlich mehr Verbindlichkeit zur Erreichung des Klimapfades, ohne auf Pop-up-Aktionen und Verbote zu setzen. Etwa wenn die Stadt auch ihr eigenes Budget und Handeln im Rahmen einer Klimabilanz ökologisch bewerten muss. Und zum Zweiten wird sich Wien so klar wie nie in Richtung Transparenz entwickeln. Die Kontrolleure und die Bürger der Stadt sollen künftig Einblicke bekommen, die in der Vergangenheit selbst der grüne Koalitionspartner nicht hatte. Dazu zählt nicht nur, dass der Stadtrechnungshof künftig Einsicht in die Parteifinanzen hat, sondern auch, dass die Informationsfreiheit verankert wird, die Kontrollrechte der Opposition gestärkt werden und das Budget der Stadt und ihrer vielen ausgegliederten Einheiten transparenter wird.
Das Bekenntnis zu antizyklischer Politik wiederum bietet die Chance, sich von der alten österreichischen Tradition des dauerhaften Schuldenmachens zu lösen. Finanzminister und -stadträte jeder Partei berufen sich gern auf den britischen Ökonomen John Maynard Keynes, wenn es darum geht, in der Krise Staatsschulden zu machen. Aber sie lassen gern unter den Tisch fallen, dass es in guten Zeiten ebenso darum gehen muss, die Schulden abzubauen.
Die außergewöhnliche Finanzlage durch die Covidpandemie wird dazu führen, dass es nicht um „immer mehr Staat“und wohl auch Stadt gehen kann. Sondern um einen neuen, effizienteren und effektiveren Umgang mit den Mitteln gehen muss. Dass die Ertragsanteile um 800 Millionen Euro geringer ausfallen, wird den Druck erhöhen, dass die vielen Aktivitäten der Stadt überprüft, evaluiert und effizienter gestaltet werden, wie auch der Koalitionsvertrag an mehreren Stellen verspricht.
Die Bekämpfung der Coronapandemie ist aktuell die politisch größte Herausforderung. Dass parallel zu den Investitionen zur Konjunkturstärkung, in den Bereichen Bildung oder Klimaschutz, auch Entlastung und Entbürokratisierung unter dem Motto „So viel Freiheit wie möglich, so viel Regulierung wie nötig“verankert sind, ist in Wien wichtig und richtig. Die rot-pinke Koalition will etwa alle Abgaben überprüfen, um Bagatellabgaben zu identifizieren oder mit einer digitalen Lösung Behördenwege abzuschaffen. Auch hat sich die Wiener Stadtregierung das Ziel gesetzt, alle Landesgesetze und Verordnungen zu durchforsten und überholte Vorschriften abzuschaffen. Wirtschaften in dieser Stadt soll einfacher werden.
Klar ist aber, dass die aktuelle Rezession und Krise auch für die gesamte Republik großen Reformbedarf aufzeigen. Ein echter Föderalismus würde davon leben, dass Aufgaben und Einnahmen stärker aneinander gekoppelt sind. Die Entlastung des Faktors Arbeit würde für einen zusätzlichen Schub für die Schaffung neuer Jobs sorgen. Und mehr Transparenz und eine bessere Koordination zwischen Bund, Ländern und Gemeinden die Gesundheitskrise besser meistern lassen.
Die neue „sozial-liberale“Koalition in Wien bietet jedenfalls die Chance, zentrale liberale Werte zu verankern: von der Erneuerung des Bildungs- und Aufstiegsversprechens bis zur Verpflichtung des Staates zu Transparenz gegenüber seinen Bürgern. Damit lebt die Chance, dass Wien wieder zu einem liberalen Zentrum und Vorbild wird.