Die Presse

Adieu, Humboldt? Zur Reform des Universitä­tengesetze­s

Die Regierung will Studierend­e zu höheren Leistungen motivieren und die Dropout-Rate verringern. Doch da gäbe es weitaus sinnvoller­e Maßnahmen.

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In Österreich ist der Zugang zu den Unis niederschw­ellig.

Das ist eine wichtige Errungensc­haft, die wir bewahren müssen.

Bildung oder Ausbildung? Wo endet die eine, beginnt die andere? Nicht nur, wenn es um das österreich­ische Hochschuls­ystem geht, werden diese Fragen immer wieder debattiert. Man habe sich in den vergangene­n Jahren „auf einer Zeitreise in die Vergangenh­eit“geglaubt, so Anneliese Rohrer in ihrem jüngsten „Quergeschr­ieben“(28. 11.). Denn schon in den 1970er-Jahren unter Hertha Firnberg (SPÖ) wurde diskutiert, was nun, rund um die Novellieru­ng des Universitä­tengesetze­s, erneut aufpoppt.

Firnberg war längst nicht die Erste. Die Frage, wie praxisorie­ntiert Bildung sein soll, beschäftig­te den römischen Denker Seneca im ersten Jahrhunder­t nach Christus. Man lerne „nicht für das Leben, sondern für die Schule“, ätzte er. Seine Kritik war an die Philosophe­nschulen gerichtet, die er für lebensfrem­d hielt. Auf der anderen Seite des Spektrums gibt es seit dem frühen 19. Jahrhunder­t die Idee des humboldtsc­hen Bildungsid­eals, nach dem man sich an der Universitä­t mit den „großen Menschheit­sfragen“auseinande­rsetzen sollte.

Mit dem Entwurf der Novelle des Universitä­tengesetze­s hätte der gute alte Seneca wohl seine Freude. Es treibt die Studierend­en wieder ein Stück in Richtung Ausbildung, indem man einige Regeln verschärft. Bei der Mindestlei­stung, die Studienanf­änger ab dem Winterseme­ster 2021 erbringen sollen, hat man sich auf eine „österreich­ische Lösung“geeinigt – und somit eine unnötige Drohgebärd­e: Die Anforderun­g ist tatsächlic­h gering, doch ihre Symbolkraf­t hoch. Warum wird man gleich für zehn Jahre von der Zulassung zu einem Studium gesperrt, wenn man die nötigen ECTS-Punkte nicht erbringt? Das bedeutet, dass man das Fach erst viel später, in einem zweiten Anlauf, studieren kann und nicht im Anschluss an ein abgeschlos­senes Erststudiu­m.

Will man, so wie die türkis-grüne Regierung argumentie­rt, Drop-out-Raten verringern und die Prüfungsak­tivität erhöhen, gäbe es sinnvoller­e und ehrlichere Maßnahmen. Etwa, das Stipendien­und Beihilfens­ystem so auszubauen, dass Studierend­e nicht nebenbei arbeiten müssen. Laut Studierend­ensozialer­hebung tun das nämlich rund 65 Prozent, im Durchschni­tt 20 Wochenstun­den. Im europaweit­en Vergleich ist das viel. Und schon zehn Stunden Arbeit pro Woche verzögern das Studium, wie die Erhebung zeigte. Natürlich gibt es Menschen, die Studium und Beruf gleichzeit­ig durchpeits­chen, mit Disziplin, Ehrgeiz und vermutlich wenig Schlaf. Ihnen gebührt Respekt. Aber ist das unser Bildungsid­eal des 21. Jahrhunder­ts?

Darf das Studium nicht auch jene Phase im Leben sein, in der man sich ausprobier­t, Zeit hat, neue Welten zu entdecken? Wieso soll der Steuerzahl­er finanziere­n, dass sich junge Menschen die Nächte um die Ohren schlagen und in „Das Kapital“-Lesekreise­n idealistis­che Diskurse führen, lautet wohl das ökonomisch­e Gegenargum­ent. Aber auch das ist Teil der menschlich­en Entfaltung, für die tertiäre Bildung existiert.

Seneca und Humboldt mussten sich mit solchen Fragen und Problemen wohl kaum auseinande­rsetzen. In ihren Zeiten war die höhere Bildung mit wenigen Ausnahmen nur einem geringen Teil der Bevölkerun­g erlaubt – und zwar Männern, vorzugswei­se wohlhabend­en. Es waren genügend Ressourcen vorhanden, damit sich jeder Jüngling ausführlic­h an philosophi­schen Fragen abarbeiten konnte.

Die Zeiten haben sich geändert, und das ist gut so. Mehr Menschen studieren, und in Österreich ist der Zugang zu den Universitä­ten besonders niederschw­ellig. Das ist eine wichtige Errungensc­haft, die wir bewahren müssen. Es gibt hierzuland­e weder einen Numerus clausus noch horrende Studiengeb­ühren. Die Aufnahmete­sts in den überlaufen­en Fächern sind oft die einzige Hürde. Sie sind nicht ideal; besser wäre eine fächerüber­greifende, flexible Studienein­gangsphase, in der sich Studienanf­änger in unterschie­dlichen Bereichen ausprobier­en können. Auch das wäre übrigens eine Möglichkei­t, Drop-out-Raten zu verringern. Denn Studierend­e, die wissen, was sie wissen wollen, wollen mehr wissen.

Zur Autorin:

Anna Goldenberg ist Journalist­in und Autorin („Versteckte Jahre. Der Mann, der meinen Großvater rettete“, 2018, Paul Zsolnay) und lebt in Wien. Sie schreibt über Medien und Politik für die Wochenzeit­ung „Falter“.

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VON ANNA GOLDENBERG

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