Die Presse

Globalisie­rung trotzt der Pandemie

Vernetzt. Der globale Fluss von Waren, Geld und Daten blieb 2020 überrasche­nd immun gegen das Virus. Für die Menschen wurde die Welt aber kleiner.

- VON MATTHIAS AUER

Der globale Fluss von Waren, Geld und Daten blieb immun gegen das Coronaviru­s.

Wien. Zu Weihnachte­n gehören die heimischen Skipisten nur den Österreich­ern. Die EU entdeckt die Autarkie für sich und holt die Fabriken heim. Und selbst die große Globalisie­rungs-Hoffnung Joe Biden macht keine Anstalten, an der „America first“-Strategie seines Vorgängers zu rütteln. Versetzt die Pandemie der Globalisie­rung wirklich den Todesstoß, wie so mancher Ökonom seit Monaten warnt?

Steven Altman, Professor an der New York Stern University, hat eine erste fundierte Antwort auf diese Frage parat. Mit dem Global Connectedn­ess Index (GCI), destillier­t aus 3,5 Millionen Datenpunkt­en, legt er die umfassends­te Vermessung der vernetzten Welt im Coronajahr vor. Seine Diagnose: Die Globalisie­rung übersteht das Virus besser als gedacht.

Ein steiles V im Welthandel

Zwar wird der Index heuer etwas zurückgehe­n. „Aber die Globalisie­rung ist 2020 nicht kollabiert“, sagt Altman zur „Presse“. Im Gegenteil. So hält sich der GCI etwa deutlich über dem Niveau der Finanzkris­e 2008/09. Und in einigen Bereichen ist die Delle kaum noch sichtbar. Der Index misst neben dem Welthandel auch die globalen Bewegungen von Geld, Daten und Menschen. Sie alle wurden vom Virus höchst unterschie­dlich getroffen.

Besonders ausgiebig berichtete­n Medien über den drastische­n Einbruch des Warenhande­ls im Frühling. Das wundersame Comeback fand hingegen weniger Platz. „Es war ein sehr steiles V, das wir erlebt haben“, sagt John Pearson, Chef des Paketdiens­tleisters und Studien-Financiers DHL Express. Im September lag der Welthandel nur noch zwei Prozent unter dem Niveau vor der Krise. Für 2021 erwartet der Internatio­nale Währungsfo­nds schon wieder ein robustes Wachstum des Welthandel­s von acht Prozent. Zudem wurden 2020 – trotz Pandemie und Autarkiebe­strebungen vieler Länder – etliche Freihandel­sabkommen abgeschlos­sen; zuletzt das weltgrößte

zwischen China und 14 asiatischp­azifischen Staaten. Vom neuen US-Präsidente­n Joe Biden erwartet der Ökonom Altman „mehr Stabilität und freundlich­ere Töne“. Die „fundamenta­len Spannungen“mit China aber „bleiben bestehen“.

So wenig Touristen wie 1990

Die digitale Vernetzung der Welt profitiert­e stark von der Coronakris­e. Der internatio­nale Internetve­rkehr stieg von Mitte 2019 bis Mitte 2020 um fast 50 Prozent.

Weniger robust waren die globalen Kapitalflü­sse. Direktinve­stitionen aus dem Ausland werden heuer um bis zu 40 Prozent einbrechen. Dank der Hilfe von Staaten und Notenbanke­n erholten sich die Investitio­nen zwar über den Sommer rasch. Doch schon im September ging es wieder bergab.

Ausschlagg­ebend für den heurigen Rückgang des Globalisie­rungsindex sind aber die Menschen. Für sie ist die Welt 2020 wirklich kleiner geworden. Zigmillion­en Migranten und Studenten blieben daheim oder mussten in ihre Heimat zurück. Zudem sind so wenig internatio­nale Touristen unterwegs wie zuletzt vor 30 Jahren. Schnell wird dieser 70-prozentige Einbruch auch nicht überstande­n sein. Denn nicht nur Österreich macht es Gästen aus dem Ausland momentan schwer. Fast die Hälfte aller Urlaubsdes­tinationen hat die Grenzbalke­n unten.

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