Globalisierung trotzt der Pandemie
Vernetzt. Der globale Fluss von Waren, Geld und Daten blieb 2020 überraschend immun gegen das Virus. Für die Menschen wurde die Welt aber kleiner.
Der globale Fluss von Waren, Geld und Daten blieb immun gegen das Coronavirus.
Wien. Zu Weihnachten gehören die heimischen Skipisten nur den Österreichern. Die EU entdeckt die Autarkie für sich und holt die Fabriken heim. Und selbst die große Globalisierungs-Hoffnung Joe Biden macht keine Anstalten, an der „America first“-Strategie seines Vorgängers zu rütteln. Versetzt die Pandemie der Globalisierung wirklich den Todesstoß, wie so mancher Ökonom seit Monaten warnt?
Steven Altman, Professor an der New York Stern University, hat eine erste fundierte Antwort auf diese Frage parat. Mit dem Global Connectedness Index (GCI), destilliert aus 3,5 Millionen Datenpunkten, legt er die umfassendste Vermessung der vernetzten Welt im Coronajahr vor. Seine Diagnose: Die Globalisierung übersteht das Virus besser als gedacht.
Ein steiles V im Welthandel
Zwar wird der Index heuer etwas zurückgehen. „Aber die Globalisierung ist 2020 nicht kollabiert“, sagt Altman zur „Presse“. Im Gegenteil. So hält sich der GCI etwa deutlich über dem Niveau der Finanzkrise 2008/09. Und in einigen Bereichen ist die Delle kaum noch sichtbar. Der Index misst neben dem Welthandel auch die globalen Bewegungen von Geld, Daten und Menschen. Sie alle wurden vom Virus höchst unterschiedlich getroffen.
Besonders ausgiebig berichteten Medien über den drastischen Einbruch des Warenhandels im Frühling. Das wundersame Comeback fand hingegen weniger Platz. „Es war ein sehr steiles V, das wir erlebt haben“, sagt John Pearson, Chef des Paketdienstleisters und Studien-Financiers DHL Express. Im September lag der Welthandel nur noch zwei Prozent unter dem Niveau vor der Krise. Für 2021 erwartet der Internationale Währungsfonds schon wieder ein robustes Wachstum des Welthandels von acht Prozent. Zudem wurden 2020 – trotz Pandemie und Autarkiebestrebungen vieler Länder – etliche Freihandelsabkommen abgeschlossen; zuletzt das weltgrößte
zwischen China und 14 asiatischpazifischen Staaten. Vom neuen US-Präsidenten Joe Biden erwartet der Ökonom Altman „mehr Stabilität und freundlichere Töne“. Die „fundamentalen Spannungen“mit China aber „bleiben bestehen“.
So wenig Touristen wie 1990
Die digitale Vernetzung der Welt profitierte stark von der Coronakrise. Der internationale Internetverkehr stieg von Mitte 2019 bis Mitte 2020 um fast 50 Prozent.
Weniger robust waren die globalen Kapitalflüsse. Direktinvestitionen aus dem Ausland werden heuer um bis zu 40 Prozent einbrechen. Dank der Hilfe von Staaten und Notenbanken erholten sich die Investitionen zwar über den Sommer rasch. Doch schon im September ging es wieder bergab.
Ausschlaggebend für den heurigen Rückgang des Globalisierungsindex sind aber die Menschen. Für sie ist die Welt 2020 wirklich kleiner geworden. Zigmillionen Migranten und Studenten blieben daheim oder mussten in ihre Heimat zurück. Zudem sind so wenig internationale Touristen unterwegs wie zuletzt vor 30 Jahren. Schnell wird dieser 70-prozentige Einbruch auch nicht überstanden sein. Denn nicht nur Österreich macht es Gästen aus dem Ausland momentan schwer. Fast die Hälfte aller Urlaubsdestinationen hat die Grenzbalken unten.