„Will kein Wahrheitsministerium“
Medien und Demokratie. Die Kommission hat hehre Ziele, Meinungsfreiheit zu schützen, aber kaum Kompetenzen dazu. Die autoritäre Wende in Slowenien veranschaulicht das.
Brüssel. Zwei neue Dokumente der Europäischen Kommission illustrieren den großen Zwiespalt zwischen den politischen Ambitionen der Brüsseler Behörde und ihren faktischen Möglichkeiten, sie zu erreichen. Mit ihren beiden Aktionsplänen für die europäische Demokratie und zur Unterstützung der Erholung und des Wandels von Europas Medien trägt die Kommission der Erkenntnis Rechnung, dass es um die informierte, transparente und faire politische Auseinandersetzung in Europa vielerorts schlecht bestellt ist: „Die Unversehrtheit von Wahlen ist bedroht, das Umfeld, in dem Journalisten und die Bürgergesellschaft tätig sind, hat sich verschlechtert, und koordinierte Bemühungen, falsche und irreführende Informationen zu verbreiten sowie die Wähler zu manipulieren, waren zu beobachten.“
Was gedenkt die Kommission dagegen zu tun? Am konkretesten in einer langen Liste von Ankündigungen ist das Vorhaben, im kommenden Jahr einen Gesetzesvorschlag zu präsentieren, welcher die Transparenz von fremdfinanzierten politischen digitalen Veröffentlichungen erhöhen soll. „Bürger, Zivilgesellschaft und zuständige Behörden müssen in der Lage sein, die Quelle und den Zweck von solcher Werbung klar zu sehen“, heißt es in dem Aktionsplan. Genauere Angaben über den Inhalt dieses Gesetzesvorhabens machte die Kommission nicht, aber sie strich hervor, dass auch Onlineanbieter, Werbefirmen und politische Berater neue Pflichten erhalten sollen. Zudem will die Kommission das Anlegen psychologischer Profile und die dadurch ermöglichte, unter Umständen manipulative Gestaltung von individuellen Werbebotschaften (das „MicroTargeting“) im politischen Kontext weiter einschränken.
Mit demselben Ziel, die Transparenz der Finanzierung politischer Kampagnen zu verbessern, will die Kommission zudem die Verordnung über die Regeln für die Finanzierung europäischer politischer Parteien rechtzeitig vor den nächsten Wahlen zum Europaparlament, die im Jahr 2024 stattfinden werden, novellieren. Pferdefuß dieses Vorhabens: Nationale Wahlen und Kampagnen sind nicht erfasst, denn dafür fehlt es der EU an der rechtlichen Zuständigkeit.
Darüber hinaus ist der Kommission auch der Kampf gegen Desinformation ein Anliegen. Sie will stärker mit Faktenprüfern zusammenarbeiten und erstmals aus dem „Creative Europe“-Posten des nächsten Unionsbudgets Programme zur Medienkompetenz vor allem von Jugendlichen finanzieren. „Ich will aber kein Wahrheitsministerium“, bemühte sich die zuständige Vizepräsidentin der Kommission, Veraˇ Jourova,´ am Donnerstag bei der Vorstellung dieser Vorhaben darum, Kritik zuvorzukommen.
Sehr besorgt, aber ziemlich machtlos
Die Grenzen dessen, was die Kommission in der Frage von Demokratie und Medienfreiheit tun kann, lassen sich jedoch schon jetzt am Beispiel Sloweniens erkennen. Dessen christlichsozialer Ministerpräsident, Janez Jansa,ˇ führt seit Monaten einen von ihm geneigten Internettrollen flankierten Kampf gegen die Medien, die er als unpatriotisch verunglimpft. Erst diese Woche kündigte er der Nachrichtenagentur Sta die Abgeltung ihrer vertraglich festgelegten Leistungen. Das macht die Hälfte ihres Haushalts aus und bedeutet eine existenzielle Gefährdung. Was sie in dieser Sache zu tun gedenke, wurde Jourova´ gefragt? Sie sei „sehr besorgt“und mit der slowenischen Regierung in Kontakt – verwies aber auch darauf, dass die Streichung des Entgelts an die Sta auf slowenischem Recht fuße. Sprich: Es gibt kaum rechtliche Anknüpfungspunkte für ein Einschreiten der Kommission.
Das ist in der Frage der Gängelung der polnischen Richter durch die nationalautoritäre Regierung in Warschau anders. Am Donnerstag legte die Kommission in diesem Rechtsstreit um die politisch gleichgeschaltete Disziplinarkammer des polnischen Höchstgerichts nach und verschickte ein neues mit Gründen versehenes Schreiben nach Warschau. Im April hatte nämlich der Gerichtshof der EU die Aussetzung dieser Kammer, die kritische Richter gängelt, befohlen – doch Polens Regierung sprach dem EuGH postwendend die Zuständigkeit ab.