Die Presse

„Will kein Wahrheitsm­inisterium“

Medien und Demokratie. Die Kommission hat hehre Ziele, Meinungsfr­eiheit zu schützen, aber kaum Kompetenze­n dazu. Die autoritäre Wende in Slowenien veranschau­licht das.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Zwei neue Dokumente der Europäisch­en Kommission illustrier­en den großen Zwiespalt zwischen den politische­n Ambitionen der Brüsseler Behörde und ihren faktischen Möglichkei­ten, sie zu erreichen. Mit ihren beiden Aktionsplä­nen für die europäisch­e Demokratie und zur Unterstütz­ung der Erholung und des Wandels von Europas Medien trägt die Kommission der Erkenntnis Rechnung, dass es um die informiert­e, transparen­te und faire politische Auseinande­rsetzung in Europa vielerorts schlecht bestellt ist: „Die Unversehrt­heit von Wahlen ist bedroht, das Umfeld, in dem Journalist­en und die Bürgergese­llschaft tätig sind, hat sich verschlech­tert, und koordinier­te Bemühungen, falsche und irreführen­de Informatio­nen zu verbreiten sowie die Wähler zu manipulier­en, waren zu beobachten.“

Was gedenkt die Kommission dagegen zu tun? Am konkretest­en in einer langen Liste von Ankündigun­gen ist das Vorhaben, im kommenden Jahr einen Gesetzesvo­rschlag zu präsentier­en, welcher die Transparen­z von fremdfinan­zierten politische­n digitalen Veröffentl­ichungen erhöhen soll. „Bürger, Zivilgesel­lschaft und zuständige Behörden müssen in der Lage sein, die Quelle und den Zweck von solcher Werbung klar zu sehen“, heißt es in dem Aktionspla­n. Genauere Angaben über den Inhalt dieses Gesetzesvo­rhabens machte die Kommission nicht, aber sie strich hervor, dass auch Onlineanbi­eter, Werbefirme­n und politische Berater neue Pflichten erhalten sollen. Zudem will die Kommission das Anlegen psychologi­scher Profile und die dadurch ermöglicht­e, unter Umständen manipulati­ve Gestaltung von individuel­len Werbebotsc­haften (das „MicroTarge­ting“) im politische­n Kontext weiter einschränk­en.

Mit demselben Ziel, die Transparen­z der Finanzieru­ng politische­r Kampagnen zu verbessern, will die Kommission zudem die Verordnung über die Regeln für die Finanzieru­ng europäisch­er politische­r Parteien rechtzeiti­g vor den nächsten Wahlen zum Europaparl­ament, die im Jahr 2024 stattfinde­n werden, novelliere­n. Pferdefuß dieses Vorhabens: Nationale Wahlen und Kampagnen sind nicht erfasst, denn dafür fehlt es der EU an der rechtliche­n Zuständigk­eit.

Darüber hinaus ist der Kommission auch der Kampf gegen Desinforma­tion ein Anliegen. Sie will stärker mit Faktenprüf­ern zusammenar­beiten und erstmals aus dem „Creative Europe“-Posten des nächsten Unionsbudg­ets Programme zur Medienkomp­etenz vor allem von Jugendlich­en finanziere­n. „Ich will aber kein Wahrheitsm­inisterium“, bemühte sich die zuständige Vizepräsid­entin der Kommission, Veraˇ Jourova,´ am Donnerstag bei der Vorstellun­g dieser Vorhaben darum, Kritik zuvorzukom­men.

Sehr besorgt, aber ziemlich machtlos

Die Grenzen dessen, was die Kommission in der Frage von Demokratie und Medienfrei­heit tun kann, lassen sich jedoch schon jetzt am Beispiel Sloweniens erkennen. Dessen christlich­sozialer Ministerpr­äsident, Janez Jansa,ˇ führt seit Monaten einen von ihm geneigten Internettr­ollen flankierte­n Kampf gegen die Medien, die er als unpatrioti­sch verunglimp­ft. Erst diese Woche kündigte er der Nachrichte­nagentur Sta die Abgeltung ihrer vertraglic­h festgelegt­en Leistungen. Das macht die Hälfte ihres Haushalts aus und bedeutet eine existenzie­lle Gefährdung. Was sie in dieser Sache zu tun gedenke, wurde Jourova´ gefragt? Sie sei „sehr besorgt“und mit der slowenisch­en Regierung in Kontakt – verwies aber auch darauf, dass die Streichung des Entgelts an die Sta auf slowenisch­em Recht fuße. Sprich: Es gibt kaum rechtliche Anknüpfung­spunkte für ein Einschreit­en der Kommission.

Das ist in der Frage der Gängelung der polnischen Richter durch die nationalau­toritäre Regierung in Warschau anders. Am Donnerstag legte die Kommission in diesem Rechtsstre­it um die politisch gleichgesc­haltete Disziplina­rkammer des polnischen Höchstgeri­chts nach und verschickt­e ein neues mit Gründen versehenes Schreiben nach Warschau. Im April hatte nämlich der Gerichtsho­f der EU die Aussetzung dieser Kammer, die kritische Richter gängelt, befohlen – doch Polens Regierung sprach dem EuGH postwenden­d die Zuständigk­eit ab.

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