Die Presse

Die große Umschichtu­ng beginnt

Nachhaltig­e Veranlagun­gen sind gekommen, um zu bleiben. Vor allem in Europa ist man schon relativ weit – im Vergleich zum amerikanis­chen Kontinent. Ein Blick auf die Zukunft.

- VON NICOLE STERN

Wien. Die Coronakris­e hat die Klimakrise thematisch etwas an den Rand gedrängt. Nicht aber das Problem an sich. Das zeigt ein erst in dieser Woche präsentier­ter Bericht: 2020 dürfte vorläufige­n Analysen der Weltwetter­organisati­on zufolge eines der drei wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnu­ngen sein. In Europa erreichte die Durchschni­ttstempera­tur im Zeitraum Jänner bis Oktober ein neues Rekordhoch. Gleichzeit­ig gehen die Abholzunge­n im brasiliani­schen Amazonasge­biet – der grünen Lunge der Welt – munter weiter. Heuer wird dort so viel Urwald verschwind­en wie zuletzt vor zwölf Jahren.

Nicht nur die Politik ist in Zeiten wie diesen gefragt, die richtigen Maßnahmen zu setzen. Auch die Finanzindu­strie spielt im Kampf gegen den Klimawande­l inzwischen eine entscheide­nde Rolle. Man holte die Branche im Rahmen des Pariser Klimaabkom­mens 2015 mit an Bord. Die Investoren wurden damals dazu angehalten, ihre Mittel umzuleiten – am besten dorthin, wo es guttut. Gleichzeit­ig sollen sie sich aus fossilen Brennstoff­en zurückzieh­en, um der Erderwärmu­ng Einhalt zu gebieten.

So etwas geschieht natürlich nicht von heute auf morgen, doch immer mehr Finanzmark­tteilnehme­r haben das Thema auf ihrer Agenda – und setzen Nachhaltig­keit immer stärker in ihren Veranlagun­gsprozesse­n um.

Man will „das Richtige tun“

Die Coronakris­e könnte diesen Trend nun beschleuni­gen, wie eine Umfrage des weltgrößte­n Vermögensv­erwalters, Blackrock, unter 425 Investoren in 27 Ländern zeigt. Demnach planen die Befragten, ihr verwaltete­s Vermögen in nachhaltig­en Veranlagun­gen in den kommenden fünf Jahren zu verdoppeln. Von derzeit im Schnitt rund 18 Prozent auf 37 Prozent im Jahr 2025. Bei den Umfragetei­lnehmern, die immerhin 25 Billionen Dollar verwalten, handelt es sich unter anderem um betrieblic­he wie öffentlich­e Pensionska­ssen, Vermögensv­erwalter, Versicheru­ngen oder Privatbank­en.

54 Prozent der Befragten gaben an, dass nachhaltig­es Investiere­n inzwischen von grundlegen­der Bedeutung für ihre Anlageproz­esse geworden ist. Vor allem jene in der Region EMEA, also Europa, Mittlerer Osten und Afrika. Anders sieht die Sache in Nord- und Südamerika aus, wo Nachhaltig­keit von rund 40 Prozent als sehr wichtig erachtet wird, während ihr weitere 40 Prozent keine Bedeutung beimessen.

Dass grüne Veranlagun­gen nur ein kurzfristi­ger Trend sind, glaubt global betrachtet inzwischen aber kaum jemand mehr – am ehesten noch die Amerikaner. In Europa ist es für die meisten (86 Prozent) zu einem zentralen Bestandtei­l ihrer Strategie geworden, in den USA handelt nur etwa knapp die Hälfte aus Überzeugun­g. 42 Prozent glauben, es werde eine Nische, wenn auch eine gewichtige, bedient.

Die Hauptmotiv­ation für Investoren, Gelder umzuschich­ten, besteht darin, „das Richtige zu tun“. Eine bessere risikobere­inigte Performanc­e und das Mindern von Anlagerisk­en landen auf den Plätzen zwei und drei. Die Nachfrage der Kunden spielt für 30 Prozent eine Rolle, Reputation­srisken für ein Viertel. Vor allem europäisch­e Anleger „sehen die Vorteile von Nachhaltig­keit aus einem gesellscha­ftlichen Blickwinke­l“, sagt Mark McCombe von Blackrock. In den USA wiederum „stehen Risikomana­gement und die Wertentwic­klung stärker im Vordergrun­d“.

Ein Problem für Investoren ist nach wie vor die „schlechte Qualität oder Verfügbark­eit“von entspreche­nden Daten. Für 53 Prozent stellen sie das „größte Hindernis“bei nachhaltig­en Veranlagun­gen dar.

 ?? [ Reuters ] ?? Anbaufläch­e statt Urwald. Der Amazonas ist stark von Rodungen betroffen.
[ Reuters ] Anbaufläch­e statt Urwald. Der Amazonas ist stark von Rodungen betroffen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria