„Viele Corona-Maßnahmen wirken wie ein Alibi“
Dirigent im Gespräch. Fabio Luisi über seine letzte Premiere an der Zürcher Oper, den Umgang mit der CovidKrise in Europa und den USA und seine Zukunftspläne.
Die Presse: Durch die Corona-Pandemie dirigieren Sie Ihre letzte Premiere als Generaldirektor der Zürcher Oper – „Simon Boccanegra“am 6. 12. – unter ungewohnten Umständen. Wird die Inszenierung von Andreas Homoki das reflektieren? Fabio Luisi: Nein, die Inszenierung wird nicht auf die aktuelle Situation Bezug nehmen, das wäre banal und billig. Dennoch haben die Distanzregeln das Regieteam gezwungen, Umstellungen vorzunehmen, die sich auch im Konzept widerspiegeln werden. So wird der Chor nicht in die Aktion auf der Bühne integriert, sondern als imaginative Präsenz ins Geschehen involviert.
Welche Auswirkungen hatte Corona bisher auf das Schweizer Kulturleben?
Leider ist die Situation der Kultur und der Theater im Speziellen auch in der Schweiz schwierig. Dass nicht mehr als 50 Menschen im Publikum erlaubt sind, bedeutet für alle Theateraktivitäten einen Einbruch in den Einnahmen. Gerade für das Opernhaus Zürich, das als Aktiengesellschaft geführt wird, ist das sehr problematisch. Zum Teil wird das durch eine Kurzarbeit-Regelung aufgefangen.
Wie sehen Sie nach den bisherigen Erfahrungen die weitere Saison in der Schweiz? Und welche künstlerische Bilanz können Sie in Zürich ziehen?
Es ist sehr schwer, in diesem Jahr 2020 eine künstlerische Bilanz zu ziehen. Alles, was wir seit diesem Februar getan haben, wurde von Covid-19 stark beeinflusst. Ich glaube, das Opernhaus Zürich hat sehr viel Initiative, Mut und künstlerische Flexibilität gezeigt. Wir konnten unseren Spielplan mit einer erfolgreichen Produktion von „Boris Godunow“eröffnen, und auch „Simon Boccanegra“wird, wenn auch unter erschwerten Bedingungen, nun doch stattfinden.
Werden Sie auch künftig in Zürich dirigieren?
Es gibt Pläne.
Seit 2016 sind Sie Principal Conductor des Dänischen Radio-Sinfonieorchesters, seit 2020 zusätzlich Musikdirektor beim Dallas Symphony Orchestra. War es Ihnen in den vergangenen Monaten überhaupt möglich, diese Aufgaben wahrzunehmen? Sowohl in Dallas als auch in Kopenhagen haben wir unsere Saison wie geplant eröffnet, wenn auch mit geänderten Programmen. In Dallas spielen wir regelmäßig mit kleinerem, „distanziertem“Orchester, in Kopenhagen haben wir die Spielzeit sogar mit einem so groß besetzten Werk wie Mahlers zweiter Symphonie begonnen. In beiden Fällen konnten wir zwar nur vor kleinerem Publikum spielen, aber es war wichtig, Lebenszeichen zu setzen.
Im Vergleich zu Europa scheint die Situation in den USA ungleich schwieriger . . . Viele amerikanische Institutionen haben entschieden, die ganze Saison zu streichen, etwa die Metropolitan Opera, aber auch einige symphonische Orchester. Das ist ein sehr schlechtes Zeichen gegenüber dem Publikum und der kulturellen Umgebung dieser Städte. Andere Orchester, wie zum Beispiel Philadelphia und Cleveland, machen Streaming oder Aufnahmen, das ist schon etwas besser. In Dallas zeigen wir dagegen, dass es sehr wohl möglich ist, vor Publikum zu spielen, wenn Schutzmaßnahmen für Musiker, Staff und Publikum implementiert werden, man muss nur wollen. In Europa ist insofern alles einfacher für die Orchestermusiker, da ihre Stellen von der öffentlichen Hand subventioniert werden. In den USA ist eine Finanzierung ohne Kartenverkäufe und Sponsorenhilfe dagegen unmöglich. Meine Freunde im Orchester der Metropolitan Opera in New York sind
seit März ohne Einkommen, viele ziehen um, andere lassen sich pensionieren, einige verkaufen gerade ihre Häuser, das ist tragisch.
In Österreich wurde bisher stets betont, wie wichtig Kunst und Kultur sind. Doch wenn bei Lockdowns Supermärkte offenhalten dürfen, aber Theater und Konzertsäle trotz strenger Sicherheitsmaßnahmen nicht, gibt das fast den Anschein eines gewollten Paradigmenwechsels. Ist das ein zu skeptischer Befund?
Es ist erwiesen, dass Theater und Museen oder auch Schulen nicht die Orte sind, in denen eine Ansteckung wahrscheinlich ist. Deshalb scheinen mir viele von den Maßnahmen, die alle Regierungen jetzt treffen, ein wenig wie ein großes Alibi, um zu zeigen, dass man etwas, irgendetwas macht. Dieses Etwas ist aber so weit gestreut, dass es voller Widersprüchlichkeiten ist. Man kann doch nicht Rockkonzerte mit Opernaufführungen vergleichen oder Club- mit Museumsbesuchen. Die Gefahr besteht darin, dass man Kultur mit Unterhaltung gleichsetzt. Das passiert gerade, weil viele Entscheidungsträger diesen Unterschied nicht kennen.
Was haben Sie für die nächste Zukunft vor? Gibt es auch Pläne für Österreich?
Mit den Wiener Symphonikern hatte ich ein schönes Wiedersehen bei den Bregenzer Festspielen 2019, ich hoffe sehr, dass es wieder zu einem gemeinsamen Musizieren kommt. Wie auch mit dem Niederösterreichischen Tonkünstlerorchester – wir sind vergangenen September zusammen in Grafenegg aufgetreten. Mit der Wiener Staatsoper gibt es im Moment keinen Kontakt.
Wie sieht es künftig mit einer Position in einem Opernhaus aus, etwa in Paris?
Nach neun schönen Jahren am Opernhaus in Zürich möchte ich mich nun mehr auf das symphonische Repertoire konzentrieren. Ich habe in den nächsten Jahren nicht vor, mich für eine Position an einem Opernhaus zu interessieren, sondern möchte mich auf meine Orchester in Dallas und Kopenhagen konzentrieren. Daneben habe ich schöne Projekte mit dem Philadelphia Orchestra, mit dem Concertgebouw-Orkest in Amsterdam, mit der Filarmonica della Scala in Milano und vielen anderen.