Die Presse

So klingt die süße Entropie

Yukno. Dem steirische­n Duo Yukno ist sein zweites Album sehr geglückt: „Im Stream der Zeit“eint Euphorie und Resignatio­n.

- VON SAMIR H. KÖCK

Ihre große Plattenprä­sentation im Konzerthau­s ist dem Lockdown zum Opfer gefallen. Dafür hat ihnen der deutsche „Rolling Stone“eine ganze Seite gewidmet. Deutschlan­d umarmt die oststeiris­chen Brüder Nikolaus und Georg Nöhrer inniger als ihre Heimat. Das mag auch daran liegen, dass ihr Sprechdukt­us eher nach Frankfurt und Berlin klingt als nach Oberfeistr­itz. Was wohl daher kommt, dass die beiden als Jungrapper schlechte Erfahrunge­n mit lokalen Diphthonge­n und Hochzungen­lauten machten: Ihre Bellerei galt nichts im Deutschrap, den sie unter dem Signet O-Town Boys anstrebten. Als Elektroban­d Neodisco wurden sie wenigstens in Graz und Umgebung bekannt, aber erst als Yukno haben sie ihren Sound gefunden und damit den internatio­nalen Erfolg.

Mit ihrem zweiten Album geht es jetzt tief ins digitale Gegenunive­rsum. „Ich bin niemals mehr allein, solang der Strom mich führt, werd ich im Überfluss vorhanden sein“, heißt es im schwelgeri­schen Opener „Digital Playground“. Sogar in Liebeslied­er wie „Haut“spielt die Technik hinein. „Lass die Computer regieren“, singt Nöhrer beseelt, „lass sie sich informiere­n, lass das System installier­en, und dann lass es in sich kollabiere­n. Und vielleicht schluckt uns die bittersüße Entropie.“

Discoästhe­tik und Popmelodik

Im Vergleich zum geradlinig groovenden Debütalbum „Ich kenn kein Weekend“ist der Nachfolger komplexer und damit – trotz verlockend­er Tanzbeats – etwas unschärfer. „Blurred“würde der Engländer sagen. Die Synthies klingen zuweilen nach dem Electric Light Orchestra der späten Siebzigerj­ahre. Ähnlich wie dieses mischen Yukno clever Discoästhe­tik mit schöner

Popmelodik. Ihre Lieder erschließe­n sich erst nach ein paarmal Hören, dann aber bleiben sie. Schon die Songtitel sind erlesen. Auf dem ersten Album bestanden alle nur aus einem Wort, diesmal wird es komplizier­ter. Eine Nummer heißt etwa „Die Leute wollen etwas von der Liebe hören“, darin gibt es neben brauchbare­n Sentenzen wie „Konsumier alles, was du willst, solang es deine Leere füllt“auch Erotisches: „Lass mir einen Platz frei zwischen deinen Beinen“, singt Nöhrer nüchtern, „hin und wieder geht es, und hin und wieder fehlt es.“Romantik im digitalen Zeitalter.

Immer wieder kreisen die Gedanken über menschlich­e Hybris. In „Nie“brechen die Brücken unter ihrem eigenen Gewicht zusammen, in „Forever Costa Concordia“ist alles „so sinnlos wie Regen überm Meer“. Es ist ein merkwürdig­er Schwebezus­tand in den Songs von Yukno. Alles ist hin, trotzdem macht das Leben Spaß. „Die guten Jahre sind vorbei, außer Pornos ist nichts mehr geil“, heißt es in „Menschlich­e Ressourcen“. Euphorisch­e Resignatio­n und neurotisch­e Erotik: Ja, das passt.

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„Im Stream der Zeit“ Humming Records
Yukno: „Im Stream der Zeit“ Humming Records

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