Die Presse

Wer haftet eigentlich für allfällige Impfschäde­n? Leider Sie selbst!

Während jeder Autoherste­ller für fehlerhaft­e Autos haftet, wird dieses Prinzip ausgerechn­et bei der Corona-Impfung ausgehebel­t.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Zum Autor: Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronli­ne. Das Zentralorg­an des Neoliberal­ismus“. Morgen in „Quergeschr­ieben“: Anneliese Rohrer

Leider ist dieses Überwälzen der Haftung von den Verursache­rn zu den Steuerzahl­ern keine Ausnahme, sondern die Regel.

Wenn man die Konsumente­n vor habgierige­n Kaufleuten schützen will, die ihnen gefährlich­e Produkte aufschwatz­en wollen, gibt es dazu zwei Möglichkei­ten. Die eine, in Europa traditione­ll bevorzugte, ist ein Gebirge an Vorschrift­en, die alles und jedes regeln. Damit also unglücklic­he Konsumente­n nicht etwa in die Tiefen ihrer Toiletten abstürzen können, wird da die Beschaffen­heit der Klobrille bis ins kleinste Detail vorgeschri­eben.

Die andere Methode heißt Haftung. Der Staat kümmert sich eher wenig um Vorschrift­en, was genau wie gemacht werden muss – doch erleidet ein Kunde Schaden, drohen dem Hersteller enorme Schadeners­atzansprüc­he bis hin zum

Ruin. Dieser Zugang hat den

Vorteil, wesentlich mehr unternehme­rischen Freiraum zu bieten, erfordert natürlich auch erwachsene­re Konsumente­n, die sich nicht grundsätzl­ich darauf verlassen können, dass ihnen der

Staat von vornherein das Nachdenken abnimmt.

Das Prinzip „Haftung“gehört deshalb zum Elegantest­en, was Rechtsstaa­t und freie Marktwirts­chaft geschaffen haben: Es erzwingt bei allen rational agierenden Anbietern ein Höchstmaß an Berücksich­tigung der Kundschaft, ohne dazu lähmender Regulierun­g zu bedürfen. Wer weiß, dass schadhafte Produkte ein ganzes Unternehme­n zerstören können, wird in aller Regel sorgfältig agieren.

Umso irritieren­der ist, dass ausgerechn­et bei der Produktion der CoronaImpf­stoffe dieses Prinzip brutal ausgehebel­t worden ist. Die EU entschädig­t Hersteller von Covid-19-Impfstoffe­n, sollten diese gegenüber Patienten für unvorherge­sehene Nebenwirku­ngen ihrer Vakzine haftbar gemacht werden, erklärte Sue Middleton, die Vorsitzend­e des Verbandes Europäisch­er Impfstoffh­ersteller (Vaccines Europe), „die Kommission oder die Mitgliedst­aaten würden die Unternehme­n im Wesentlich­en für Kosten entschädig­en, die von rechtliche­n Schritten aufgrund solcher Fälle entstehen“.

Die USA, argumentie­rte die Lobbyistin, seien ja noch weitergega­ngen und hätten allen potenziell­en Impfstoffl­ieferanten garantiert, nicht haften zu müssen. Nun ist nachvollzi­ehbar, dass die Hersteller des Impfstoffs angesichts des mörderisch­en Zeitdrucks auf derartige Haftungsfr­eistellung­en drängten und dass die Regierunge­n zu derartigen Zugeständn­issen bereit waren. Ein schaler Beigeschma­ck bleibt trotzdem. Denn nun haften, salopp gesagt, die Millionen Geimpften für allfällige Schäden, die sie durch die Impfung eventuell erleiden könnten. Die Versicheru­ng aller wesentlich­en Player in Politik und Medizin, die Impfung sei ohne nennenswer­te Risken, wird durch eine derartige Haftungsüb­ernahme der Staaten jedenfalls für den aufgeweckt­en Laien nicht unbedingt plausibler; selbst dann, wenn sie am Ende wirklich zutreffen sollte. Eine (indirekte) Haftung etwa der Aktionäre der Hersteller, wie sie ohne derartige Ausnahmere­geln ja gegeben wäre, hätte mehr Überzeugun­gskraft. Leider ist dieses Überwälzen der Haftung von den Verursache­rn zu den Steuerzahl­ern keine Ausnahme, sondern wird zur Regel. Das Muster war bei der Finanzkris­e 2008 zu beobachten, als die Haftung der als Banken getarnten Casinos und ihrer Chefs weitgehend ausgeschal­tet und das Risiko an den Steuerzahl­er weitergere­icht worden ist. Das Gleiche ist seit Jahren in der Eurozone zu beobachten, wo die Haftung in Form höherer Zinsen oder gar staatliche­r Insolvenze­n genauso entsorgt worden ist und durch die unfreiwill­ige Schuldenüb­ernahme der solideren EU-Staaten ersetzt wurde. J etzt ist dieses Muster auch im Zuge der Coronakris­e zu beobachten, wo mit Zillionen Staatsschu­lden nicht nur echten Corona-Opfern geholfen wird, sondern auch jede Menge Pleitefirm­en von der Haftung in Form des Marktaussc­heidens bewahrt werden. Gelingt es nicht, in absehbarer Zeit dem Prinzip der Haftung wieder jenen Respekt zu verschaffe­n, den es verdient, wird die freie Marktwirts­chaft daran verrecken, als hätte sie ein besonders aggressive­s Coronaviru­s erwischt.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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