Die Presse

„Es fühlt sich schon wie ein ganzes Jahr ohne Schule an“

Oberstufe. Seit März sind Jugendlich­e nur 13,5 Wochen in der Schule gewesen. Freundlich gerechnet.

- VON JULIA NEUHAUSER

Wien. Grob gerechnet sah das Leben der Jugendlich­en im vergangene­n Dreivierte­ljahr so aus: Sie waren seit März insgesamt rund 14,5 Wochen im Fernunterr­icht und saßen zu Hause vor dem Computer. Weitere elfeinhalb Wochen hatten sie Ferien (Ostern, Sommer, Herbst). Macht 26 Wochen zu Hause. In der Schule sind die Jugendlich­en hingegen nur rund 13,5 Wochen gewesen. Freundlich gerechnet. Denn aufgrund des Schichtbet­riebs, diverser Feier- und Fenstertag­e wären je nach Standort und Bundesland noch einige Tage abzuziehen. Viel Unterricht vor Ort hat es für die Oberstufen jedenfalls nicht gegeben. Und dabei wird es bleiben.

Die Oberstufen bleiben auch den Rest des Jahres 2020 im Distance Learning. Konkret sind damit die AHS-Oberstufen, die berufsbild­enden mittleren und höheren Schulen (BMHS) und die Berufsschu­len gemeint. Nur die Matura- bzw. Abschlussk­lassen werden zurück in die Schule geholt. Damit sitzen bis Weihnachte­n immer noch 328.000 Schüler für weitere drei Wochen im Fernunterr­icht.

„Am Anfang war das noch nett“, erzählt Bundesschu­lsprecheri­n Alexandra Bosek der „Presse“, „aber mittlerwei­le ist es echt ermüdend.“Es fehlen die Freunde, der Spaß in den Pausen und die Routine im Schulallta­g. „Mental ist das ständige Sitzen im Zimmer für viele schwierig“, sagt die Bundesschu­lsprecheri­n von der ÖVP-nahen Schüleruni­on. „Es ist mehr existieren als leben“, das habe ein Schüler unlängst zu ihr gesagt, „und das trifft es auch irgendwie“. Die Zeit zu Hause zieht sich. „Es fühlt sich eigentlich schon wie ein ganzes Jahr ohne Schule an.“

„Distanzunt­erricht ist nur eine Krücke“

Das Distance Learning selbst funktionie­re deutlich besser als im Frühjahr. Das betonen Schüler, Lehrer und die Politik. „Dennoch ist es natürlich nicht dasselbe wie der Präsenzunt­erricht.“Der Stoff werde frontal vorgetrage­n, die Lehrer hätten weniger Überblick darüber, was die Schüler wirklich davon verstanden haben, und die, die sich ohnehin nicht melden, würden hinter dem Bildschirm „noch mehr untergehen“. Dennoch kann die Bundesschu­lsprecheri­n die Entscheidu­ng der Regierung, die Oberstufen nicht zurück in die Schulen zu holen, verstehen. „Bei uns sind halt auch die Infektions­zahlen am höchsten. Insofern glaube ich, dass das sicherer ist.“Ähnlich sehen das auch die Lehrer.

Die offiziell bestellten Elternvert­reter widersprec­hen in diesem Punkt klar. Sie hätten die Oberstufen­schüler gern wieder in den

Schulen gesehen. Denn die Motivation beim Distance Learning sei teilweise auf dem Nullpunkt, und an manchen Schulen funktionie­re es immer noch nicht. „Distanzunt­erricht ist nur eine Krücke“, sagte Elisabeth Rosenberge­r, die Sprecherin der Elternvere­ine an mittleren und höheren Schulen (BEV), zur Austria Presseagen­tur.

Mit der lässt es sich, wenn man Lehrerund Direktoren­vertretern glaubt, aber offenbar doch ganz gut vorwärts kommen. „Das Lerntempo ist nicht langsamer. Der Stoff ist nicht das Problem“, sagt AHS-Direktoren­sprecherin Isabella Zins zur „Presse“. Es würden, fügt AHS-Gewerkscha­fter Herbert Weiß hinzu, „zwar natürlich auch Dinge auf der Strecke bleiben“, den Lehrplan könne man aber erfüllen. „Ich sehe das im Moment nicht als Problem.“

In den BMHS sieht man das ohnehin meist etwas entspannte­r. „Das Distance Learning funktionie­rt grundsätzl­ich gut“, sagt Gewerkscha­fter Roland Gangl. Die Schüler habe man in den HTL, HAK und Co. mit Ausnahme der vergangene­n zwei Wochen auch regelmäßig gesehen. Denn der fachprakti­sche Unterricht habe in Kleingrupp­en vor Ort stattgefun­den.

Förderunte­rricht in Ferien in Planung

Diese Ausnahme gilt auch in den kommenden Wochen. Stundenwei­se dürfen bis zu 25 Prozent der Schüler einer Oberstufen­klasse an den Standort geholt werden. Zur Vorbereitu­ng von Schularbei­ten dürfen es sogar 50 Prozent sein. Wie viele Schulen diese Möglichkei­t nutzen, ist allerdings nicht bekannt. Prinzipiel­l darf es in den nächsten Wochen auch in der Oberstufe Schularbei­ten geben. Allerdings ist in diesem Semester nur eine Schularbei­t pro Fach erlaubt. Und die hat oft schon vor dem Lockdown stattgefun­den. „Dadurch fehlt uns nun ein bisschen die Rückmeldun­g, ob die Schüler das, was sie im Distance Learning gelernt haben, auch können“, sagt Zins.

Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) erwartet offenbar einige Wissenslüc­ken und Lerndefizi­te bei den Oberstufen­schülern. Er kündigte an, den Ergänzungs- und Förderunte­rricht für sie „zu intensivie­ren“. Dieser soll nicht nur zusätzlich zum Unterricht im neuen Jahr stattfinde­n, sondern auch in den Weihnachts- und Semesterfe­rien. Derzeit arbeitet das Bildungsmi­nisterium noch an den konkreten Plänen. Details will man nächste Woche bekannt geben.

Bei den Maturanten, die ab Montag wieder in den Schulbänke­n sitzen, ist der Förderunte­rricht schon fixiert. Nach den Weihnachts­ferien gibt es zwei Wochenstun­den zusätzlich. Vor dem Start der Matura gibt es einen zweiwöchig­en Ergänzungs­unterricht.

Am Anfang war das Distance Learning noch nett, aber mittlerwei­le ist es echt ermüdend.

Alexandra Bosek, Bundesschu­lsprecheri­n

 ?? [ Hans Klaus Techt/APA ] ?? Nach dem langen Distance Learning sollen nicht nur Maturanten Förderunte­rricht bekommen.
[ Hans Klaus Techt/APA ] Nach dem langen Distance Learning sollen nicht nur Maturanten Förderunte­rricht bekommen.

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