Welche Rolle Reiserückkehrer spielen
Corona. Haben „Rückkehrer aus den Herkunftsländern“im Sommer die Ausbreitung des Virus wieder angefacht? Die Zahlen zeigen jedenfalls: Reisetätigkeit spielte eine gewisse Rolle.
Wien. Für Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) war es einer der seltenen Anlässe für Kritik am Koalitionspartner: Es sei „einseitig und von mangelnder Sensibilität“getragen, wie die Reisebeschränkungen kommuniziert wurden, so Kogler am Donnerstag. Angesprochen war damit Bundeskanzler Sebastian Kurz: Der hatte davon gesprochen, dass das Virus durch Auslandsreisen eingeschleppt wurde.
„Wir hatten im Sommer sehr, sehr niedrige Ansteckungszahlen nach dem Lockdown und haben dann durch Reiserückkehrer und insbesondere durch Menschen, die in ihren Herkunftsländern den Sommer verbracht haben, uns Ansteckungen wieder ins Land hereingeschleppt“, so Kurz in der Pressekonferenz am Mittwoch. Ein Drittel der Neuinfektionen sei im Sommer aus dem Ausland eingeschleppt worden, bekräftigte der Bundeskanzler am Abend in der „ZiB 2“.
Vor allem der Hinweis auf die „Herkunftsländer“sorgte für breite Kritik, von SOS-Mitmensch bis hin zur Industriellenvereinigung. Man dürfe Migranten nicht zu Sündenböcken machen. „Ein Stigmatisieren von Bevölkerungsgruppen halte ich gerade in einer Krisensituation für nicht gut“, sagte der Wiener Bürgermeister, Michael Ludwig (SPÖ). Er verwies darauf, dass es sich um Personen handle, die oft in der kritischen Infrastruktur, in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen tätig sei.
Opfer, nicht Täter
Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) unterstützt die Reisewarnung und verwies am Donnerstag darauf, dass Cluster tatsächlich durch Reiserückkehrer entstanden seien: „Das ist Realität.“Man habe auch damit gerechnet, dass erhöhte Reisetätigkeit zu steigenden Infektionszahlen führen werde. Er werde aber keine Schuldzuweisungen machen, versicherte der Minister. Denn jeder, der erkranke, sei Opfer des Virus, nicht Täter.
Wie aber war die Entwicklung im Sommer tatsächlich? Und welche Rolle für das Infektionsgeschehen spielten Reiserückkehrer? Laut den Zahlen der Ages sind in den Kalenderwochen 27 bis 34 – das ist von Anfang Juli bis 23. August – 7727 Neuinfektionen registriert worden. Davon sind 2142 auf Reisetätigkeit ins Ausland zurückzuführen. Das ist nicht ganz das von Kurz angesprochene Drittel der Infektionen, aber immerhin 27 Prozent.
Aber handelt es sich dabei um Urlaubsreisende oder um Migranten auf Heimaturlaub? Aus den vorliegenden Daten lässt sich das schlicht nicht herauslesen. Der Grund der Reise beziehungsweise der Migrationshintergrund wird von den Gesundheitsbehörden nicht abgefragt. Bekannt ist, dass von den Auslandsurlaubern 1534 oder 71 Prozent auf dem Westbalkan (also im Wesentlichen im ehemaligen Jugoslawien) waren.
Hohe Zahlen nach Schulbeginn
In Wien hat sich das Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker angesichts der Aussagen von Kurz die Zahlen im Detail angesehen. Anders als von der Ages wurde hier der Zeitraum Mitte Juli bis Ende September im Detail untersucht. Das Ergebnis: 7,5 Prozent der Infektionen sind in diesem Zeitraum auf Reiserückkehrer zurückzuführen. Der Grund für die deutlich niedrigere Zahl: Wien hat nur die Fälle von Infektionen im Ausland mit einbezogen, die Ages auch die Folgefälle – also wenn jemand nach Infektion im Ausland auch Personen im Inland infiziert hat.
Über den Migrationshintergrund der Infizierten kann auch die Stadt Wien nichts aussagen, dazu liegen keine Daten vor. Wohl aber sind die Reisezielländer etwas genauer aufgeschlüsselt, was auch Rückschlüsse zulässt. 22,4 Prozent der Infizierten waren in der Türkei auf Urlaub. Unter den Staaten des Westbalkans spielt vor allem Kroatien eine große Rolle (21,5 Prozent). Das allerdings ist eher eine klassische Urlaubsdestination, Migranten auf Heimaturlaub kommen eher aus Serbien (4,8 Prozent) oder dem Kosovo (6,7 Prozent). Heimaturlauber aus Rumänien (3,8 Prozent) oder Ungarn (1,7 Prozent) spielten bei den Infektionen überhaupt eine untergeordnete Rolle. 7,9 Prozent der infizierten Reiserückkehrer hatten übrigens Urlaub in Österreich gemacht – mehr als die Hälfte davon in Salzburg.