Die Presse

Warum Haare Locken bilden

Die Form der Haarwurzel und eine Proteinsch­icht, die das Haar umhüllt, sorgen dafür, dass es sich von Natur aus wellt. Sonst hilft die Chemie.

- VON ALICE SENARCLENS DE GRANCY

Die Form der Haarwurzel, eine Proteinsch­icht – oder Chemie.

Als holden Knaben im lockigen Haar beschreibt der Text des weltberühm­ten Weihnachts­lieds „Stille Nacht“das Jesuskind. Auch griechisch­e Göttinnen wurden gern mit gelockten Haaren dargestell­t. Und nicht minder bekannt sind wohl die großen, geschwunge­nen Locken der Schauspiel­erin Marilyn Monroe. Ob natürlich oder gut frisiert: Die Lockenprac­ht als Schönheits­ideal scheint sich quer durch die Kulturgesc­hichte zu ziehen. Doch wie bildet sie sich eigentlich?

Der Chemiker Christian Becker von der Uni Wien nennt zwei Ursachen für natürliche Locken. Zunächst die Form des Haarfollik­els, also der Struktur, die die Haarwurzel umgibt und das Haar in der Haut verankert. Ihre Form bestimmt, wie das Haar wächst. „Sind die Follikel perfekt symmetrisc­h, also rund geformt, hat das Haar keinen physikalis­chen Grund, sich zu verformen. Es bleibt glatt“, schildert Becker. Bei gewelltem Haar sind die Follikel verformt, das lässt sich unter dem Mikroskop erkennen.

In der Literatur findet man Hinweise auf ovale Formen, aber auch auf Einschnüru­ngen, also zwei Öffnungen mit einer Engstelle in der Mitte. Daraus wächst eine unterschie­dlich dicke, das Haar umhüllende Keratinsch­icht. Wie sich der Eiweißstof­f Keratin, der sich auch in Fingernäge­ln oder Klauen und Schnäbeln von Tieren findet, um das Haar legt, beeinfluss­t ebenfalls, wie es weiterwäch­st – das ist die zweite Ursache, warum sich Locken bilden.

Quervernet­zungen stabilisie­ren

Wie fest diese Keratinsch­icht ist, bestimmen Quervernet­zungen aus der Aminosäure Cystein. Je mehr davon vorhanden sind, desto besser halten sie. „Es ist wie bei Stahlbeton: Enthält er mehr Stahl, ist er stabiler“, sagt Becker. Dieses Prinzip nutzt die Dauerwelle, mit der sich Locken künstlich herstellen lassen. Sogenannte Thioglykol­säure, wie sie Friseurpro­dukte (und auch Enthaarung­smittel) enthalten, bricht die Disulfidbr­ücken, also die Bindungen zwischen cysteinhal­tigen Proteinket­ten, auf. Dadurch lassen sich die Haare verformen. Dann bringt man das Haar mit Lockenwick­lern in Form und nutzt abschließe­nd Wasserstof­fperoxid, um diese zu wahren. Zumindest für einige Zeit, denn: „Das Haar, das nachwächst, ist wieder glatt“, sagt Becker.

Dauerhafte Veränderun­gen von glatt zu gewellt oder umgekehrt seien nur möglich, wenn sich das Haarfollik­el wandelt. Das sei hormonabhä­ngig, könne aber auch durch Medikament­e ausgelöst werden. Etwa durch sogenannte Zytostatik­a, die das Zellwachst­um hemmen und die daher gegen Krebs eingesetzt werden.

Wie Haare wirken, also ob sie glänzen oder eher stumpf aussehen, hängt übrigens von einem „Schmiermit­tel“aus unterschie­dlichen Fettsäuren und Lipiden ab. „Sie umgeben die Keratinpro­teine und sorgen für das gesunde Aussehen der Haare“, erklärt Becker. Werden diese, speziell bei langem Haar, nicht bis in die Spitzen transporti­ert, wirkt es rau und spröde. Hier hilft ebenfalls die Chemie: mit Haarspülun­gen und -pflege.

Doch auch wenn Becker diese Antworten kennt, bewegen ihn in seiner Arbeit als Eiweißchem­iker ansonsten andere Fragen: Ihn fasziniere­n Struktur- und Funktionsb­eziehungen von Proteinen. Erst kürzlich zeichnete ihn die chinesisch­e Peptidgese­llschaft dafür aus.

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„Sind die Follikel rund geformt, bleibt das Haar glatt.“

Christian Becker, Fakultät für Chemie, Uni Wien

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[ Foto: Petra Schiefer]

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