Leitartikel von Benedikt Kommenda
Das erstinstanzliche Urteil über den früheren Finanzminister zeigt, dass die Justiz gerade für die in der Öffentlichkeit wichtigsten Fälle schlecht gerüstet ist.
Karl-Heinz Grasser ist also schuldig, zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Das steht, nach einem fast genau dreijährigen Verfahren im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts, mitnichten fest. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Das Verfahren gegen den früheren Strahlemann und Finanzminister einen Prozess zu nennen, trifft die Sache nur formal richtig. Eigentlich ist es ein Zustand: Die Justiz ist nicht in der Lage, komplexere Wirtschafts- und Korruptionsstrafverfahren in angemessener Zeit abzuhandeln, obwohl das für die politische Hygiene und die Rechtstreue im Land so wichtig wäre wie Händewaschen in der Pandemie. Wenn ein Regierungsmitglied sich öffentliches Geld in die eigene Tasche stopft, muss es sofort Sanktionen geben. Nicht Jahrzehnte nach der Buwog-Privatisierung, die jetzt abgehandelt wurde.
Die Beteiligten haben ihr Bestes gegeben. Richterin Marion Hohenecker hat das Schöffenverfahren souverän geleitet, den von der Verteidigung angeprangerten Verdacht einer Befangenheit glaubwürdig zerstreut. Aus ihrem engsten privaten Umfeld hatte es Grasser-kritische Äußerungen gegeben, doch die Vorsitzende hat gezeigt, dass sie zu keiner Seite neigte. Die Anwälte haben – nicht nur mit Befangenheitsanträgen – alles versucht, Grasser und Co. freizubekommen. Und dabei schon wegen der enormen Dauer des Verfahrens sehr gut verdient. Auf der anderen Seite haben die beiden Staatsanwälte sich derart in den Fall verbissen, dass auch Nebensächlichkeiten feinst zerkaut wurden.
Und Grasser? Er hat die Rolle des angeblich schuldlos Verfolgten so gut gespielt, dass die öffentliche Meinung schon von „Hängt ihn höher!“auf „Der Arme!“drehte. Der Verdacht hat sich aus dieser Sicht vom Angeklagten auf das Verfahren verlagert: Dieses muss wohl so lang dauern, damit endlich etwas gefunden wird, was Grasser hieb- und stichfest nachgewiesen werden kann.
Doch dazu hätten das Verfahren und die 2009 begonnenen Vorarbeiten bis zur Anklage nicht mehr als ein Jahrzehnt dauern müssen. Und nicht dürfen: Um zu zeigen, dass das Verwechseln von fremdem – zumal öffentlichem – Geld mit dem eigenen nicht nichts, sondern in diesen Dimensionen ein Verbrechen ist, muss es Prozesse geben, die diese Bezeichnung verdienen. So wie die ungezählten Verfahren um Mord und Totschlag, Raub oder Einbruch, die von den Gerichten in durchaus respektabler Zeit abgewickelt werden.
Was also tun, um die großen Wirtschafts- und Korruptionsprozesse zu beschleunigen? Das eine Mittel wäre, was Mr. Strafrecht im Justizministerium, Christian Pilnacek, mit dem einfachen Satz „Derschlagts es!“ausgedrückt hat. Er wollte damit nicht, wie ihm unterstellt wurde, die Eurofighter-Ermittlungen insgesamt vorzeitig abstellen. Sondern er appellierte an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, Unwesentliches beiseitezulassen, damit sie sich auf das Wesentliche konzentrieren kann.
Ein Zweites wären strenge Fristen, deren Ablauf nicht zu einer mehrmaligen Verlängerung führen dürfte, sondern dazu, dass der Fall ohne Urteil erledigt ist. Ein Beispiel aus einem Bereich, der an öffentlichem Interesse dem Buwog-Verfahren um nichts nachsteht: Für die Anfechtung einer Wahl ist genau eine Woche ab Kundmachung des Ergebnisses Zeit. Für den bei der Bundespräsidentenwahl 2016 unterlegenen Norbert Hofer hat die Kanzlei des früheren Justizministers Dieter Böhmdorfer diese Zeit genützt, um eine 152-seitige und erfolgreiche Quasi-Anklage beim Verfassungsgerichtshof einzureichen. Einzelne Schöffengerichtsurteile gegen seinerzeitige Wahlleiter hingegen sind heute noch nicht rechtskräftig.
Die Wahlanfechtung hat mit dem Buwog-Verfahren in der Sache nichts zu tun. Aber eine vergleichbare, natürlich wesentlich längere Fallfrist würde auch die Strafjustiz zu mehr Effizienz und Tempo bis zum Urteil zwingen. Bis die Rechtsmittel von Karl-Heinz Grasser und den Mitangeklagten erledigt sind, wird es ohnehin noch lang genug dauern.