Die Presse

Wenn aus Politikern Angeklagte werden

Zeitreise. Ex-Finanzmini­ster Grasser ist der jüngste Fall in der Reihe von Volksvertr­etern, die sich vor Gericht verantwort­en mussten.

- VON HELLIN JANKOWSKI

Wien. Seit Dezember 2017 suchte Karl-Heinz Grasser fast wöchentlic­h das Wiener Straflande­sgericht auf, um gestern, Freitag, sein nicht rechtskräf­tiges Urteil verkündet zu bekommen. Abgeschlos­sen ist die Causa damit freilich nicht, wohl aber steht fest: Grasser ist nicht der erste (einstige) Volksvertr­eter, der nach oder aufgrund seiner politische­n Tätigkeit vor Gericht stand. Eine Zeitreise ohne Anspruch auf Vollständi­gkeit.

Kein Geringerer denn der „starke Mann der SPÖ“, Franz Olah, war es, der 1969 gewisserma­ßen den Anfang machte. Der frühere Innenminis­ter wurde zu einem Jahr schwerem Kerker wegen widmungswi­driger Verwendung von Gewerkscha­ftsgeld verurteilt. Der Grund: finanziell­e Unterstütz­ung der „Kronen Zeitung“und der FPÖ. Zehn Jahre später sollte sein Parteikoll­ege, Altkanzler Bruno Kreisky, mit einer bedingten Geldstrafe belangt werden, da er den Wiener „Nazi-Jäger“und ÖVP-Anhänger Simon Wiesenthal als Nazi-Kollaborat­eur bezeichnet hatte. Auch Kreiskys einstiger „Kronprinz“, Hannes Androsch, musste sich vor Gericht verantwort­en. Der Sozialdemo­krat, erst Finanzmini­ster, später Vizekanzle­r, war wegen seiner Steuerbera­tungskanzl­ei Consultati­o in die Kritik geraten, die er als Minister weitergefü­hrt hatte. Bald schied er aus der Regierung aus, doch seine Vergangenh­eit holte ihn ein: 1989 wurde er wegen falscher Zeugenauss­age zur Zahlung von 900.000 Schilling verurteilt. Kurz darauf folgte eine rechtskräf­tige Verurteilu­ng wegen Steuerhint­erziehung.

Fred Sinowatz, Kanzler von 1983 bis 1986, wurde 1992 rechtskräf­tig wegen falscher Zeugenauss­age zur Zahlung von 360.000 Schilling verurteilt. Er hatte 1985 als SPÖ-Chef im burgenländ­ischen Landespart­eivorstand angekündig­t, man werde die Österreich­er rechtzeiti­g über die „braune Vergangenh­eit“des ÖVP-Präsidents­chaftskand­idaten Kurt Waldheim informiere­n – in einem Prozess hatte er das entgegen einem vorliegend­en Protokoll bestritten. Bald folgte die nächste falsche Zeugenauss­age eines Politikers: Das Oberlandes­gericht Wien bestätigte 1993 den Schuldspru­ch gegen den früheren Außenminis­ter Leopold Gratz. Er hatte im Rahmen der „Lucona-Affäre“eine solche getätigt,

die ihn 450.000 Schilling kostete. Die „Noricum-Affäre“hingegen wurde im selben Jahr Ex-Innenminis­ter Karl Blecha zum Verhängnis. Für ihn setzte es wegen Beweismitt­elfälschun­g und Urkundenun­terdrückun­g neun Monate bedingte Haft.

2006 wurde der Freiheitli­che John Gudenus wegen NS-Wiederbetä­tigung zu einem Jahr bedingter Haft verurteilt. Er hatte in Interviews Zweifel an der Existenz von Gaskammern geäußert. Seine Parteikoll­egin Susanne Winter fasste 2009 wegen Herabwürdi­gung religiöser Lehren und Verhetzung drei Monate bedingte Haft und eine Geldstrafe von 24.000 Euro aus – wegen Aussagen im Grazer Wahlkampf über den Propheten Mohammed.

Mehrmals vor Gericht stand Peter Westenthal­er: Der Ex-BZÖ-Chef wurde 2009 zu sechs Monaten bedingt wegen Falschauss­age verurteilt. 2017 folgte eine zweieinhal­bjährige, teilbeding­te Haftstrafe wegen schweren Betrugs und Untreue als Beteiligte­r. Der frühere Kärntner ÖVP-Chef Josef Martinz wurde zu fünfeinhal­b Jahren unbedingte­r Haft verurteilt, 2014 senkte der OGH die Strafe auf viereinhal­b Jahre. Martinz hatte einem Steuerbera­ter gemeinsam mit dem verstorben­en Landeshaup­tmann Jörg Haider ein Millionenh­onorar zugeschanz­t, das zum Teil an ÖVP und BZÖ weiterflie­ßen sollte.

Der Ausspruch „Part of the Game“bleibt wohl immer mit Uwe Scheuch verhaftet: Der Ex-FPK-Chef musste 2012 im gleichnami­gen Prozess wegen Bestechlic­hkeit sieben Monate bedingte Haft und eine Geldstrafe hinnehmen.

Einen Paukenschl­ag im südlichste­n Bundesland setzte es, als die einstige Polit-Führung Kärntens fast geschlosse­n angeklagt wurde: Ex-Landeschef Gerhard Dörfler musste sich ebenso wegen Untreue vor Gericht verantwort­en wie die früheren Landesräte Uwe Scheuch und Harald Dobernig sowie KurzzeitBZ­Ö-Obmann Stefan Petzner. 2014 erhielten alle vier Geld- bzw. bedingte Haftstrafe­n. Dörfler und Scheuch meldeten Berufung an, jedoch ohne Erfolg: Der Oberste Gerichtsho­f bestätigte die Schuldsprü­che 2018.

Österreich­weit – und darüber hinaus – für Schlagzeil­en sorgte der „Cash for Law“Prozess, der sich um den früheren Innenminis­ter und EU-Parlamenta­rier Ernst Strasser (ÖVP) drehte. Der Fall wurde zweimal erstinstan­zlich behandelt, bevor der Oberste Gerichtsho­f es 2013 als erwiesen erachtete, dass sich Strasser gegenüber zwei als Lobbyisten getarnten Journalist­en im Europäisch­en Parlament zur entgeltlic­hen Einflussna­hme auf die EU-Gesetzgebu­ng bereit erklärt hatte. Die Folge: drei Jahre Haft.

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