Der rumänische Orban im Aufwind
Analyse. Der Sieg der Nationalliberalen von Premier Ludovic Orban bei der Parlamentswahl am Sonntag gilt als sicher – und die Suche nach einem Koalitionspartner schon jetzt als schwierig.
Bukarest/Belgrad. Aus seiner Skepsis gegenüber dem künftigen Regierungspartner macht der Generalsekretär von Rumäniens regierenden Nationalliberalen (PNL), Robert Sighiartau,˘ vor der sonntägigen Parlamentswahl kein Hehl. „Unkollegiale Attacken“wirft er dem Antikorruptionsbündnis USRPlus vor. Wenig Zuneigung also in den Zeiten von Corona.
Im Zeichen der Covid-19-Pandemie schreiten die Rumänen am Sonntag zu den Urnen. Wegen des Versammlungsverbots fand der Wahlkampf fast nur medial statt. Trotz fallender Umfragewerte gilt der Sieg der seit 2019 regierenden PNL von Premier Ludovic Orban als gewiss: Laut Umfragen können die Nationalliberalen mit rund 30 Prozent der Stimmen rechnen.
Nach ihrem Erdrutschsieg von 2016 drohen den inzwischen auf die Oppositionsbank verbannten Sozialisten (PSD) zwar klare Verluste. Doch nach dem Debakel bei den Europawahlen und der Inhaftierung ihres wegen Korruption verurteilten Ex-Vorsitzenden Liviu Dragnea 2019 hat die PSD unter dem neuen Parteichef, Marcel Ciolacu, den freien Fall stoppen können. Schon bei der Kommunalwahl im September zeigte sich die PSD stabilisiert: Mit rund einem Viertel der Stimmen dürfte sie sich als zweitstärkste Partei behaupten.
Mit prognostizierten 15 bis 20 Prozent dürfte USR-Plus zur drittstärksten politischen Kraft in Rumänien werden. Dynamisch drängt das Antikorruptionsbündnis in die Regierung. In der Opposition gegen die PSD harmonierten PNL und USR noch recht gut. Doch seit den Kommunalwahlen ist das Verhältnis angespannt.
Gegenseitige Animositäten
In Städten wie Temeswar, Brasov¸ und Alba Iulia luchste die USR mit ihrem Feldzug gegen die „Systemparteien“den Nationalliberalen die Bürgermeisterposten ab. Umgekehrt ärgert die USR, dass ihr in Bukarest mit Unterstützung beider Parteien gewählter Parteigründer Nicusor¸ Dan nun die Wahlkampftrommel für die PNL rührt.
Die PNL sei eine konservative, von Protestanten geprägte Partei, während sich die Wählerschaft der
USR aus jungen Wählern in den Städten zusammensetze, erläutert der Analytiker Cristian Pirvulescu gegenüber der „Presse“: „Konservative Politiker der PNL sind gegen die von Präsident Klaus Johannis forcierte Koalition mit der USR, weil diese ihnen zu liberal ist: Sie präferieren eine Koalition mit der christdemokratischen PMP von Ex-Präsident Traian Basescu˘ und der Partei der ungarischen Minderheit UDMR.“Falls die PNL auf 35 Prozent kommt und gleichzeitig PMP und UDMR mit je fünf bis sieben Prozent den Sprung ins Parlament schaffen sollten, wäre eine Koalition rechtsgerichteter Parteien zwar „möglich“, rechnet Pirvulescu vor: „Aber wahrscheinlich ist das nicht.“
Tatsächlich könnte nicht nur das Wahlergebnis, sondern auch der Präsident und frühere PNLChef Johannis die beiden stärksten bürgerlichen Kräfte zu einem Regierungsbündnis zwingen. Johannis werde beim Koalitionspoker eine „entscheidende Rolle“spielen, vermutet Pirvulescu. Als sein „politisches Vermächtnis“strebe er „grundlegende Reformen“in der Verfassung, der Verwaltung und dem Sicherheitsapparat an: „Die Kraft, die das auch will, ist die USR, deshalb will Johannis sie in der Regierung: Und mithilfe der USR will er Premier Orban kontrollieren.“
Wer immer auch künftig regieren wird: Die Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie wird die größte Herausforderung sein. Für 2020 wird mit einem Minuswachstum von 4,2 Prozent und dem Anstieg des Haushaltsdefizits auf 9,1 Prozent gerechnet.