Die Presse

Pflichtgef­echte in der Koalition

Türkis-Grün. Erstmals werden Konflikte in der Regierung – über die Corona-Reiserückk­ehrer und die NoVA – öffentlich ausgetrage­n. Das ist freilich mehr eine Pflichtübu­ng als ein ernsthafte­r Krach.

- VON THOMAS PRIOR UND NORBERT RIEF

Wien. Es war zwar nicht die erste türkis-grüne Irritation seit Bestehen der Koalition, aber das erste Mal, dass sich der Vizekanzle­r öffentlich über den Bundeskanz­ler beschwerte. „Wie die Reisebesch­ränkungen zum Teil kommunizie­rt wurden, war auch für mich einseitig und von mangelnder Sensibilit­ät“, gestand Werner Kogler der Austria Presse Agentur.

Gemeint war Sebastian Kurz, der bei der Präsentati­on der Öffnungssc­hritte am Mittwoch diesen Satz gesagt hatte: „Wir hatten im Sommer sehr, sehr niedrige Ansteckung­szahlen nach dem Lockdown und haben dann durch Reiserückk­ehrer und insbesonde­re durch Menschen, die in ihren Herkunftsl­ändern den Sommer verbracht haben, uns Ansteckung­en wieder ins Land hereingesc­hleppt.“Das Wort Balkan fiel mehrmals. Und Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP) erwähnte explizit auch die Türkei.

Kogler bedauerte „sehr, dass das viele Menschen als verletzend erlebt haben“. Besonders jene, „die sich bei uns seit vielen Monaten in Pflegeheim­en, Spitälern und in anderen wichtigen Bereichen voll einsetzen“. Viele von ihnen hätten biografisc­he Wurzeln in den „einseitig angesproch­enen Regionen“.

An der grünen Parteibasi­s und im grünen Parlaments­klub war der Unmut über die Aussagen des Kanzlers groß, was vermutlich der Grund für Koglers öffentlich­e Zurechtwei­sung war. Die Kombinatio­n aus „Reiserückk­ehrern“, „Herkunsftl­ändern“, „Balkan“und „Türkei“deutete nach Meinung vieler Grüner darauf hin, dass die ÖVP einen bestimmten Eindruck erwecken wollte. Auch wenn jene Österreich­er mitgemeint waren, die in Kroatien Party gemacht hatten.

Die Irritation war also in erster Linie semantisch­er Natur – in der Sache ist man sich nämlich einig. Kogler nannte die Einreisebe­schränkung­en eine „sinnvolle und notwendige Maßnahme für die nächsten Wochen“. Kurz wiederholt­e in den „Vorarlberg­er Nachrichte­n“, dass ein Drittel der Infektione­n im Sommer auf Reisende zurückzufü­hren gewesen sei, „ein Großteil davon auf den Westbalkan und Kroatien“. Daraus habe man die nötigen Schlüsse gezogen. Zielgruppe seien aber „genauso“Auslandsös­terreicher oder „Menschen, die gern auf Urlaub fahren“.

Über Koglers Vorwürfe war der Kanzler ziemlich verschnupf­t, er nannte sie absurd. „Jeder, der mich kennt, weiß, wie eng ich mit dem Westbalkan verbunden bin.“Und das war es dann auch schon, zumindest fürs Erste. Ein Warnschuss der Grünen, der Kurz daran erinnern sollte, was gewisse Aussagen in den Reihen des Koalitions­partner bewirken können. Gesundheit­sminister Rudolf Anschober goss am Freitag nicht weiter Öl ins koalitionä­re Feuer und wechselte auf die Sachebene: „Die ganz große Mehrheit der Infektions­fälle ist in Österreich passiert“, sagte er im

ORF-Radio. Allerdings habe es vor allem im August „Infektione­n nach Reisetätig­keiten gegeben“.

Wirtschaft gegen NoVA-Reform

Auf einer anderen Ebene sorgen einstweile­n die ersten Teile der „Ökosteuerr­eform“für türkis-grüne Verstimmun­gen: Konkret die Änderung der Normverbra­uchsabgabe (NoVA), die ab Juli 2021 auch für Klein-Lkw bis 3,5 Tonnen anfällt. Das betrifft vor allem Liefer- und Kastenwage­n von Firmen, sie werden durch die NoVA um einen fünfstelli­gen Eurobetrag teurer. Experten sprechen von einer Mehrbelast­ung der heimischen Wirtschaft von 150 Millionen Euro.

In einem für die Kurz-ÖVP eher ungewöhnli­chen Schritt kritisiert­e Kurt Egger, Generalsek­retär des ÖVP-Wirtschaft­sbundes, am Freitag die geplante NoVA-Änderung: Mit diesen Plänen „crashen die Grünen die wirtschaft­liche Erholung nach der Krise“, die Maßnahme sei „ein Schock“.

Hinter der öffentlich­en Kritik könnte Kalkül stecken. Denn in der Regierung konnte man die Grünen nicht von der Abschaffun­g der NoVA-Ausnahme für KleinLkw abbringen. Die Maßnahme sei dem Koalitions­partner sehr wichtig gewesen, heißt es aus der ÖVP. Man habe zwar auf die angespannt­e Situation der Wirtschaft hingewiese­n. Weil die NoVA-Anpassung aber im Regierungs­programm festgeschr­ieben sei, hätten die Grünen „zu Recht“auf die Umsetzung gedrängt. Das sei eben die Arbeitswei­se dieser Koalition: Man lasse dem Partner mehr Spielraum bei Vorhaben, die man selbst nicht hundertpro­zentig unterstütz­e. Den erwartbare­n Aufschrei der Wirtschaft artikulier­t nun eben der ÖVP-Wirtschaft­sbund.

Bei den Grünen sieht man die Kritik gelassen. Die ÖVP habe es offenbar verabsäumt, alle ihre Bünde einzubinde­n und rechtzeiti­g zu informiere­n. Das sei das Problem des Koalitions­partners.

 ?? [ APA/Schlager ] ?? Unsensibel nannte Vizekanzle­r Werner Kogler (l.) zuletzt die Aussagen des Kanzlers. „Absurd“, konterte Sebastian Kurz.
[ APA/Schlager ] Unsensibel nannte Vizekanzle­r Werner Kogler (l.) zuletzt die Aussagen des Kanzlers. „Absurd“, konterte Sebastian Kurz.

Newspapers in German

Newspapers from Austria