„Brachiale Rhetorik, die einem Faktencheck nicht standhält“
Interview. Johannes Rauch, grüner Landesrat in Vorarlberg, kritisiert Kanzler Kurz und fordert eine Reise-Ausnahmebestimmung für das Ländle.
Die Presse: Vorarlberg ist mit den Reisebeschränkungen unzufrieden. Warum?
Johannes Rauch: Ich habe gerade ein Mail bekommen von einer Österreicherin, die in Liechtenstein lebt, ihre Eltern in Feldkirch, zehn Kilometer entfernt. Sie könnte ihre Eltern die gesamte Weihnachtszeit nicht sehen. Und das ist die Lebensrealität von ganz vielen Menschen in Vorarlberg, weil das auch die benachbarten Kantone in der Schweiz und den grenznahen Raum in Deutschland betrifft. Wir waren immer schon grenzüberschreitend organisiert, das würde sich für ganz viele Menschen dramatisch darstellen.
Das Argument, Infektionen aus dem Ausland zu verhindern, überzeugt Sie nicht?
Natürlich schon, wenn es ums Skifahren geht, um Apr`es-Ski, um Tagestourismus, da rennen Sie bei mir offene Türen ein. Aber man kann nicht über Weihnachten familiäre und verwandtschaftliche Beziehungen unterbinden. Da geht es auch darum, Kinderrechte zu sichern, Obsorgerechte wahrzunehmen. Das sind fundamentale Dinge.
Sie hätten gern eine Ausnahmeregelung für Vorarlberg?
Ja, wobei es nicht nur Vorarlberg betrifft. Es sollte für Eltern, Kinder, verwandtschaftliche Situationen Ausnahmeregelungen geben. Ich weiß auch, daran wird gearbeitet.
Der Bundeskanzler hat aber genau das ausschließen wollen. Er hat gesagt, dass das Virus im Sommer vor allem durch Verwandtschaftsbesuche wieder eingeschleppt wurde.
Das halte ich für eine brachiale Rhetorik, die einem Faktencheck nicht standhält. Im Sommer hatten wir die Situation, dass Leute nach Kroatien auf Urlaub gefahren sind und dadurch die Zahlen in die Höhe getrieben haben. Ich rede von einer anderen Situation: Jetzt geht es darum, dass ein Vater, eine Mutter in den Landkreis Ravensburg fahren darf, wo die Inzidenz bei 130 liegt, bei uns liegt sie bei 260. Ich verstehe auch schwer, dass der Kanzler mit unserem
Landeshauptmann nach Bern fährt und bittet, die Grenzen nicht zu schließen, und dann selbst ein Grenzregime aufzieht.
Vorarlberg wird wie der Bund schwarz-grün regiert. Können Sie sich bei Ihren Parteifreunden nicht durchsetzen?
Wir sind dabei, das zu lancieren, es gibt natürlich auch unterschiedliche Auffassungen in der Bundesregierung. Das war auch bei den Schulschließungen schon so.
Ihr Standpunkt wird von den Grünen in der Bundesregierung geteilt?
Ja, der wird geteilt. Da geht es auch um das Bemühen, die Dinge mit Augenmaß und Pragmatik zu regeln und nicht nur in einer rhetorischen Leistung sich hinzustellen und Dinge zu verkünden, bei denen sich dann am Tag darauf herausstellt, die sind so nicht handhabbar. Aber es ist ja noch Zeit bis zum 19. Dezember, wenn das in Kraft tritt.
Sind Sie eigentlich zufrieden mit der Performance der Grünen in der Bundesregierung?
Wenn man sich den europäischen Vergleich ansieht, ist der Job nicht so schlecht gemacht worden. Es sind sicher auch Fehler passiert. Da steht Rudi Anschober nicht an, auch hin und wieder zu sagen, was nicht funktioniert hat. Die Regierung besteht aber aus zwei Parteien, die schon sehr unterschiedliche Zugänge haben.
Können sich die Grünen ausreichend durchsetzen?
Soweit es einer 15-Prozent-Partei möglich ist, ja. Man muss auch erkennen, wie die Kräfteverhältnisse sind.