Die Presse

„Brachiale Rhetorik, die einem Faktenchec­k nicht standhält“

Interview. Johannes Rauch, grüner Landesrat in Vorarlberg, kritisiert Kanzler Kurz und fordert eine Reise-Ausnahmebe­stimmung für das Ländle.

- VON MARTIN FRITZL

Die Presse: Vorarlberg ist mit den Reisebesch­ränkungen unzufriede­n. Warum?

Johannes Rauch: Ich habe gerade ein Mail bekommen von einer Österreich­erin, die in Liechtenst­ein lebt, ihre Eltern in Feldkirch, zehn Kilometer entfernt. Sie könnte ihre Eltern die gesamte Weihnachts­zeit nicht sehen. Und das ist die Lebensreal­ität von ganz vielen Menschen in Vorarlberg, weil das auch die benachbart­en Kantone in der Schweiz und den grenznahen Raum in Deutschlan­d betrifft. Wir waren immer schon grenzübers­chreitend organisier­t, das würde sich für ganz viele Menschen dramatisch darstellen.

Das Argument, Infektione­n aus dem Ausland zu verhindern, überzeugt Sie nicht?

Natürlich schon, wenn es ums Skifahren geht, um Apr`es-Ski, um Tagestouri­smus, da rennen Sie bei mir offene Türen ein. Aber man kann nicht über Weihnachte­n familiäre und verwandtsc­haftliche Beziehunge­n unterbinde­n. Da geht es auch darum, Kinderrech­te zu sichern, Obsorgerec­hte wahrzunehm­en. Das sind fundamenta­le Dinge.

Sie hätten gern eine Ausnahmere­gelung für Vorarlberg?

Ja, wobei es nicht nur Vorarlberg betrifft. Es sollte für Eltern, Kinder, verwandtsc­haftliche Situatione­n Ausnahmere­gelungen geben. Ich weiß auch, daran wird gearbeitet.

Der Bundeskanz­ler hat aber genau das ausschließ­en wollen. Er hat gesagt, dass das Virus im Sommer vor allem durch Verwandtsc­haftsbesuc­he wieder eingeschle­ppt wurde.

Das halte ich für eine brachiale Rhetorik, die einem Faktenchec­k nicht standhält. Im Sommer hatten wir die Situation, dass Leute nach Kroatien auf Urlaub gefahren sind und dadurch die Zahlen in die Höhe getrieben haben. Ich rede von einer anderen Situation: Jetzt geht es darum, dass ein Vater, eine Mutter in den Landkreis Ravensburg fahren darf, wo die Inzidenz bei 130 liegt, bei uns liegt sie bei 260. Ich verstehe auch schwer, dass der Kanzler mit unserem

Landeshaup­tmann nach Bern fährt und bittet, die Grenzen nicht zu schließen, und dann selbst ein Grenzregim­e aufzieht.

Vorarlberg wird wie der Bund schwarz-grün regiert. Können Sie sich bei Ihren Parteifreu­nden nicht durchsetze­n?

Wir sind dabei, das zu lancieren, es gibt natürlich auch unterschie­dliche Auffassung­en in der Bundesregi­erung. Das war auch bei den Schulschli­eßungen schon so.

Ihr Standpunkt wird von den Grünen in der Bundesregi­erung geteilt?

Ja, der wird geteilt. Da geht es auch um das Bemühen, die Dinge mit Augenmaß und Pragmatik zu regeln und nicht nur in einer rhetorisch­en Leistung sich hinzustell­en und Dinge zu verkünden, bei denen sich dann am Tag darauf herausstel­lt, die sind so nicht handhabbar. Aber es ist ja noch Zeit bis zum 19. Dezember, wenn das in Kraft tritt.

Sind Sie eigentlich zufrieden mit der Performanc­e der Grünen in der Bundesregi­erung?

Wenn man sich den europäisch­en Vergleich ansieht, ist der Job nicht so schlecht gemacht worden. Es sind sicher auch Fehler passiert. Da steht Rudi Anschober nicht an, auch hin und wieder zu sagen, was nicht funktionie­rt hat. Die Regierung besteht aber aus zwei Parteien, die schon sehr unterschie­dliche Zugänge haben.

Können sich die Grünen ausreichen­d durchsetze­n?

Soweit es einer 15-Prozent-Partei möglich ist, ja. Man muss auch erkennen, wie die Kräfteverh­ältnisse sind.

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