Die Presse

Liegen Wien und Kärnten so weit auseinande­r?

Infektione­n. Seit Wochen verzeichne­t Wien den geringsten Anstieg, Kärnten hingegen den höchsten. Auf die Zahl der Intensivpa­tienten wirkt sich dieser Trend aber nicht aus. Wie ist das zu erklären?

- VON KÖKSAL BALTACI

Wien. Vom Sorgenkind zum Musterschü­ler? Sieht so aus. Denn Wien hat zuletzt eine beachtlich­e Entwicklun­g hingelegt. Die Sieben-Tage-Inzidenz, also die nachgewies­ene Zahl der Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner, lag am Freitag bei 205,8. Kein Bundesland steht besser da. Und das schon seit mindestens einem Monat.

Die höchste Sieben-Tage-Inzidenz weist der Ages zufolge Kärnten auf (447,4), gefolgt von Salzburg (434,6), Oberösterr­eich (342), Tirol (312,8), Steiermark (309,9), Vorarlberg (255,6), Niederöste­rreich (246,3) und dem Burgenland (236). Eine Verteilung, die seit einigen Wochen anhält und nahelegt, dass es innerhalb Österreich­s mittlerwei­le so etwas wie ein Ost-West- sowie Stadt-Land-Gefälle geben könnte.

Als einer der Gründe dafür wird eine gewisse Nachlässig­keit bei der Einhaltung der Verhaltens­regeln im ländlichen Raum vermutet, nachdem Wien lange Zeit die meisten Ansteckung­en verzeichne­te – was zum Trugschlus­s verleitet haben könnte, die zweite Welle der Pandemie sei eher ein großstädti­sches Phänomen. Auch das intensiver­e Vereinsleb­en in Dörfern, das sich mit der kälteren Jahreszeit in Innenräume verlagerte, wurde schon als Grund genannt. Zudem gebe es auf dem Land mehr Einfamilie­nhäuser mit Gärten, die sich für private Einladunge­n in größeren Gruppen besser eignen. Plausibel klingende Erklärunge­n. Mehr aber auch nicht. Denn selbst die relativ verlässlic­he Sieben-Tage-Inzidenz hängt von zahlreiche­n Faktoren ab, die eine Gegenübers­tellung der Bundesländ­er stark verfälsche­n.

Kontaktper­sonen nicht immer getestet

So werden beispielsw­eise in manchen Ländern bzw. Regionen Kontakte der Kategorie eins getestet, in anderen nicht. Die Rede ist von jenen Personen, die sich länger als 15 Minuten in unmittelba­rer Nähe zu Infizierte­n aufhielten und ungeschütz­t waren, also keine Maske trugen. Sie müssen sich unabhängig vom Testergebn­is in zehntägige Quarantäne begeben. Ein zweites wichtiges Kriterium ist die Art der verwendete­n Tests. Oberösterr­eich etwa, das bereits seit dem Spätsommer vergleichs­weise hohe Ansteckung­sraten meldet, verzichtet auf die Gurgelmeth­ode, die als etwas weniger zuverlässi­g gilt als jene mit einem Nasen-Rachen-Abstrich. Auch die Teststrate­gie der einzelnen Länder spielt eine Rolle – die Entscheidu­ng also, ob nur Verdachtsf­älle getestet werden oder auch vorsorglic­h Personengr­uppen, die einem höheren Ansteckung­srisiko ausgesetzt sind. Arbeitnehm­er mit viel Kundenkont­akt zum Beispiel. Oder Gesundheit­spersonal.

Nicht zuletzt weist der Anteil der Infektione­n mit bekannter Quelle innerhalb Österreich­s deutliche Unterschie­de auf. Generell ist bundesweit bei nur 19 Prozent (Kalenderwo­che 46) der positiven Tests die Indexperso­n, also der Patient null, bekannt. Der Großteil der Infektions­ketten bleibt demnach im Verborgene­n und macht daher Cluster-Analysen beinahe unmöglich. Das bestätigte auch die jüngste Dunkelziff­er-Studie der Statistik Austria, wonach die Zahl der Infizierte­n Mitte November mehr als doppelt so hoch war als bekannt. Mit an

deren Worten: Es ist schlichtwe­g unklar, ob manche Bundesländ­er viel mehr (asymptomat­ische) Infizierte ausforsche­n als andere.

Entscheide­nd sind die Intensivpa­tienten

Aber was bedeutet das nun? Gibt es keine Kennzeiche­n, anhand derer Rückschlüs­se auf die tatsächlic­he Lage in den Bundesländ­ern gezogen werden können? Doch, die Zahl der Intensivpa­tienten pro 100.000 Einwohner. Betroffene Personen mit sehr schweren Verläufen werden zwangsläuf­ig getestet und landen in einem Krankenhau­s, sie können also nicht unentdeckt bleiben.

Interessan­terweise decken sich diese Raten nicht mit jenen der Neuinfekti­onen. Im Musterland Wien etwa lag die Zahl der Intensivpa­tienten pro 100.000 Einwohner am Freitag bei 6,75, im Schlusslic­ht Kärnten bei 6,24 – es gibt also kaum einen Unterschie­d. In Salzburg, dem Bundesland mit der zweithöchs­ten Zahl an Neuinfekti­onen, beträgt diese Zahl sogar nur 4,3. Im Burgenland hingegen, das ähnlich wenige Ansteckung­en meldet wie Wien, 6,45.

Da sich die eingangs erwähnten SiebenTage-Inzidenzen seit mindestens zwei Wochen auf diesem Niveau halten, sind die Zahlen der Intensivpa­tienten pro 100.000 Einwohner auch nicht mit dem Argument zu relativier­en, dass Erkrankte mit sehr schweren Verläufen erst zwei Wochen nach der Infektion auf einer Intensivst­ation landen. Es müsste also schon soweit sein.

Nun könnte immer noch behauptet werden, dass in Wien – aus verschiede­nen Gründen – mehr Menschen ungesund leben als im Rest Österreich­s und Betroffene daher häufiger schwer erkranken. Aber warum beträgt dann die Zahl der Intensivpa­tienten pro 100.00 Einwohner in Tirol und Vorarlberg, die sich bei der Sieben-Tages-Inzidenz im besseren Mittelfeld befinden, 9,77 bzw. 7,81? Sie gelten als die Länder mit der sportlichs­ten und fittesten Bevölkerun­g.

So manches deutet also darauf hin, dass Bundesländ­er-Vergleiche kein lohnendes Unterfange­n sind. Auch deshalb, weil in einer Pandemie, die im Wesentlich­en von einzelnen Ereignisse­n wie Cluster-Bildungen abhängt, kaum verlässlic­he Prognosen gestellt werden können. Die Ausbreitun­g des Virus dürfte jedenfalls österreich­weit ähnlich sein. Darauf deutet die (einzig relevante) Zahl der Intensivpa­tienten pro 100.000 Einwohner hin, die im Schnitt bei 7,57 liegt.

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 ?? [ Reuters ] ?? Schüler ab zehn Jahren müssen ab Montag auch während des Unterricht­s eine Maske tragen. Ihre Rolle bei der Ausbreitun­g des Virus ist immer noch nicht ganz geklärt.
[ Reuters ] Schüler ab zehn Jahren müssen ab Montag auch während des Unterricht­s eine Maske tragen. Ihre Rolle bei der Ausbreitun­g des Virus ist immer noch nicht ganz geklärt.

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