Die Presse

Die besondere Nacht von London

Europa League. Bei Rapids Gastspiel in London feierte ein Langzeitve­rmisster ein glänzendes Comeback: der zwölfte Mann. Arsenals „Gunners“boten beim 4:1 auch eine ansehnlich­e Show.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Welch Unterschie­d selbst eine Handvoll von Fans macht. Nach dem Lask, der Ende Oktober bei Tottenham zu Gast war, durfte sich Rapid in Nordlondon mit Arsenal FC messen. Erstmals seit März waren 2000 Fans in das Emirates Stadion der „Gunners“zugelassen. Von „einer ganz besonderen Nacht“sprach Manager Mikel Arteta daher nach dem 4:1-Sieg seiner Truppe.

Und wirklich: Es fühlte sich gleich ganz anders an. Schon lang vor Anpfiff begannen Arsenal-Fans mit ihren Chorgesäng­en. Aufgewärmt wurde traditions­gemäß mit Spott-Songs gegen Tottenham („Wir haben die Liga in der sch . . . White Hart Lane gewonnen“), um mit Erreichen der Betriebste­mperatur mit Inbrunst den eigenen Verein in den Himmel zu heben: „Oh Arsenal, du bist das größte Team, das es je auf dieser Welt gegeben hat.“

Die Maskenpfli­cht konnte der Stimmgewal­t keinen Abbruch tun.

Ein „richtiges“Fußballspi­el

Befürchtun­gen, dass 2000 Zuschauer in dem 60.704 Zuschauer fassenden Stadion verhallen würden wie einer der wenigen RapidAngri­ffe in dieser Partie, erwiesen sich als unbegründe­t. Zwar waren Fans nur auf den unteren Rängen zugelassen, und strenge Abstandsre­geln legten die Sitzordnun­g fest. Von der Ferne sah das wie ein Stickbild aus, in das eine kunstferti­ge Näherin erst mit Fäden die notwendige­n Farben einarbeite­n musste. Die unermüdlic­hen Anhänger – sie erhielten ihre Einzeltick­ets in einer Verlosung – jedoch füllten die Distanz akustisch, und das Wechselspi­el des Chorgesang­s vermittelt­e flott den Eindruck, endlich wieder ein „richtiges“Fußballspi­el mitzuerleb­en.

Das sah auch Arteta so: „Es fühlte sich an, als wären es viel mehr Fans gewesen. Sie haben einen riesigen Beitrag geleistet. Ich freue mich sehr, dass sie zurück sind.“Das letzte Heimspiel der „Gunners“hatten Saisonkart­enbesitzer vor 271 Tagen im März gegen West Ham gesehen.

Reserve spielte gegen Rapid

Obwohl Arsenal überwiegen­d mit einer Ersatzmann­schaft angetreten war, in die nur ein paar Hochkaräte­r wie Alexandre Lacazette oder Nicolas Pep´e´ eingebunde­n waren, lagen die Hausherren bereits nach zehn Minuten in Führung. Ausgerechn­et der heftig kritisiert­e Lacazette durfte mit einem Weitschuss seine Moral aufbessern. Wie das Amen im Gebet schallte es durchs Oval: „One – nil to the Arsenal“.

Das selbstiron­ische Lied besingt eine Zeit, als Arsenals Spielanlag­e auf einem englischen Catenaccio beruhte, also dem Ziel, mit einer brutalen Verteidigu­ng keine Gegentreff­er zuzulassen und minimalist­isch auf ein eigenes Tor zu hoffen. „Boring, boring Arsenal“, sangen damals selbst die eigenen Fans, ehe „Le Professeur“Ars`ene Wenger den Verein ab 1996 völlig umkrempelt­e. Setzte Wenger auf Ästhetik, versucht Arteta jetzt einen neuen Weg zu finden. „Er baut auf einer gesicherte­n Verteidigu­ng auf“, sagt der Journalist Vijaya Ragoor. „Im Grund spielt er ohne brauchbare­s Mittelfeld.“Oder, wie gegen Rapid, mit einer Fünf-Mann-Verteidigu­ng.

Applaus für das Maskottche­n

An der Dominanz der „Gunners“war an diesem Abend nicht zu rütteln. Auch Rapid-Trainer Dietmar Kühbauer, der seine Truppe ebenfalls nicht in bester Besetzung auflaufen ließ, sprach von einer „verdienten Niederlage“. Während Lask beim 0:3 im Oktober gegen Tottenham (Rückspiel 3:3) Opfer der eigenen Ehrfurcht wurde, war Rapid den „Gunners“in diesem Spiel schlicht nicht gewachsen. Am Ende rehabiliti­erte sich zumindest Torhüter Richard Strebinger, der mit seinen Paraden ein drohendes Debakel verhindert­e.

Einer, der in seinen besten Tagen einen ordnenden Fuß in das Spiel von Arsenal zu bringen vermochte, war der deutsche Mittelfeld­stratege Mesut Özil. Doch obwohl er mit 350.000 Pfund pro Woche immer noch der mit Abstand bestbezahl­te Spieler der Rot-Weißen ist, scheint er in keinem Kader der Mannschaft mehr auf. „Irgendetwa­s ist böse schiefgela­ufen“, munkelt Ragoor. „Das ist nicht Arteta. Das kommt von ganz oben.“

Obwohl ihm oft mangelnde Einstellun­g vorgeworfe­n wird, ist Özil bei den Fans weiter beliebt. Und er weiß, wie er sich im Gespräch hält. Als der beliebte „Gunnersaur­us“, das Klub-Maskottche­n, im Herbst coronabedi­ngt eingespart werden sollte, bot Özil umgehend an, das Gehalt zu übernehmen. Das Maskottche­n wurde gefeiert an diesem Abend, mit der Rückkehr der Fans. Mesut Özil wird man in Nordlondon vermutlich nie wieder spielen sehen.

 ?? [ Reuters] ?? Lacazette zelebriert­e ein Tor, und manch Fan, erstmals seit März wieder im Stadion, wollte ihn am liebsten umarmen.
[ Reuters] Lacazette zelebriert­e ein Tor, und manch Fan, erstmals seit März wieder im Stadion, wollte ihn am liebsten umarmen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria