Die besondere Nacht von London
Europa League. Bei Rapids Gastspiel in London feierte ein Langzeitvermisster ein glänzendes Comeback: der zwölfte Mann. Arsenals „Gunners“boten beim 4:1 auch eine ansehnliche Show.
Welch Unterschied selbst eine Handvoll von Fans macht. Nach dem Lask, der Ende Oktober bei Tottenham zu Gast war, durfte sich Rapid in Nordlondon mit Arsenal FC messen. Erstmals seit März waren 2000 Fans in das Emirates Stadion der „Gunners“zugelassen. Von „einer ganz besonderen Nacht“sprach Manager Mikel Arteta daher nach dem 4:1-Sieg seiner Truppe.
Und wirklich: Es fühlte sich gleich ganz anders an. Schon lang vor Anpfiff begannen Arsenal-Fans mit ihren Chorgesängen. Aufgewärmt wurde traditionsgemäß mit Spott-Songs gegen Tottenham („Wir haben die Liga in der sch . . . White Hart Lane gewonnen“), um mit Erreichen der Betriebstemperatur mit Inbrunst den eigenen Verein in den Himmel zu heben: „Oh Arsenal, du bist das größte Team, das es je auf dieser Welt gegeben hat.“
Die Maskenpflicht konnte der Stimmgewalt keinen Abbruch tun.
Ein „richtiges“Fußballspiel
Befürchtungen, dass 2000 Zuschauer in dem 60.704 Zuschauer fassenden Stadion verhallen würden wie einer der wenigen RapidAngriffe in dieser Partie, erwiesen sich als unbegründet. Zwar waren Fans nur auf den unteren Rängen zugelassen, und strenge Abstandsregeln legten die Sitzordnung fest. Von der Ferne sah das wie ein Stickbild aus, in das eine kunstfertige Näherin erst mit Fäden die notwendigen Farben einarbeiten musste. Die unermüdlichen Anhänger – sie erhielten ihre Einzeltickets in einer Verlosung – jedoch füllten die Distanz akustisch, und das Wechselspiel des Chorgesangs vermittelte flott den Eindruck, endlich wieder ein „richtiges“Fußballspiel mitzuerleben.
Das sah auch Arteta so: „Es fühlte sich an, als wären es viel mehr Fans gewesen. Sie haben einen riesigen Beitrag geleistet. Ich freue mich sehr, dass sie zurück sind.“Das letzte Heimspiel der „Gunners“hatten Saisonkartenbesitzer vor 271 Tagen im März gegen West Ham gesehen.
Reserve spielte gegen Rapid
Obwohl Arsenal überwiegend mit einer Ersatzmannschaft angetreten war, in die nur ein paar Hochkaräter wie Alexandre Lacazette oder Nicolas Pep´e´ eingebunden waren, lagen die Hausherren bereits nach zehn Minuten in Führung. Ausgerechnet der heftig kritisierte Lacazette durfte mit einem Weitschuss seine Moral aufbessern. Wie das Amen im Gebet schallte es durchs Oval: „One – nil to the Arsenal“.
Das selbstironische Lied besingt eine Zeit, als Arsenals Spielanlage auf einem englischen Catenaccio beruhte, also dem Ziel, mit einer brutalen Verteidigung keine Gegentreffer zuzulassen und minimalistisch auf ein eigenes Tor zu hoffen. „Boring, boring Arsenal“, sangen damals selbst die eigenen Fans, ehe „Le Professeur“Ars`ene Wenger den Verein ab 1996 völlig umkrempelte. Setzte Wenger auf Ästhetik, versucht Arteta jetzt einen neuen Weg zu finden. „Er baut auf einer gesicherten Verteidigung auf“, sagt der Journalist Vijaya Ragoor. „Im Grund spielt er ohne brauchbares Mittelfeld.“Oder, wie gegen Rapid, mit einer Fünf-Mann-Verteidigung.
Applaus für das Maskottchen
An der Dominanz der „Gunners“war an diesem Abend nicht zu rütteln. Auch Rapid-Trainer Dietmar Kühbauer, der seine Truppe ebenfalls nicht in bester Besetzung auflaufen ließ, sprach von einer „verdienten Niederlage“. Während Lask beim 0:3 im Oktober gegen Tottenham (Rückspiel 3:3) Opfer der eigenen Ehrfurcht wurde, war Rapid den „Gunners“in diesem Spiel schlicht nicht gewachsen. Am Ende rehabilitierte sich zumindest Torhüter Richard Strebinger, der mit seinen Paraden ein drohendes Debakel verhinderte.
Einer, der in seinen besten Tagen einen ordnenden Fuß in das Spiel von Arsenal zu bringen vermochte, war der deutsche Mittelfeldstratege Mesut Özil. Doch obwohl er mit 350.000 Pfund pro Woche immer noch der mit Abstand bestbezahlte Spieler der Rot-Weißen ist, scheint er in keinem Kader der Mannschaft mehr auf. „Irgendetwas ist böse schiefgelaufen“, munkelt Ragoor. „Das ist nicht Arteta. Das kommt von ganz oben.“
Obwohl ihm oft mangelnde Einstellung vorgeworfen wird, ist Özil bei den Fans weiter beliebt. Und er weiß, wie er sich im Gespräch hält. Als der beliebte „Gunnersaurus“, das Klub-Maskottchen, im Herbst coronabedingt eingespart werden sollte, bot Özil umgehend an, das Gehalt zu übernehmen. Das Maskottchen wurde gefeiert an diesem Abend, mit der Rückkehr der Fans. Mesut Özil wird man in Nordlondon vermutlich nie wieder spielen sehen.