Wollen wir der Technologie blind vertrauen?
Komplexe Technik erlangt oft schwer das Vertrauen der Nutzer. In einem EU-Projekt wird nun erforscht, wie das Internet der Dinge uns Menschen begeistern kann: in selbstfahrenden Autos und kontaktlosen Flughäfen.
Das piepst so fürchterlich, schalt’ bitte den Spurhalte-Assistenten aus!“In modernen Autos fällt dieser Satz öfter, denn Fahrerassistenzsysteme bringen dem Endnutzer nicht immer ausschließlich Vorteile. Das senkt das Vertrauen in die Technologie. „Wenn ein Notbrems-Assistenzsystem mitten in der Stadt eine Vollbremsung einleitet, obwohl nichts im Weg war, ist das Vertrauen für immer weg. Genau das wollen wir verhindern“, sagt Michael Karner von der Virtual Vehicle Research GmbH in Graz.
Er koordiniert das neue EUProjekt Insectt (Intelligent, Secure, Trustable Things), das mehr Vertrauen in künstliche Intelligenz schaffen will. „Die Menschen waren zu Beginn von den Fahrerassistenzsystemen begeistert“, sagt Karner. Doch kleine Abweichungen von der Erwartungshaltung der Nutzer lassen die Begeisterung schnell in Ablehnung umschwenken. Das mit 40 Millionen Euro dotierte Insectt-Projekt vereint 52 Partner aus Europa. Die Wissenschaftler erforschen an 16 konkreten Anwendungsfällen, wie die Bevölkerung dauerhaft begeistert bleiben kann, wenn künstliche Intelligenz im Spiel ist: Der Fokus liegt hier auf dem boomenden „Internet der Dinge“(Internet of Things, IoT), bei dem Geräte digital miteinander kommunizieren.
Technische Hilfe im Spital
„Wenn der Endverbraucher komplexe Vorgänge nicht nachvollziehen kann, sinkt das Vertrauen“, sagt Karner. Für einen Anwendungsfall in den Niederlanden entwickelt der Projektpartner Philips intelligente Systeme im Gesundheitsbereich. Ein Gerät wird im Krankenzimmer installiert und überwacht berührungslos den Gesundheitszustand des Patienten. „Durch künstliche Intelligenz schickt das System bei gröberen
Abweichungen einen Alarm an den Arzt oder die Pflegekraft“, sagt Karner. Das entlastet Krankenhausangestellte – und ist damit auch positiv für die Patienten. Diese befürchten aber mitunter, dass wegen der neuen Technik weniger Leute bei ihnen am Krankenbett vorbeischauen.
Solche Sorgen der Endbenutzer müssen im Entwicklungsprozess von Anfang bewusst sein. Das ist am Virtual-Vehicle-Forschungszentrum, das im Comet-Programm von Klimaschutz- und Wissenschaftsministerium gefördert wird, ein Grundsatz für alle Entwicklungen. Auch das Vorgängerprojekt Scott suchte Wege, das Vertrauen in drahtlose Technologien und das Internet der Dinge zu fördern. „Viele Produkte werden erst im Nachhinein auf Nutzerakzeptanz getestet. Aber wir binden von Anfang an die Endverbraucher in das Konzept ein“, sagt Karner.
Aus der Vielzahl an Beispielen aus der Infrastruktur, Produktion, Gebäudetechnik, Schifffahrt, Bahnverkehr oder Automobilbranche, die das EU-Projekt nun angeht, nennt Karner auch den „kontaktlosen Flughafen“: Das ist eine Zukunftsvision, die das Vertrauen der Menschen schon gewinnen muss, bevor die Umsetzung starten kann. „Das Ziel ist, dass jeder Mensch ohne den Einsatz von Ausweisen vom Aussteigen aus der S-Bahn bis zum Einsteigen in das Flugzeug gelangen kann“, so Karner. Biometrische Gesichtserkennung, künstliche Intelligenz mit Big-Data-Analyse sowie Sensoren des Internets der Dinge können das ermöglichen.
Abfliegen ohne Ausweis
„Hier braucht es nicht nur das Vertrauen der Passagiere, sondern auch jenes der Behörden“, betont Karner die Sorge um die Sicherheit der Menschen. Auch das Thema Cybersicherheit ist ein wichtiger Punkt, um Vertrauen zu erlangen: Wer hat Zugriff auf die Kanäle der digitalen Kommunikation? „Zudem soll ein automatisiertes System keine Störungen produzieren“, sagt Karner. In welchem Bereich des Flughafens sind welche Systeme aktiv? Welche Geräte kommunizieren mit der Flughafeninfrastruktur? Wie vertrauenswürdig ist ein selbstfahrendes Gepäckwagerl, das mit dem Gepäckband interagieren muss und dann selbstständig quer durch den Flughafen zur Parkposition des Flugzeugs steuert?
Problemlos über die Grenze
Ähnliche Fragen ergeben sich bei selbstfahrenden Autos: Wie erhält das Gefährt Informationen von Ampeln und Baustellen? „Derzeit gibt es viele verschiedene Standards, die sich teils überschneiden, teils widersprechen oder ergänzen. Es ist unter anderem ein politisches Thema, welches Land welchen Standard wählt“, sagt Karner.
Ziel des Teams ist, dass künstliche Intelligenz mehrere bestmögliche Systeme auswählt, die parallel laufen, um gegen Ausfälle gesichert zu sein. „Was aber passiert, wenn sie an der Grenze zum Ausland das System wechseln müssen?“Genau solche Fragen werden in den Entwicklungsprozessen zu Beginn eingeplant. „Ein integrativer Prozess zur Vertrauensbildung verhindert auch, dass die eine Abteilung im Erdgeschoss überrascht ist von dem, was die andere Gruppe im dritten Stock entwickelt“, schmunzelt Karner.