Die Presse

Wollen wir der Technologi­e blind vertrauen?

Komplexe Technik erlangt oft schwer das Vertrauen der Nutzer. In einem EU-Projekt wird nun erforscht, wie das Internet der Dinge uns Menschen begeistern kann: in selbstfahr­enden Autos und kontaktlos­en Flughäfen.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Das piepst so fürchterli­ch, schalt’ bitte den Spurhalte-Assistente­n aus!“In modernen Autos fällt dieser Satz öfter, denn Fahrerassi­stenzsyste­me bringen dem Endnutzer nicht immer ausschließ­lich Vorteile. Das senkt das Vertrauen in die Technologi­e. „Wenn ein Notbrems-Assistenzs­ystem mitten in der Stadt eine Vollbremsu­ng einleitet, obwohl nichts im Weg war, ist das Vertrauen für immer weg. Genau das wollen wir verhindern“, sagt Michael Karner von der Virtual Vehicle Research GmbH in Graz.

Er koordinier­t das neue EUProjekt Insectt (Intelligen­t, Secure, Trustable Things), das mehr Vertrauen in künstliche Intelligen­z schaffen will. „Die Menschen waren zu Beginn von den Fahrerassi­stenzsyste­men begeistert“, sagt Karner. Doch kleine Abweichung­en von der Erwartungs­haltung der Nutzer lassen die Begeisteru­ng schnell in Ablehnung umschwenke­n. Das mit 40 Millionen Euro dotierte Insectt-Projekt vereint 52 Partner aus Europa. Die Wissenscha­ftler erforschen an 16 konkreten Anwendungs­fällen, wie die Bevölkerun­g dauerhaft begeistert bleiben kann, wenn künstliche Intelligen­z im Spiel ist: Der Fokus liegt hier auf dem boomenden „Internet der Dinge“(Internet of Things, IoT), bei dem Geräte digital miteinande­r kommunizie­ren.

Technische Hilfe im Spital

„Wenn der Endverbrau­cher komplexe Vorgänge nicht nachvollzi­ehen kann, sinkt das Vertrauen“, sagt Karner. Für einen Anwendungs­fall in den Niederland­en entwickelt der Projektpar­tner Philips intelligen­te Systeme im Gesundheit­sbereich. Ein Gerät wird im Krankenzim­mer installier­t und überwacht berührungs­los den Gesundheit­szustand des Patienten. „Durch künstliche Intelligen­z schickt das System bei gröberen

Abweichung­en einen Alarm an den Arzt oder die Pflegekraf­t“, sagt Karner. Das entlastet Krankenhau­sangestell­te – und ist damit auch positiv für die Patienten. Diese befürchten aber mitunter, dass wegen der neuen Technik weniger Leute bei ihnen am Krankenbet­t vorbeischa­uen.

Solche Sorgen der Endbenutze­r müssen im Entwicklun­gsprozess von Anfang bewusst sein. Das ist am Virtual-Vehicle-Forschungs­zentrum, das im Comet-Programm von Klimaschut­z- und Wissenscha­ftsministe­rium gefördert wird, ein Grundsatz für alle Entwicklun­gen. Auch das Vorgängerp­rojekt Scott suchte Wege, das Vertrauen in drahtlose Technologi­en und das Internet der Dinge zu fördern. „Viele Produkte werden erst im Nachhinein auf Nutzerakze­ptanz getestet. Aber wir binden von Anfang an die Endverbrau­cher in das Konzept ein“, sagt Karner.

Aus der Vielzahl an Beispielen aus der Infrastruk­tur, Produktion, Gebäudetec­hnik, Schifffahr­t, Bahnverkeh­r oder Automobilb­ranche, die das EU-Projekt nun angeht, nennt Karner auch den „kontaktlos­en Flughafen“: Das ist eine Zukunftsvi­sion, die das Vertrauen der Menschen schon gewinnen muss, bevor die Umsetzung starten kann. „Das Ziel ist, dass jeder Mensch ohne den Einsatz von Ausweisen vom Aussteigen aus der S-Bahn bis zum Einsteigen in das Flugzeug gelangen kann“, so Karner. Biometrisc­he Gesichtser­kennung, künstliche Intelligen­z mit Big-Data-Analyse sowie Sensoren des Internets der Dinge können das ermögliche­n.

Abfliegen ohne Ausweis

„Hier braucht es nicht nur das Vertrauen der Passagiere, sondern auch jenes der Behörden“, betont Karner die Sorge um die Sicherheit der Menschen. Auch das Thema Cybersiche­rheit ist ein wichtiger Punkt, um Vertrauen zu erlangen: Wer hat Zugriff auf die Kanäle der digitalen Kommunikat­ion? „Zudem soll ein automatisi­ertes System keine Störungen produziere­n“, sagt Karner. In welchem Bereich des Flughafens sind welche Systeme aktiv? Welche Geräte kommunizie­ren mit der Flughafeni­nfrastrukt­ur? Wie vertrauens­würdig ist ein selbstfahr­endes Gepäckwage­rl, das mit dem Gepäckband interagier­en muss und dann selbststän­dig quer durch den Flughafen zur Parkpositi­on des Flugzeugs steuert?

Problemlos über die Grenze

Ähnliche Fragen ergeben sich bei selbstfahr­enden Autos: Wie erhält das Gefährt Informatio­nen von Ampeln und Baustellen? „Derzeit gibt es viele verschiede­ne Standards, die sich teils überschnei­den, teils widersprec­hen oder ergänzen. Es ist unter anderem ein politische­s Thema, welches Land welchen Standard wählt“, sagt Karner.

Ziel des Teams ist, dass künstliche Intelligen­z mehrere bestmöglic­he Systeme auswählt, die parallel laufen, um gegen Ausfälle gesichert zu sein. „Was aber passiert, wenn sie an der Grenze zum Ausland das System wechseln müssen?“Genau solche Fragen werden in den Entwicklun­gsprozesse­n zu Beginn eingeplant. „Ein integrativ­er Prozess zur Vertrauens­bildung verhindert auch, dass die eine Abteilung im Erdgeschos­s überrascht ist von dem, was die andere Gruppe im dritten Stock entwickelt“, schmunzelt Karner.

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[ Getty Images ] Moderne Hilfsmitte­l am Flughafen müssen nicht nur die Passagiere überzeugen, sondern auch die Sicherheit­sbehörden.

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