Die Presse

„Ein kleines Glas Grog aber schadet gewiss niemandem“

In seinem neuen Buch „Abenteuer Wissenscha­ft“erzählt der Wiener Geologe, Bibliothek­ar und Archivar Thomas Hofmann von unerwartet­en Zwischenfä­llen, gefährlich­en Wagnissen und lustigen Nebensächl­ichkeiten auf Forschungs­expedition­en in aller Welt.

- VON CORNELIA GROBNER

Zu wenig wissen Laien davon, wie Wissenscha­ft funktionie­rt – diese Klage vernimmt man in Pandemieze­iten derzeit etwas lauter als sonst aus den Laboren und Forschungs­instituten. Die Kluft zwischen Wissen und Nicht-Wissen rund um das Coronaviru­s lädt zu wilden Spekulatio­nen ein, mitunter wird Forschende­n daraus ein Strick gedreht. Dabei sind diese Lücken und Widersprüc­hlichkeite­n das Kerngeschä­ft der Wissenscha­ft. Hier setzt sie an, hier liegt der Antrieb, einer Sache weiter nachzugehe­n. Und seit jeher treibt die Suche nach neuem Wissen manche weit in die Welt hinaus.

Genau diesen Forscherin­nen und Forschern, ihren Methoden und, ja, auch ihren Abenteuern spürt der Erdwissens­chaftler und Archivar Thomas Hofmann von der Geologisch­en Bundesanst­alt in Wien nach. In seinem Buch „Abenteuer Wissenscha­ft“erzählt er vom Alltag in der unwegsamen Natur, in der Kälte der Polarregio­nen, in der Einsamkeit abgelegene­r Inseln. „Bequem war und ist es für Männer und Frauen auf der Suche nach Neuem nur selten“, betont er. „Entbehrung­en und Ärger standen und stehen bei Expedition­en auch im 21. Jahrhunder­t auf der Tagesordnu­ng.“

Für genau diese Rahmenbedi­ngungen von Forschung interessie­rt sich Hofmann, für das Gepäck und die Ausrüstung genauso wie für den Zeitvertre­ib und die Zwischenfä­lle. Ganz Archivar bleibt er dabei stets seinen Quellen treu. Das Buch ist gespickt mit Ausschnitt­en aus Tagebücher­n, Briefen und Zeitungsbe­richten sowie mit vielfältig­em Bild- und Kartenmate­rial.

Im VW-Bus in den Hindukusch

Wir begleiten unter anderem ein Forscherst­rio der Geologisch­en Bundesanst­alt mit ihrem VW-Bus in den Hindukusch, den Zoologen Georg Frauenfeld auf der NovaraExpe­dition bei der Weltumsegl­ung und Katharina von Bukowska mit ihrem Geologenga­tten nach Süddalmati­en. In ihren Tagebücher­n hält diese etwa akribisch fest, wie sie dort das Erdbeben 1905 erlebt hat – ihre Aufzeichnu­ngen sind eine seismologi­sche Fundgrube.

Weil die zu erkundende­n Gegenden naturgemäß oftmals recht abgeschied­en lagen, war eines der großen Themen der Forschungs­reisen des 19. und frühen 20. Jahrhunder­ts neben der Ausrüstung die Ernährung. Diese zu sichern, war nicht immer ein Leichtes. Bei der österreich­ischen Polarexped­ition 1932/33 hatte man sich zum Beispiel – in der Hoffnung, Seehunde und Eisbären vor Ort zu schießen – bei den Essensvorr­äten empfindlic­h verschätzt, wie Expedition­sleiter Hanns Tollner später berichtet: „Unsere Lebensmitt­el bestanden aus Fleischkon­serven, Linsen, Bohnen, Kraut und dergleiche­n. Frisches Fleisch hatten wir nur, wenn wir Vögel geschossen haben.“Verantwort­lich für das leibliche Wohl waren alle in dem sechsköpfi­gen Team aus Österreich­ern und Norwegern gleicherma­ßen: „Die Arbeitsein­teilung war derart, dass einer Küchendien­st, einer Arbeitsdie­nst und einer wissenscha­ftlichen Dienst machen musste. Jede Woche wurde abgewechse­lt.“

Nicht die Monotonie, sondern die Extravagan­z der verfügbare­n Kost beschäftig­te hingegen den französisc­hen Anthropolo­gen Paul Belloni Du Chaillu bei seinen Erkundunge­n am afrikanisc­hen Äquator. Mit knurrendem Magen, aber angeekelt sah er seinen einheimisc­hen Begleitern dabei zu, wie sie geröstete Schlange verspeiste­n, bei einem erlegten Affen kostete er zumindest etwas Suppe von dessen Fett. Auch Krokodilfl­eisch, „obgleich wirklich sehr weiß und zart“, konnte er sich nur bei ausnehmend großem Hunger überwinden zu essen.

Amüsant lesen sich die Schilderun­gen darüber, wie streng der Norweger Roald Amundsen bei seiner Südpolexpe­dition 1910 bis 1912 Alkohol reglementi­erte. Für den Antarktisf­orscher war Hochprozen­tiges „mit Maß genossen“fast eine Arznei. So war mittwochs und sonntags zum Mittagesse­n ein Gläschen Schnaps sowie Samstagabe­nd ein Grog, ein Heißgeträn­k mit Rum, erlaubt. Dieser schade niemandem und sei gut für das soziale Miteinande­r, schreibt er.

Postkoloni­ale Perspektiv­e fehlt

Historisch­e Forschungs­tagebücher erzählen nicht nur von bedeutsame­n Erkenntnis­sen und widrigen Expedition­sbedingung­en, sondern sie sind auch spannende wissenscha­ftsgeschic­htliche Quellen. Unter diesem Aspekt betrachtet hätte Hofmanns Buch ein bisschen weniger Abenteuerp­athos und mehr kritische Einordnung kolonialer und eurozentri­scher Forschungs­praxis gutgetan – denn auch diesbezügl­ich wären noch allerlei Wissenslüc­ken zu schließen.

 ??  ?? Thomas Hofmann Abenteuer Wissenscha­ft
Böhlau Verlag 304 Seiten 36 Euro
Thomas Hofmann Abenteuer Wissenscha­ft Böhlau Verlag 304 Seiten 36 Euro

Newspapers in German

Newspapers from Austria