Um die Artenvielfalt wie um den Klimaschutz kämpfen
Keines der Biodiversitätsziele, auf die Regierungen weltweit sich vor zehn Jahren einigten, wurde erreicht. Ein internationales Forscherteam, das am Erfolg der Neuauflage arbeitet, fordert nun eine dringlichere Kommunikation – nur dann könne die Trendumke
Spätestens seit dem Pariser Klimaabkommen sind die globale Erwärmung und ihre Folgen in aller Munde. Jedes Kind kennt den Zusammenhang von Klimagasen und Temperatur. Stiller, aber mindestens so gefährlich rollt jedoch noch eine andere Katastrophe auf uns zu: der massive Rückgang der Artenvielfalt und der Kollaps von Ökosystemen. Weltweite Wildtierbestände gingen seit 1970 um mehr als zwei Drittel zurück, im Wasser verschwanden sogar 84 Prozent. Ähnlich wie bei der Pariser Klimakonferenz einigte man sich daher 2010 im japanischen Aichi auf 20 Ziele, welche den Abwärtstrend beenden sollten.
Eine Dekade später ist keines davon erreicht. Kaum verwunderlich, konstatierte kürzlich ein Forschungsteam und pocht in einem Kommentar in der Fachzeitschrift Science auf eine smarte Neugestaltung der Vereinbarung. Piero Visconti, Ökologe am Laxenburger Institut für Angewandte Systemanalyse, ist einer der Co-Autoren: „Dass keines der Ziele erreicht wurde, ist ein Armutszeugnis für die verantwortlichen Regierungen. Aber die Niederlage zeigt auch, dass die Ziele als solche nicht funktionieren.“Viele einzelne, teilweise konkurrierende Absichten machten es den zuständigen Technokraten nicht leicht genug: „Uns geht es darum, dem nächsten Abkommen eine Struktur zu geben, welche die Umsetzung vorantreibt.“
Über allem steht künftig eine Vision: Bis 2050 soll Biodiversität als Wert verankert sein und weitsichtig genutzt werden, um wichtige Dienste für Mensch und Natur zu leisten. Die Ziele, welche im kommenden Frühjahr in Kunming (China) beschlossen werden sollen, sind nun nach Priorität geordnet. Auch die Weltbevölkerung muss eingebunden werden, damit Regierungen aktiv werden.
Krümm die Kurve!
Ein Bild, das sich bei der Vermittlung durchgesetzt hat, ist die Krümmung der Biodiversitätskurve. Wie bei der erfolgreichen Kommunikation der Coronaregeln im Frühjahr, wird einem Graphen der Krieg erklärt: Statt eine exponentiell ansteigende Kurve wie bei den Covid-19-Fallzahlen abzuflachen, muss jedoch die fallende Kurve der Artenvielfalt nach oben gekrümmt werden, damit Wildtierpopulationen sich regenerieren und wichtige Ökosysteme erhalten bleiben.
Auch birgt der Biodiversitätsbegriff Unschärfen, die eine konkrete Zielsetzung hemmen, so Visconti: „Im Gegensatz zum Klimawandel, welcher insbesondere durch die drei Moleküle CO2, Methan und Wasserdampf befeuert wird, ist der Biodiversitätsverlust nicht so einfach zu erklären.“Viele Faktoren – von Raubbau und sich ausbreitender Landwirtschaft zu übersäuerten Meeren und erodierenden Böden – würden Ökosystemen zu schaffen machen. Der Klimawandel selbst verschlimmere die Probleme. „Keine einzelne Zahl kann diese Fülle von Treibern abbilden“, so der Ökologe.
Artenschutz ist Klimaschutz
Um trotzdem nicht zu stagnieren, bräuchten die am Übereinkommen über die biologische Vielfalt beteiligten Länder klare Anweisungen. Einzelne Areale für den Schutz von Biodiversität zu designieren sei ein wichtiger Ansatz, erklärt der Wissenschaftler, der sich auch an einer kürzlich erschienenen NatureStudie dazu beteiligte. „Die Renaturierung von 15 Prozent der bebauten oder beackerten Landmassen kann bis zu 60 Prozent der Arten schützen, die nach jetzigem Stand vom Aussterben bedroht sind.“
Spannend ist ein Nebeneffekt der Renaturierung: Bis zu 300 Gigatonnen CO2 könnten durch die vorgeschlagenen Maßnahmen gebunden werden, das ist beinahe ein Drittel der bisher vom Menschen zusätzlich verursachten Emissionen. Eine Renaturierung von 30 Prozent der identifizierten Flächen bände bereits die Hälfte dieser zusätzlichen Klimagase. Auch die Stickstoffbelastung der Gewässer und die Entstehung zoonotischer Krankheiten wie Covid-19 könnten mit so gezielten Maßnahmen verringert werden.
„Wenn es an die Umsetzung der nächsten Biodiversitätsziele geht, müssen die positiven Effekte einer zügigen Realisierung kommuniziert werden“, betont Visconti. Biodiversität verdiente die globale Aufmerksamkeit ebenso wie der Klimawandel. Ihre enge Verbindung zeigt: Sie sollten sich das Rampenlicht teilen.