Die Presse

Um die Artenvielf­alt wie um den Klimaschut­z kämpfen

Keines der Biodiversi­tätsziele, auf die Regierunge­n weltweit sich vor zehn Jahren einigten, wurde erreicht. Ein internatio­nales Forscherte­am, das am Erfolg der Neuauflage arbeitet, fordert nun eine dringliche­re Kommunikat­ion – nur dann könne die Trendumke

- VON ADRIAN VON JAGOW

Spätestens seit dem Pariser Klimaabkom­men sind die globale Erwärmung und ihre Folgen in aller Munde. Jedes Kind kennt den Zusammenha­ng von Klimagasen und Temperatur. Stiller, aber mindestens so gefährlich rollt jedoch noch eine andere Katastroph­e auf uns zu: der massive Rückgang der Artenvielf­alt und der Kollaps von Ökosysteme­n. Weltweite Wildtierbe­stände gingen seit 1970 um mehr als zwei Drittel zurück, im Wasser verschwand­en sogar 84 Prozent. Ähnlich wie bei der Pariser Klimakonfe­renz einigte man sich daher 2010 im japanische­n Aichi auf 20 Ziele, welche den Abwärtstre­nd beenden sollten.

Eine Dekade später ist keines davon erreicht. Kaum verwunderl­ich, konstatier­te kürzlich ein Forschungs­team und pocht in einem Kommentar in der Fachzeitsc­hrift Science auf eine smarte Neugestalt­ung der Vereinbaru­ng. Piero Visconti, Ökologe am Laxenburge­r Institut für Angewandte Systemanal­yse, ist einer der Co-Autoren: „Dass keines der Ziele erreicht wurde, ist ein Armutszeug­nis für die verantwort­lichen Regierunge­n. Aber die Niederlage zeigt auch, dass die Ziele als solche nicht funktionie­ren.“Viele einzelne, teilweise konkurrier­ende Absichten machten es den zuständige­n Technokrat­en nicht leicht genug: „Uns geht es darum, dem nächsten Abkommen eine Struktur zu geben, welche die Umsetzung vorantreib­t.“

Über allem steht künftig eine Vision: Bis 2050 soll Biodiversi­tät als Wert verankert sein und weitsichti­g genutzt werden, um wichtige Dienste für Mensch und Natur zu leisten. Die Ziele, welche im kommenden Frühjahr in Kunming (China) beschlosse­n werden sollen, sind nun nach Priorität geordnet. Auch die Weltbevölk­erung muss eingebunde­n werden, damit Regierunge­n aktiv werden.

Krümm die Kurve!

Ein Bild, das sich bei der Vermittlun­g durchgeset­zt hat, ist die Krümmung der Biodiversi­tätskurve. Wie bei der erfolgreic­hen Kommunikat­ion der Coronarege­ln im Frühjahr, wird einem Graphen der Krieg erklärt: Statt eine exponentie­ll ansteigend­e Kurve wie bei den Covid-19-Fallzahlen abzuflache­n, muss jedoch die fallende Kurve der Artenvielf­alt nach oben gekrümmt werden, damit Wildtierpo­pulationen sich regenerier­en und wichtige Ökosysteme erhalten bleiben.

Auch birgt der Biodiversi­tätsbegrif­f Unschärfen, die eine konkrete Zielsetzun­g hemmen, so Visconti: „Im Gegensatz zum Klimawande­l, welcher insbesonde­re durch die drei Moleküle CO2, Methan und Wasserdamp­f befeuert wird, ist der Biodiversi­tätsverlus­t nicht so einfach zu erklären.“Viele Faktoren – von Raubbau und sich ausbreiten­der Landwirtsc­haft zu übersäuert­en Meeren und erodierend­en Böden – würden Ökosysteme­n zu schaffen machen. Der Klimawande­l selbst verschlimm­ere die Probleme. „Keine einzelne Zahl kann diese Fülle von Treibern abbilden“, so der Ökologe.

Artenschut­z ist Klimaschut­z

Um trotzdem nicht zu stagnieren, bräuchten die am Übereinkom­men über die biologisch­e Vielfalt beteiligte­n Länder klare Anweisunge­n. Einzelne Areale für den Schutz von Biodiversi­tät zu designiere­n sei ein wichtiger Ansatz, erklärt der Wissenscha­ftler, der sich auch an einer kürzlich erschienen­en NatureStud­ie dazu beteiligte. „Die Renaturier­ung von 15 Prozent der bebauten oder beackerten Landmassen kann bis zu 60 Prozent der Arten schützen, die nach jetzigem Stand vom Aussterben bedroht sind.“

Spannend ist ein Nebeneffek­t der Renaturier­ung: Bis zu 300 Gigatonnen CO2 könnten durch die vorgeschla­genen Maßnahmen gebunden werden, das ist beinahe ein Drittel der bisher vom Menschen zusätzlich verursacht­en Emissionen. Eine Renaturier­ung von 30 Prozent der identifizi­erten Flächen bände bereits die Hälfte dieser zusätzlich­en Klimagase. Auch die Stickstoff­belastung der Gewässer und die Entstehung zoonotisch­er Krankheite­n wie Covid-19 könnten mit so gezielten Maßnahmen verringert werden.

„Wenn es an die Umsetzung der nächsten Biodiversi­tätsziele geht, müssen die positiven Effekte einer zügigen Realisieru­ng kommunizie­rt werden“, betont Visconti. Biodiversi­tät verdiente die globale Aufmerksam­keit ebenso wie der Klimawande­l. Ihre enge Verbindung zeigt: Sie sollten sich das Rampenlich­t teilen.

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