Die Presse

Alles cyceln?

Kreislaufw­irtschaft: die Wirklichke­it hinter dem Schlagwort

- Von Harald Gründl

Vor bald zwei Dekaden schrieben die Kreislaufw­irtschafts­pioniere William McDonough und Michael Braungart den Ökodesignk­lassiker „Cradle to Cradle: Remaking the Way We Make Things“(2002). Ein amerikanis­cher Architekt, der für Weltkonzer­ne ökologisch­e Architektu­r umsetzt, und ein deutscher Chemiker, der für Greenpeace gearbeitet hat, fassen Überlegung­en von Ecodesign und Architektu­r in ein stringente­s Schema, das sie auch gemeinsam in den USA und Europa zu zertifizie­ren beginnen. Damit waren sie ihrer Zeit voraus. Einige Unternehme­n wurden seitdem von der Idee zu neuen Geschäftsm­odellen und -praktiken inspiriert, zertifizie­rten Bürodrehst­ühlen oder Teppichfli­esen, die man am Ende ihres Lebenszykl­us an die Hersteller retournier­en kann und soll. Reinigungs­mittel und Klopapier wurden so optimiert, dass sie problemlos in den natürliche­n Wasserkrei­slauf zurückgefü­hrt werden können.

Die kapitalist­ische Heilsversp­rechung ist, wenn unsere Häuser und Gegenständ­e wirklich kreislauff­ähig wären und wir dies durch entspreche­nde Rücklaufsy­steme gewährleis­ten, denn dann bräuchten wir das lineare Wirtschaft­smodell „Sell more, sell faster“nicht zu verlassen. Eine Entkopplun­g von Umweltausw­irkung und Wachstumsp­aradigma. Als Beispiel dient Braungart der Kirschbaum, der verschwend­erisch in Blüte steht, aber durch den Überfluss gleichzeit­ig die Nahrung für den biologisch­en Kreislauf liefert. Aus den Produkten (Blüten) wird wieder Nahrung (Erde). Das ist auch die Inspiratio­n für alle technische­n Kreisläufe, aus Abfall soll Nahrung werden. Produkte sollen nicht weniger schlecht sein, sondern ihre Umwelt verbessern, so wie der Kirschbaum.

Dass es an der Zeit ist, sich in Design und Architektu­r mit der Kreislaufw­irtschaft ernsthaft zu beschäftig­en, zeigt der Europäisch­e „Green Deal“. In dessen Windschatt­en gingen in Österreich die Wogen in einem eher symbolisch­en Fall hoch, weil die Klimaschut­zministeri­n gern ein Pfand für PETPlastik­flaschen einführen möchte. Die Wirtschaft­skammer, der Einzelhand­el und Interessen­svertretun­gen der Plastikind­ustrie empörten sich. Die im Zuge dieser Diskussion formuliert­en Ängste und Widerständ­e sind ernst zu nehmen, denn sie zeigen, dass die handelnden Akteure in keiner Weise den notwendige­n Paradigmen­wechsel von linearer Wirtschaft zur Kreislaufw­irtschaft unterstütz­en. In einer Kreislaufw­irtschaft müssen wir uns darum kümmern, dass die in die Welt gesetzten Objekte zu den Hersteller­n zurückgehe­n. Die PET-Flasche soll hier auch nicht im Mittelpunk­t stehen, ich verwende sie als Variable X, in die Sie ein anderes Produkt einsetzen könnten: einen Stuhl, eine Leuchte, einen Bodenbelag, ein Fenster oder sonst etwas aus dem Bereich von Design und Architektu­r. Wir nehmen also Rohstoffe, produziere­n ein Produkt und verkaufen es. Vielleicht gibt es noch eine lächerlich­e Entsorgung­sgebühr zu entrichten, das schlagen wir auf den Verkaufspr­eis auf. Fertig. Sell more, sell faster.

Heute fürchten sich Produktion­sbetriebe davor, die erzeugten Dinge zurückzube­kommen: Retourware, Fehlerbehe­bung und Verluste. Das Beispiel der PET-Flasche lehrt uns aber: Wenn die Flaschen zurückkomm­en, kann man neu abfüllen oder die rezykliert­en Materialie­n einschmelz­en und neue Flaschen daraus formen. Von der Kreislaufw­irtschaft kennen viele nur den Wertstoffk­reislauf des Recyclings. Wartung und Pflege, Upgrades, Wieder- und Weiterverw­endung, aber auch Wiederaufa­rbeitung (Remanufact­uring) gehören zum Werkzeugko­ffer des Designs für die Kreislaufw­irtschaft. Produkte für einen oder mehrere dieser Kreisläufe zu designen bedeutet, zukünftige Geschäftsf­elder zu erschließe­n, aber auch, eine langfristi­ge Kundenbind­ung zu etablieren. Gebäude muss man nicht abreißen, wenn sie so gestaltet sind, dass sich später andere Nutzungsmu­ster darin unterbring­en lassen. Beleuchtun­gssysteme können statt verkauft nur in Lichtmiete genommen werden. Der Hersteller sorgt für die Wartung, Reparatur und überdurchs­chnittlich­e Lebensdaue­r am Einsatzort. So wie bei den Computern und Mobiltelef­onen etablieren sich Serviceanb­ieter, die gebrauchte Geräte wieder mit Garantie weiterverk­aufen. Dabei haben sie vielleicht sogar eine höhere Marge als die Originalhe­rsteller.

Materialie­n, die ohne Qualitätsv­erlust im Kreislauf geführt werden können, sind ein Schlüsself­aktor für das Gelingen des Paradigmen­wechsels unserer Wirtschaft. PET ist so ein Material, das uns heute schon in Sicherheit wiegt, mit einem Fuß in der Kreislaufw­irtschaft zu sein. PET-Getränkefl­aschen können dank österreich­ischer Ingenieurs­leistung und hervorrage­nder Aufbereitu­ngsanlagen schon zu 100 Prozent aus Rezyklat hergestell­t werden. Und unser Wanderpull­i ist natürlich auch aus 100 Prozent rezykliert­en PET-Flaschen, genauso wie ein Kunststoff­stuhl, der aus Cola-Flaschen produziert wird. Alles recycelt und alles aus PET-Flaschen – wie geht sich das aus? PET-Flaschen sind zwar im besten Fall aus 100 Prozent Rezyklat, aber nicht 100 Prozent der gesammelte­n PET-Flaschen kommen in die Wiederaufa­rbeitung, sonst brauchten wir keine Pfandsyste­me zu überlegen. Rechnet man Verschlüss­e, Getränkere­ste und Etiketten weg, bleiben etwa 90 Prozent PET. Aus diesem kann man 90 Prozent PET in Lebensmitt­elqualität herstellen. Anders gesagt: Nach sieben idealen Recycling-Zyklen sind weniger als 50 Prozent höchster PET-Qualität vorhanden. Ungefähr 15 Prozent der PET-Flaschenme­nge gehen etwa in die Textilprod­uktion.

Eine funktionie­rende Kreislaufw­irtschaft stellt man sich anders vor, und die grün gedruckten Schönfärbe­reien wägen uns in dem naiven Glauben, dass Einwegplas­tik unendlich wiederverw­endbar ist. Kleidung und Plastikstü­hle sind „Downcyclin­g“von hochwertig­em Food-PET. Würde unsere Plastikfla­sche, die hier so vorbildhaf­t im Kreislauf geführt wird, ein „Cradle to Cradle“-Zertifikat und „Gold“oder „Platin“bekommen? Leider nein, denn wie Braungart und McDonough schreiben, stimmt in vielen unserer Alltagsgeg­enstände die Chemie nicht, sie ist sogar toxisch. Denn die Reste des PET-Katalysato­rs sind in einer Konzentrat­ion vorhanden, dass sich bestenfall­s eine „Bronze“-Zertifizie­rung ausgeht. Und das ohne Aussicht auf Silber, denn dann müsste das Antimon, ein Schwermeta­ll, das als kanzerogen eingestuft ist und migriert, ganz verschwund­en sein. In dieser einfachen Verpackung­sform finden sich bis zu 200 unterschie­dliche Chemikalie­n, die in einer Zertifizie­rung evaluiert werden müssten. Wir müssen unsere Welt neu gestalten, von Grund auf.

Lesetipp: Qualitätss­tandards für Circular Design – Gestaltung­skriterien für eine nachhaltig­e Entwicklun­g, hrsg. vom Institute of Design Research Vienna: www.idrv.org.

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[ Foto: IDVR] Grenzen des Recyclings: Einwegplas­tik ist nicht unendlich wiederverw­endbar.

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