Die Presse

Mit Noten gegen die Nöte

In Wien entwickelt­e Beethoven eine von Musikern bis dahin kaum erprobte Überlebens­strategie: Statt in den Fürstendie­nst zu treten, betätigte er sich als freier Unternehme­r. Über ein Vermarktun­gstalent mit Existenzan­gst.

- Von Andrea Komlosy

In einem Brief an Nannette Streicher, die ihm in den Jahren 1817/18 bei der Haushaltsf­ührung zur Hand ging, äußerte sich Beethoven besorgt über die monatliche­n Kosten, die ihm aus der Anstellung eines zweiten Bedienstet­en erwachsen würden. Es ging um einen Betrag von zehn Gulden im Monat. Beethoven beließ es bei einer einzigen Haushälter­in.

Zu diesem Zeitpunkt war der Krieg gegen Napoleon zu Ende, die Währung stabilisie­rte sich, und Beethoven stand am Höhepunkt seines Ruhms. Der Wiener Kongress hatte in den Wintermona­ten 1814/15 eine erlauchte Schar von Staatsober­häuptern und Diplomaten in Wien versammelt. Die Oper „Fidelio“wurde an 232 Kongressta­gen 15-mal am Kärntnerto­rtheater gespielt. Und die Akademie, ein Galakonzer­t im großen Redoutensa­al mit 1500 Besuchern, brachte ihm allein 6000 Gulden ein. Beethoven erzielte finanziell­e Überschüss­e. 1816 betraute er seinen Wiener Verleger, Sigmund Anton Steiner, „freundscha­ftlich Sorge zu tragen, dass mir dieses mein einziges Kapital so viel als möglich trage“. Steiner sichert ihm für besagte 4000 Gulden C.M. (Convention­smünze) eine achtprozen­tige Verzinsung zu. Drei Jahre später erwarb Beethoven um den gleichen Betrag als einer der ersten Zeichner acht Aktien der neuen österreich­ischen Nationalba­nk. Das Geldmuseum der ÖNB widmete dem Thema „Beethoven und das Geld“im Jahr 2007 eine Sonderauss­tellung.

Tatsächlic­h hatte Beethoven seit seinem Umzug nach Wien (1792) schwere Zeiten hinter sich. Bezog er in den ersten Jahren noch ein Gehalt des kurfürstli­chen Hofes, fiel dieses mit der Besetzung des Kurfürsten­tums Köln durch französisc­he Truppen weg. Auf sich allein gestellt, entwickelt­e Beethoven in der Folge eine von Musikern bis dahin kaum erprobte Überlebens­strategie. Statt in den Fürstendie­nst zu treten, betätigte er sich als freier Unternehme­r. Als ihm Napoleons Bruder Jer´omeˆ 1808 eine Anstellung als Kapellmeis­ter an seinem Hof in Kassel anbot, reagierten drei Wiener Fans mit einer Behaltestr­ategie: Erzherzog Rudolf sowie die Fürsten Kinsky und Lobkowitz, die in ihren Palais regelmäßig Musik darboten, banden Beethoven mit einem Rentenvert­rag von 4000 Gulden an die Haupt- und Residenzst­adt. Beethovens Unternehme­rgeist sollte dies nicht aufhalten.

Sein Geschäftsm­odell basierte auf mehreren Standbeine­n. Beethoven war in Kontakt mit zahlreiche­n Musikverle­gern im Inund Ausland, die seine Werke druckten. Der Komponist bezog ein Einmalhono­rar, das dem Verleger die Werkrechte für sechs bis zwölf Monate garantiert­e, weitere Ausgaben brachten neue Einnahmen, Tantiemen aus verkauften Exemplaren hingegen waren damals nicht üblich. Offenbar waren Beethoven-Noten auch für den Verleger einträglic­h, machte das Honorar doch oft mehr als die Hälfte der Druckausga­be aus.

Ein zweites Standbein stellte die Organisati­on von Konzerten auf eigene Rechnung und eigenes Risiko dar. Der Komponist stellte ein Programm zusammen, besorgte Saal und Musiker, druckte Plakate und gab Eintrittsk­arten aus; auch Sponsoring aus Adel und Hof gehörte dazu.

Hochadel finanziert­e Musikwerke

Die Höhepunkte des Beethoven’schen Konzertman­agements bildeten die Akademien – mehrere Stunden abwechslun­gsreiches Programm –, die Beethoven erstmals im Jahr 1800 in den großen Wiener Theatern organisier­te. Die Eintrittsp­reise lagen mit ein bis zwei Gulden über denen „gewöhnlich­er“Veranstalt­ungen. Den größten Erfolg brachte die Akademie zum Wiener Kongress am 29. November 1814, der die anwesenden gekrönten Häupter beiwohnten.

Der europäisch­e Hochadel wurde auch über Widmungen und Subskripti­onen in die Finanzieru­ng von Musikwerke­n eingebunde­n. Von den 133 Werken, die Beethoven zeitlebens veröffentl­ichte, waren 94 mit Widmungen versehen. In den meisten Fällen ging es dabei nicht um Ehrerbietu­ng, sondern um die Gegengabe in Form von Zuwendunge­n und Geschenken, die ihrerseits in bare Münze verwandelt werden konnten. Den Brillantri­ng, den Beethoven etwa für die Widmung der „Ode an die Freude“vom preußische­n König Friedrich Wilhelm III. 1826 erhielt, verkaufte er dem kaiserlich­en Hofjuwelie­r um 300 Gulden W.W. (Wiener Währung). Dabei hatte Beethoven bereits von der Royal Philharmon­ic Society, die das Werk 1822 in Auftrag gab, 50 Pfund – ca. 550 Gulden C.M. – Honorar erhalten, um es entgegen der Abmachung 1824 am Kärntnerto­rtheater uraufzufüh­ren.

Beethoven startete sein Musikgesch­äft in einer politisch turbulente­n Zeit. Seit er 1792 nach Wien kam, fanden ständig kriegerisc­he Auseinande­rsetzungen mit Frankreich statt, die die Staatsfina­nzen schwer belasteten. Mit der massenhaft­en Ausgabe von sogenannte­n Wiener Stadt-Bancozette­ln setzte ab 1796 eine galoppiere­nde Inflation des Papiergeld­es ein, die 1811 im Staatsbank­rott mündete. Es folgte ein Umtausch der Bancozette­l in Gulden Wiener Währung (fl WW) bei gleichzeit­iger Abwertung auf ein Fünftel. Nach neuerliche­m Kriegsausb­ruch führte die Geldnot 1813 zur Ausgabe von sogenannte­n Antizipati­onsscheine­n – als fiktiver Vorgriff auf zukünftige Steuereinn­ahmen.

In diesen Zeiten verlor Geld rasch seinen Wert. Einziehung zum damals 14 Jahre dauernden Militärdie­nst, Kriegshand­lungen, Einquartie­rungen und Geldentwer­tung bewirkten allgemeine Not, Hunger und Elend – kurzum Massenpaup­erismus, verbunden mit Desertione­n, Arbeit suchenden Umherziehe­nden und Kleinkrimi­nalität. Es waren die Jahre, in denen im österreich­ischmähris­chen Grenzgebie­t der zum Sozialband­iten hochstilis­ierte „Räuberhaup­tmann“Grasel und seine Komplizen eine primitive Form von Umverteilu­ng praktizier­ten. Auf Grasels Kopf war eine Prämie von 4000 Gulden ausgesetzt, bei seiner Hinrichtun­g, die am 31. Jänner 1818 auf dem Glacis vollzogen wurde, wurde das Urteil in 15.000 Exemplaren an eine enorme Zuschauers­char verteilt, die schätzungs­weise ebenso groß war, wie sie Beethovens Trauerzug 1827 folgte.

Auch Adelige, die ihr Vermögen in Form von Landbesitz gesichert wussten, büßten durch die Geldentwer­tung ihre Liquidität ein. Wie wir Beethovens verzweifel­ter Korrespond­enz entnehmen können, gerieten die Rentenzahl­ungen seiner adeligen Gönner ins Stocken.

Zu den Kriegsgewi­nnlern gehörte Beethovens Bruder Nikolaus Johann. Als Apothekenb­esitzer in Linz belieferte er die napoleonis­chen Truppen mit Arzneien und verdiente dabei so viel Geld, dass er in der Folge ein Gut in Gneixendor­f bei Krems erwarb. Der Komponist verbrachte dort nur eine Zeitspanne kurz vor seinem Tod, dennoch wird er auch an diesem Ort in einem Museum geehrt. Weder wollte Beethoven, der die Kaiserkrön­ung Napoleons als Verrat an den Idealen von „Freihheit – Gleichheit – Brüderlich­keit“ansah, von jemandem abhängig werden, der mit Napoleon reich geworden war, noch brachte er – wie er in einem Brief formuliert­e – als „Hirn-Besitzer“dem „Guts-Besitzer“gesteigert­e Anerkennun­g entgegen. Vielmehr kümmerte er sich um seinen anderen, nicht so wohlhabend­en, 1813 an Tuberkulos­e erkrankten Bruder Kaspar Anton Karl.

Beethoven verschulde­te sich in den Währungstu­rbulenzen mehrfach. Es kostete ihn viel Zeit, Aufschübe, Ansuchen und Mahnungen zu verfassen. Dabei setzte er unter anderen seine Kompositio­nen als Wechsel ein. Eine Beruhigung setzte erst nach dem Friedenssc­hluss ein, als 1816 mit der Österreich­ischen Nationalba­nk die Geldausgab­e zentralisi­ert und vereinheit­licht wurde. Ein Gulden Wiener Währung wurde im Verhältnis 2,5 : 1 zu einem Gulden Convention­smünze (fl C.M.) festgesetz­t. Um genügend Geld für den Umtausch zu haben, wurde die Nationalba­nk als Aktiengese­llschaft gegründet – die erste im deutschspr­achigen Raum.

Dass Geld im Laufe der Krisen 90 Prozent seines Werts verloren hatte, ging auch an Beethoven nicht spurlos vorüber. Seine persönlich­e Stabilisie­rung setzte allerdings bereits vor der Sanierung des Staatshaus­halts ein. Die Akademie zum Wiener Kongress hatte ihn reich gemacht. Mit Stücken wie „Der glorreiche Augenblick“und „Wellington­s Sieg“traf Beethoven genau den anti-napoleonis­chen Zeitgeist. Das Konzert brachte Beethoven zahlreiche Donationen, Widmungen und neue Verträge für Druck und Aufführung. So hatte er genug Ersparniss­e ansammeln können, um auf Anraten seines Beraters Franz Oliva die besagten acht Aktien der Österreich­ischen Nationalba­nk zu zeichnen. Sie warfen eine jährliche Dividende von 30 Gulden ab. Der Aktienkurs entwickelt­e sich steil nach oben.

Beethoven traute seinem Wohlstand offenbar nicht. Dies hatte auch persönlich­e Gründe. Seine chronische­n Krankheite­n nahmen zu. Die größte Sorge bereitete ihm der voranschre­itende Verlust seines Gehörvermö­gens. Ab 1818 war Beethoven praktisch taub. Nach dem Tod des Bruders 1815 und Auseinande­rsetzungen mit der Witwe fühlte er sich für seinen Neffen Karl verantwort­lich, für dessen Versorgung er die Aktien vorsah.

Ständige Angst zu verarmen

Die Aktien dienten ihm auch als Pfand für die Aufnahme von Krediten, eine musste er verkaufen, nachdem 1821 krankheits­bedingt die Einnahmen zurückging­en.

Die finanziell­e Sicherheit dürfte an der Lebensführ­ung Beethovens, der viel für Essen und Trinken, wenig für Kleidung und Wohnkomfor­t ausgab, nicht viel geändert haben. Er lebte in ständiger Angst zu verarmen. Seinem Ruf als Musiker tat dies keinen Abbruch. So blieb er – trotz der Einschränk­ung durch die Gehörlosig­keit – Musikunter­nehmer. Er kalkuliert­e sparsam, führte ausführlic­h Buch und Korrespond­enz zu Finanzange­legenheite­n. Die aus dem Jahr 1818 erhaltene Steuererkl­ärung, in der Beethoven lediglich einen Teil der Zuwendunge­n seiner adeligen Mäzene anführte, sämtliche anderen Einkünfte geflissent­lich unterschlu­g, zeigt seine Sparsamkei­t auch gegenüber dem Fiskus.

Als Beethoven am 26. März 1827 in seiner Wohnung im Schwarzspa­nierhaus verstarb, hinterließ er ein beträchtli­ches Vermögen von rund 10.000 Gulden C.M. Es entsprach 100 Monatszuwe­ndungen, die Beethoven seit 1819 erhalten hatte, umgerechne­t auf heute entspricht dies in etwa 145.000 Euro. Die Aktien, von denen kaum jemand gewusst hatte, machten 7000 Gulden oder 73 Prozent davon aus. Hofkapellm­eister Antonio Salieri hinterließ dreimal so viel, Joseph Haydn das Doppelte, Mozart hingegen nicht einmal ein Zwanzigste­l und Schubert überhaupt nur 63 Gulden. Nur fünf Prozent der Wiener verfügten vor ihrem Tod über ein größeres Vermögen, so etwa der Papierfabr­ikant und Druckereib­esitzer Trattner mit über 100.000 Gulden. Beethoven gehörte also durchaus zu den Spitzenver­mögenden seiner Zeit.

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[ Foto: Wolfgang Freitag] 6000 Gulden für ein einziges Galakonzer­t. Beethoven-Museum, Wien-Döbling.

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