Die Presse

Caff`e-Legende

Das Caff`e Florian ist weit mehr als ein elegantes Kaffeehaus in bester venezianis­cher Lage am Markusplat­z. Es ist ein lebendiges Museum mit reicher Historie, um das sich zahllose Mythen und Anekdoten ranken. Es wird Ende Dezember biblische 300 Jahre alt.

- VON SASCHA RETTIG

Für einen guten Espresso muss immer Zeit sein. Vor allem in Italien. Und selbst wenn man gerade aus dem Gefängnis ausgebroch­en und auf der Flucht ist. Denn glaubt man der Erzählung, war der berühmt-berüchtigt­e Frauenheld Giacomo Casanova einst aus seiner Bleikammer auf dem Dach des Dogenpalas­ts getürmt, legte aber selbst in dieser brenzligen Situation noch einen Zwischenst­opp ein: auf einen Kaffee auf dem Markusplat­z im nahe gelegenen Caff`e Florian. Dies ist nur eine der zahlreiche­n Legenden und Anekdoten aus den vergangene­n Jahrhunder­ten, die sich um das womöglich älteste noch geöffnete Caff`e der Welt ranken.

Auf den rot samtenen Bänken und Stühlen saßen schon viele illustre Persönlich­keiten. JeanJacque­s Rousseau, Goethe natürlich, Lord Byron. Ernest Hemingway trank hier am liebsten Rotwein. Gina Lollobrigi­da stattete dem Caff`e gern während der Filmfestsp­iele auf dem Lido einen Besuch ab. Aber auch heutzutage kann es passieren, dass Prominenz am Nachbartis­ch sitzt, Salma Hayek etwa, die hier vor zwei Jahren ihren Geburtstag gefeiert hat. Längst ist das Kaffeehaus in bester venezianis­cher Lage zur Legende geworden. Eine langzeitüb­erlebende Institutio­n, die in diesem Jahr ihren 300. Geburtstag feiert – ein Museum im täglichen Caff`eBetrieb, das mit Stefano Stipitivic­h sogar einen eigenen künstleris­chen Direktor hat.

Triumphier­endes Venedig

Am 29. Dezember 1720 eröffnete Floriano Francescon­i ein Caff`e in den Procuratie-Nuove-Arkaden, damals noch unter dem Namen Alla Venezia Trionfante, zu Deutsch „Triumphier­endes Venedig“. Kaffee war damals gerade große Mode in der Stadt, nachdem ein Venezianer 1638 Kaffee aus Ägypten in die Lagunensta­dt gebracht hatte. Das erste Kaffeehaus eröffnete 1683. „Es war sehr populär, jeder wollte Kaffee trinken“, sagt Stipitivic­h. „Anders als Wein machte Kaffee wach, die Intellektu­ellen tranken ihn, um sich besser zu konzentrie­ren.“Die Zahl der Cafes´ sei damals auf etwa 200 in der gesamten Stadt begrenzt worden.

Etwas Außergewöh­nliches war ein neues Kaffeehaus selbst vor 300 Jahren nicht. Doch der Besitzer des Alla Venezia Trionfante soll eine schillernd­e Persönlich­keit gewesen sein – und das zog zahlreiche Künstler, Adlige und die Intellektu­ellen der Lagunensta­dt an. Irgendwann war das Caff`e, in dem heutzutage vor allem Touristen aus der ganzen Welt dem Mythos nachspüren, einfach unter dem Namen Florian’s bekannt.

Kaffee war damals ein Getränk, das sich eher nur die Betuchtere­n leisten konnten. „Ein türkischer Kaffee mit Zucker kostete etwa doppelt so viel wie ein Glas Wein“, sagt Stipitivic­h. Auch wer heute ins Caff`e Florian geht, muss deutlich tiefer ins Portemonna­ie greifen, als es normalerwe­ise der Fall ist – was mitunter für Kritik sorgt. Für einen einfachen Cappuccino, den Bestseller, muss man 10,50 Euro berappen. Die Cioccolata Casanova, eine heiße Schokolade mit Mintcreme und Schokorasp­eln, kostet 13,50 Euro.

Serviert werden die Spezialitä­ten aber in feinem Porzellan und auf einem Silbertabl­ett – angemessen elegant also wie auch die 20 Kellner – allesamt Männer, denen Tattoos, Piercings oder Ohrringe untersagt sind, die dafür aber Smokingjac­ke tragen müssen, weißes Hemd und eine Fliege, die bei der einen Hälfte schwarz, bei der anderen Hälfte weiß ist.

„An der schwarzen Fliege erkennt man die verdienten, erfahrenen Kellner, an der weißen den jüngeren Nachwuchs“, erklärt Roberto Ferronato, selbst stolzer Träger der schwarzen Fliege und seit 34 Jahren im Florian beschäftig­t. Bei ihm kann man auf Italienisc­h, Englisch und Französisc­h bestellen. Auch Deutsch versteht der Venezianer.

Neben dem Service ist im Florian, das seit einigen Jahren unter anderem dem Modedesign­haus Fendi gehört, vor allem aber die Atmosphäre eine besondere. Draußen an einem der 97 Tische hat man einen Logenplatz, um bei einem venezianis­chen Kaffee oder einem Bellini das lebendige Treiben auf dem Markusplat­z zu beobachten: In historisch­er Umgebung mit Markusdom und dem Campanile im Hintergrun­d sieht man, wie Touristen vorbeischl­endern. Manche füttern Tauben, obwohl es eigentlich nicht mehr erlaubt ist. Manche kaufen eine Rose oder ein Leuchtspie­lzeug bei einem der fliegenden Händler. Gelegentli­ch wagt ein Paar ein Tänzchen – schließlic­h spielt nicht nur beim Florian täglich Live-Musik bis Mitternach­t, meist von einem Quartett. Auch in den Kaffeehäus­ern auf der anderen Seite des Platzes ertönen im Wechsel Evergreens und Klassiker – von „My Heart Will Go on“bis „Time to Say Goodbye“.

Wer es vorzieht, beim Besuch im Florian an einem Marmortisc­h in einem der opulenten Innenräume zu sitzen, hat das Gefühl, in einer anderen Zeit gelandet zu sein. „Im 19. Jahrhunder­t wurde es teilweise umgebaut, seitdem ist es im Grunde aber unveränder­t“, sagt Stipitivic­h. Allerdings wurde das Cafe´ zwischenze­itlich erweitert. „Als Letztes kam 1920 der sogenannte Freiheitsr­aum dazu.“Sechs Räume gibt es seitdem insgesamt. „Das alles instand zu halten ist eine echte Herausford­erung. Wir renovieren eigentlich permanent, nicht zuletzt auch wegen des Hochwasser­s jedes Jahr“, sagt der künstleris­che Leiter.

Geburtsstä­tte der Biennale

Der Sala del Senato, der „Senatsraum“, ist einer der bedeutends­ten Räume des Cafes´ – nicht nur wegen der Malereien an den Wänden und den Decken, die wie überall mit Glasschutz versehen sind. „Das Zeitalter der Erleuchtun­g oder des Fortschrit­ts“und „Zivilisati­on, die die Nationen erzieht“und dazu elf Tafeln mit Malereien sind dort zu sehen. Hier wurde übrigens auch eine der wichtigste­n Veranstalt­ungen Venedigs geboren: die Biennale di Venezia, das Kunstfesti­val, das im Wechsel mit der Architektu­r-Biennale bis heute alle zwei Jahre stattfinde­t und zu den renommiert­esten der Welt zählt. Zur Kunst-Biennale werden jedes Mal internatio­nale Künstler eingeladen, einen der Caff`e-Räume zu gestalten. Dann gibt es Ausstellun­gen, Installati­onen oder Videoproje­ktionen – natürlich ohne etwas an der historisch­en Einrichtun­g zu verändern.

Auch wenn es auf der Welt, in Italien und in Venedig in den vergangene­n drei Jahrhunder­ten permanent Krisen und Erschütter­ungen gab, war das Florian immer geöffnet, das ganze Jahr über. Sogar zu Weihnachte­n. Sogar während des Ersten Weltkriegs, als Kriegsverl­etzte hier untergebra­cht waren. Ausgerechn­et im Jubiläumsj­ahr aber hat es auch das Florian erwischt: Zu Beginn der Coronapand­emie war es erstmals fast drei Monate zu; auch derzeit ist es geschlosse­n. Als es im Juni wieder eröffnete, hatte der globale Ausnahmezu­stand das Leben und Reisen weltweit verändert – die reiche Geschichte des Kaffeehaus­es wird aber nach wie vor fortgeschr­ieben.

www.caffeflori­an.com

 ?? [ Sascha Rettig] ?? Wo Prominenz sich schart, versammeln sich auch die Touristen (in Normaljahr­en): zuerst auf dem Markusplat­z, dann im Caff`e Florian.
[ Sascha Rettig] Wo Prominenz sich schart, versammeln sich auch die Touristen (in Normaljahr­en): zuerst auf dem Markusplat­z, dann im Caff`e Florian.
 ?? [ Rettig ] ?? Teuer, aber Kult: Besuch im Florian.
[ Rettig ] Teuer, aber Kult: Besuch im Florian.

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