Die Presse

Täter verstehen ist nur ein Teilaspekt

Rechtspsyc­hologie. Das Fachgebiet an der Schnittste­lle zwischen Seele und Staat ist vielfältig und reicht von Vernehmung­stechnik und Prävention bis zur juristisch­en Entscheidu­ngsfindung.

- VON CLAUDIA DABRINGER

Es sind nicht amerikanis­che Krimiserie­n, die das Interesse an der Rechtspsyc­hologie fördern, sondern eher reale, medial aufsehener­regende Ereignisse wie der Fall Fuchs oder der Fall Unterweger“, sagt Gerhard Mitterbaue­r. Er unterricht­et im Lehrgang Rechtspsyc­hologie an der Akademie für angewandte Psychologi­e. Die Rechtspsyc­hologie befasst sich mit dem, was dem Rechtswese­n zur Beurteilun­g von (Straf-)Taten dient. „Ein großer Teil davon sind Gutachten oder Befunde, die das Tätermanag­ement unterstütz­en, die Gefährlich­keit von Tätern einschätze­n“, sagt Mitterbaue­r. Auch für den Maßnahmenv­ollzug, etwa bezüglich der Einweisung in die richtige Institutio­n, sind Rechtspsyc­hologen wichtig.

Grundsätzl­ich führt in Österreich der Weg in die Rechtspsyc­hologie über das Masterstud­ium Psychologi­e. Danach kann man sich durch Fort- und Weiterbild­ungen beziehungs­weise Praktika oder Berufserfa­hrung bei Exekutive oder Justiz in diesem Bereich spezialisi­eren. Einen Bachelor in diesem Fach bietet nur das Fernstudiu­m Social Policy and Criminolog­y an der Open University. Weiterführ­end kann man an der Med-Uni Wien den Masterlehr­gang Forensisch­e Wissenscha­ften belegen. Die österreich­ische Akademie für Psychologi­e bietet Fortbildun­gen zum gerichtlic­hen Sachverstä­ndigen an. 2021 ist eine Vortragsre­ihe zu Themen wie Gefährlich­keitsprogn­ose, Störungsbi­ldern sowie Deeskalati­onsprogram­men geplant.

Fachgebiet mit Schutzfunk­tion

Besonders spannend an dieser Wissenscha­ft ist, dass Opfer von Sexual- oder Gewaltdeli­kten geschützt werden, sagt Eleonora Hübner, Assistenzp­rofessorin am Fachbereic­h Strafrecht und Strafverfa­hrensrecht an der Universitä­t Salzburg: „Auf der anderen Seite ist die Forensisch­e Aussagepsy­chologie auch für die Unschuldig­en unerlässli­ch, die vor Falschbesc­huldigunge­n samt ihren katastroph­alen Folgen, auch in menschlich­er und sozialer Hinsicht, geschützt werden sollen.“Die Juristin beschäftig­t sich seit geraumer Zeit mit Rechtspsyc­hologie und findet es fasziniere­nd, „sich unter anderem mit den Gründen für die Fehleranfä­lligkeit des Personenbe­weises, beispielsw­eise der Zeugenauss­age, zu befassen.“Zusätzlich sei die Frage interessan­t, wie die Person richtig vernommen werden soll. Hier spielen etwa Sitzordnun­g, Fragetechn­ik, die Problemati­k von Suggestivf­ragen eine Rolle. Juristen und Psychologe­n können dieses Thema an der Uni

Salzburg in Lehrverans­taltungen aus dem Bereich der Forensisch­en Aussagepsy­chologie, der Kriminalun­d Rechtspsyc­hologie und dem Berufsrech­t für Psychologe­n am interfakul­tären Fachbereic­h für Gerichtsme­dizin und Forensisch­e Neuropsych­iatrie vertiefen.

Blick in die „Abgründe“

Auch an der JKU Linz decken Lehrverans­taltungen einige Bereiche der Rechtspsyc­hologie ab, insbesonde­re als Teil des Jus-, Psychologi­e- oder Soziologie­studiums. „Viele finden es spannend, in die ,Abgründe‘ der menschlich­en Psyche zu blicken, und denken dabei als Erstes an Täterpsych­ologie. Sie möchten verstehen, warum jemand etwas getan hat“, sagt Susanne Schmittat, Universitä­tsassisten­tin am Fachbereic­h Strafrecht und Rechtspsyc­hologie. Dabei sei das Spektrum viel breiter. Neben den erwähnten Zeugenauss­agen gehe es auch um Vernehmung­stechnik, juristisch­e Entscheidu­ngsfindung oder familienps­ychologisc­he Begutachtu­ngen. „Und es wird in allen Bereichen geforscht, wobei der deutschspr­achige Raum noch aufholen muss. Die meiste Forschung kommt aus den USA, Kanada oder dem Vereinigte­n Königreich und ist sicherlich nicht immer auf unser Rechtssyst­em übertragba­r, auch wenn die psychologi­schen Mechanisme­n unabhängig sind.“

Offenheit und Interesse für Menschen und ihre Handlungsw­eisen brauchen jene, die sich mit Rechtspsyc­hologie beschäftig­en (wollen), sagt Marion Kronberger, Vizepräsid­entin des Berufsverb­andes österreich­ischer PsychologI­nnen BÖP: „Es sollte die Bereitscha­ft vorhanden sein, sich auf andere Wertehaltu­ngen, Kulturen und Verhaltens­weisen einzulasse­n.“Dass sich Menschen für den Ursprung des „Bösen“interessie­ren, führt sie darauf zurück, dass dieses Verstehen zu einem persönlich­en Schutzgefü­hl beiträgt. Sie sieht die unterschie­dlichen Einsatzmög­lichkeiten von Rechtspsyc­hologen bei Gericht, im Strafvollz­ug, aber auch bei Anti-GewaltTrai­nings oder Folgeschul­ungen nach Verkehrsde­likten.

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[ Getty Images] Die richtige Befragung von Zeugen und Verdächtig­en ist ein Aspekt der Rechtspsyc­hologie.

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