Die Rallye wird breiter und breiter
Aktienmarkt. Die Börsen erreichen luftige Höhen, dazu trugen zuletzt vor allem jene Titel bei, die im Zuge der Corona-Pandemie schwer unter die Räder gekommen waren. Wie lange kann das noch gut gehen?
Die Börsen erreichen luftige Höhen, dazu trugen auch jene Titel bei, die zuvor Abstürze erlitten hatten. Wie lang geht das gut?
New York. Wer in den vergangenen Wochen am globalen Aktienmarkt Geld verloren hat, muss sich schon besonders unglücklich angestellt haben. 467 der 500 Titel des S&P 500, des wohl wichtigsten Index der Welt, verbuchten im November Kursgewinne, viele von ihnen zweistellige. Nur im Zuge der Jahrhundertrallye von April konnten mehr Aktien zulegen. Zum Vergleich: Im Oktober verloren Investoren mit mehr als der Hälfte der Firmen Geld, im September verbuchten überhaupt nur 150 der 500 Mitglieder des S&P-Index ein Plus.
Das, worauf Börsianer seit Monaten gewartet haben, ist im November eingetreten. Lange verdankten die Anleger die Rekordjagd nur wenigen Aktien. Die FAANGs – Facebook, Amazon, Apple, Netflix und Google – profitierten ganz besonders von der Pandemie, ihr Börsenwert beläuft sich in etwa auf ein Viertel des S&P-500-Index. Obwohl viele herkömmliche Unternehmen als Folge der Lockdowns ums Überleben kämpften, legten die wichtigsten Indizes zu, eben weil die Technologiewerte alle Fantasien befeuerten.
Nun aber führte die Hoffnung auf eine schnelle Impfung gegen das Virus zu einer kleinen Trendwende. Zykliker wie Airlines, Banken und Energieunternehmen setzten im November zu selten gesehenen Gewinnen an, auch vergangene Woche hielt der Trend weiter an. Fluglinien verbuchten teils zweistellige Kursgewinne – zum Teil pro Woche, zum Teil pro Tag. United und Delta beispielsweise haben ihren Kurs seit April verdoppelt. Finanztitel wie Bank of America oder JP Morgan liegen um mehr als ein Drittel im Plus, und selbst im Sommer schwer unter die Räder gekommene Aktien wie jene von Exxon Mobil verbuchten im vergangenen Monat zweistellige Gewinne.
Risiko von Kursverlusten
Sehr gefährlich, das alles. Es stimmt schon: Viele Experten mahnen seit Monaten zur Vorsicht, bloß um eines Besseren belehrt zu werden und weitere Rekorde zu beobachten. Doch behält am Ende in der Regel die Geschichte recht. Das vorausschauende Kurs-Gewinn-Verhältnis steht bei 22, während es im Schnitt seit Ende des Zweiten Weltkriegs bei 15 lag. Analysten der Citigroup haben sich das etwas näher angesehen und kamen zu einem bemerkenswerten Schluss: „Die derzeitige Euphorie deutet auf eine 100-prozentige
Wahrscheinlichkeit von Kursverlusten in den nächsten zwölf Monaten hin“, wie Tobias
Levkovich, der
Chefstratege für die USA, schreibt.
Natürlich passiert an der Börse genau gar nichts zu 100 Prozent.
Doch die Einschätzung, dass in nächster Zeit eine Korrektur ins Haus steht, ist ziemlich zutreffend. Wenn das KGV bei mehr als 20 lag, hat der
S&P-500-Index seit
1940 in den nächsten zwölf Monaten im Schnitt an Wert verloren. Man muss deshalb nicht umgehend in Panik zum Ausgang rennen, zumal die Geldpolitik noch längere Zeit so locker wie nie zuvor bleiben dürfte und die Rallye deshalb noch andauern könnte. Wer aber die Party im November nicht mitgefeiert hat, sollte nun nicht den Fehler begehen, noch schnell in großem Stil am Börsenparkett tanzen zu wollen, aus Angst davor, etwas zu verpassen.
Gleichzeitig lohnt sich ein genauerer Blick auf jene Branchen, die an Boden gutgemacht haben, jedoch immer noch verhältnismäßig günstig bewertet sind.
Chance bei billigen Branchen?
Analysten von Charts ziehen dafür unter anderem die sogenannte 200-Tage-Linie heran. Damit sollen Trends erkannt und als Kaufoder Verkaufssignal gedeutet werden. Wenn beispielsweise der aktuelle Kurs längere Zeit unter dem Durchschnitt der vergangenen 200 Tage gelegen ist und diese Linie nun nach oben
durchbricht, wird das gerne als Kaufsignal verstanden.
Zuletzt war das etwa bei Exxon Mobil und JP Morgan der Fall. Für Investoren, die Risiko nicht scheuen, könnte Exxon interessant sein, auch wegen der Dividendenrendite von knapp zehn Prozent. Freilich: Wer auf den Ölgiganten setzt, muss glauben, dass die texanische Firma einen potenziellen Richtungswechsel zu erneuerbaren Energien nicht verschläft und außerdem von einer schnellen Erholung der Konjunktur profitieren kann. Weiters gilt es für den europäischen Investor, das Wechselkursrisiko zu berücksichtigen. Sollte der US-Dollar seine Talfahrt der vergangenen Wochen fortsetzen, setzt es für den österreichischen Anleger einen Währungsverlust.
Generell gilt für die meisten Zykliker, dass sich die Kurse in den nächsten Monaten nach dem Tempo richten werden, mit dem die Impfstoffe erfolgreich verteilt werden. Geht die Distribution problemlos und rasch über die Bühne, könnten auch Finanztitel weiterhin deutliche Gewinne verbuchen, weil mittelfristig Zinserhöhungen ins Haus stehen könnten. Generell ist jede Wette auf Einzeltitel vor allem im aktuellen Umfeld mit einem erhöhten Risiko verbunden.
Wer dieses Risiko reduzieren, aber gleichzeitig trotzdem überproportional auf die wichtigsten US-Firmen abseits der Technologiebranche setzen will, kann einen sogenannten S&P 500 Equal Weight ETF kaufen. Dieser gewichtet jedes Mitglied des Index gleich schwer, unabhängig vom Börsenwert. Die Bedeutung von Schwergewichten wie Apple sinkt also dementsprechend, und jene von kleineren, konjunkturabhängigen Firmen steigt.