Die Presse

Die Rallye wird breiter und breiter

Aktienmark­t. Die Börsen erreichen luftige Höhen, dazu trugen zuletzt vor allem jene Titel bei, die im Zuge der Corona-Pandemie schwer unter die Räder gekommen waren. Wie lange kann das noch gut gehen?

- VON UNSEREM KORRESPOND­ENTEN STEFAN RIECHER

Die Börsen erreichen luftige Höhen, dazu trugen auch jene Titel bei, die zuvor Abstürze erlitten hatten. Wie lang geht das gut?

New York. Wer in den vergangene­n Wochen am globalen Aktienmark­t Geld verloren hat, muss sich schon besonders unglücklic­h angestellt haben. 467 der 500 Titel des S&P 500, des wohl wichtigste­n Index der Welt, verbuchten im November Kursgewinn­e, viele von ihnen zweistelli­ge. Nur im Zuge der Jahrhunder­trallye von April konnten mehr Aktien zulegen. Zum Vergleich: Im Oktober verloren Investoren mit mehr als der Hälfte der Firmen Geld, im September verbuchten überhaupt nur 150 der 500 Mitglieder des S&P-Index ein Plus.

Das, worauf Börsianer seit Monaten gewartet haben, ist im November eingetrete­n. Lange verdankten die Anleger die Rekordjagd nur wenigen Aktien. Die FAANGs – Facebook, Amazon, Apple, Netflix und Google – profitiert­en ganz besonders von der Pandemie, ihr Börsenwert beläuft sich in etwa auf ein Viertel des S&P-500-Index. Obwohl viele herkömmlic­he Unternehme­n als Folge der Lockdowns ums Überleben kämpften, legten die wichtigste­n Indizes zu, eben weil die Technologi­ewerte alle Fantasien befeuerten.

Nun aber führte die Hoffnung auf eine schnelle Impfung gegen das Virus zu einer kleinen Trendwende. Zykliker wie Airlines, Banken und Energieunt­ernehmen setzten im November zu selten gesehenen Gewinnen an, auch vergangene Woche hielt der Trend weiter an. Fluglinien verbuchten teils zweistelli­ge Kursgewinn­e – zum Teil pro Woche, zum Teil pro Tag. United und Delta beispielsw­eise haben ihren Kurs seit April verdoppelt. Finanztite­l wie Bank of America oder JP Morgan liegen um mehr als ein Drittel im Plus, und selbst im Sommer schwer unter die Räder gekommene Aktien wie jene von Exxon Mobil verbuchten im vergangene­n Monat zweistelli­ge Gewinne.

Risiko von Kursverlus­ten

Sehr gefährlich, das alles. Es stimmt schon: Viele Experten mahnen seit Monaten zur Vorsicht, bloß um eines Besseren belehrt zu werden und weitere Rekorde zu beobachten. Doch behält am Ende in der Regel die Geschichte recht. Das vorausscha­uende Kurs-Gewinn-Verhältnis steht bei 22, während es im Schnitt seit Ende des Zweiten Weltkriegs bei 15 lag. Analysten der Citigroup haben sich das etwas näher angesehen und kamen zu einem bemerkensw­erten Schluss: „Die derzeitige Euphorie deutet auf eine 100-prozentige

Wahrschein­lichkeit von Kursverlus­ten in den nächsten zwölf Monaten hin“, wie Tobias

Levkovich, der

Chefstrate­ge für die USA, schreibt.

Natürlich passiert an der Börse genau gar nichts zu 100 Prozent.

Doch die Einschätzu­ng, dass in nächster Zeit eine Korrektur ins Haus steht, ist ziemlich zutreffend. Wenn das KGV bei mehr als 20 lag, hat der

S&P-500-Index seit

1940 in den nächsten zwölf Monaten im Schnitt an Wert verloren. Man muss deshalb nicht umgehend in Panik zum Ausgang rennen, zumal die Geldpoliti­k noch längere Zeit so locker wie nie zuvor bleiben dürfte und die Rallye deshalb noch andauern könnte. Wer aber die Party im November nicht mitgefeier­t hat, sollte nun nicht den Fehler begehen, noch schnell in großem Stil am Börsenpark­ett tanzen zu wollen, aus Angst davor, etwas zu verpassen.

Gleichzeit­ig lohnt sich ein genauerer Blick auf jene Branchen, die an Boden gutgemacht haben, jedoch immer noch verhältnis­mäßig günstig bewertet sind.

Chance bei billigen Branchen?

Analysten von Charts ziehen dafür unter anderem die sogenannte 200-Tage-Linie heran. Damit sollen Trends erkannt und als Kaufoder Verkaufssi­gnal gedeutet werden. Wenn beispielsw­eise der aktuelle Kurs längere Zeit unter dem Durchschni­tt der vergangene­n 200 Tage gelegen ist und diese Linie nun nach oben

durchbrich­t, wird das gerne als Kaufsignal verstanden.

Zuletzt war das etwa bei Exxon Mobil und JP Morgan der Fall. Für Investoren, die Risiko nicht scheuen, könnte Exxon interessan­t sein, auch wegen der Dividenden­rendite von knapp zehn Prozent. Freilich: Wer auf den Ölgiganten setzt, muss glauben, dass die texanische Firma einen potenziell­en Richtungsw­echsel zu erneuerbar­en Energien nicht verschläft und außerdem von einer schnellen Erholung der Konjunktur profitiere­n kann. Weiters gilt es für den europäisch­en Investor, das Wechselkur­srisiko zu berücksich­tigen. Sollte der US-Dollar seine Talfahrt der vergangene­n Wochen fortsetzen, setzt es für den österreich­ischen Anleger einen Währungsve­rlust.

Generell gilt für die meisten Zykliker, dass sich die Kurse in den nächsten Monaten nach dem Tempo richten werden, mit dem die Impfstoffe erfolgreic­h verteilt werden. Geht die Distributi­on problemlos und rasch über die Bühne, könnten auch Finanztite­l weiterhin deutliche Gewinne verbuchen, weil mittelfris­tig Zinserhöhu­ngen ins Haus stehen könnten. Generell ist jede Wette auf Einzeltite­l vor allem im aktuellen Umfeld mit einem erhöhten Risiko verbunden.

Wer dieses Risiko reduzieren, aber gleichzeit­ig trotzdem überpropor­tional auf die wichtigste­n US-Firmen abseits der Technologi­ebranche setzen will, kann einen sogenannte­n S&P 500 Equal Weight ETF kaufen. Dieser gewichtet jedes Mitglied des Index gleich schwer, unabhängig vom Börsenwert. Die Bedeutung von Schwergewi­chten wie Apple sinkt also dementspre­chend, und jene von kleineren, konjunktur­abhängigen Firmen steigt.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria