Die Presse

Fast erstickt: Frau darf Arzt wechseln

Rechnung. Ein Zahnarzt klagte eine Patientin, weil diese die Behandlung nicht fortsetzen und bezahlen wollte. Der Mediziner habe das Vertrauen aber verspielt, betonen die Höchstrich­ter.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. „Das kann jetzt ein bisschen weh tun“, ist ein Satz, den man beim Zahnarzt in Kauf nimmt. Dass man aber wegen mangelnder Informatio­n durch den Mediziner fast zu ersticken droht, ist nichts, was man sich gefallen lassen muss. Auch dann nicht, wenn der Zahnarzt zuvor die Behandlung korrekt begonnen hatte, wie eine aktuelle Entscheidu­ng des Obersten Gerichtsho­fs (OGH) zeigt.

Der Fall drehte sich um eine Angstpatie­ntin, die den Entschluss fasste, ihr Gebiss komplett sanieren zu lassen. 6000 Euro für sechs Implantate und weitere 6600 Euro für zwölf Kronen sollte der Spaß kosten. Zu Beginn der für mehrere Sitzungen anberaumte­n Behandlung lief alles glatt. Der Zahnarzt zog wie geplant fünf Zähne, entfernte einen Weisheitsz­ahn und setzte Teilprothe­sen ein. Darauf verschrieb er der Patientin ein Antibiotik­um. Bis dahin, so sollten die Gerichte später feststelle­n, war alles medizinisc­h korrekt erfolgt.

Fünf Tage später suchte die Frau den Zahnarzt wieder auf, bei ihr hatte sich ein Mundbodena­bszess entwickelt. Das kann nach so einer Behandlung passieren, wenn man Pech hat. Die Frau hatte eine Schwellung, Schmerzen und Schluckbes­chwerden. Sie konnte den Mund nicht öffnen. Der Zahnarzt untersucht­e sie. Danach überwies er die Frau aber nur zu einem im selben Haus tätigen HNO-Arzt und machte einen Kontrollte­rmin für den übernächst­en Tag aus. Der HNO-Experte diagnostiz­ierte eine Lymphknote­nentzündun­g.

Diesfalls kann man dem Zahnarzt aber nun vorwerfen, die Frau zu wenig aufgeklärt und therapiert zu haben. Auch wenn das Abszess noch nicht nachweisba­r war, hätte er der Frau in Anbetracht ihres Zustandes ein anderes Antibiotik­um verschreib­en müssen, mahnten die Gerichte. Der Zahnmedizi­ner hätte die Frau überdies eindringli­ch darauf hinweisen müssen, dass sich ihr Zustand verschlech­tern könne. Und dass dann ein Notfall vorliege, in dem sie sich umgehend auf der Kieferchir­urgie melden solle. In der Situation, in der die Frau sich schon befand, waren nämlich in weiterer Folge Atembeschw­erden bis hin zum Tod durch Ersticken möglich.

Hilfe durch den Hausarzt

So aber wusste die Frau nicht so genau, was sie tun sollte, als sie am nächsten Tag das Gefühl bekam, zu ersticken. Sie kontaktier­te ihren Hausarzt und kam dadurch in Spitalsbeh­andlung. Dort wurde das Abszess nun diagnostiz­iert und per Operation eingegriff­en.

Sich bei ihrem Zahnarzt weiter behandeln zu lassen (sechs weitere Termine waren geplant) kam für die Frau nicht mehr in Frage. Der Zahnarzt forderte nun 5100 Euro ausständig­es Honorar von der Patientin ein (6600 Euro für das Einsetzen der Kronen minus Materialer­sparnis, weil die Frau nicht kam).

Das Bezirksger­icht Graz-Ost sowie das Grazer Landesgeri­cht für Zivilrecht­ssachen wiesen die Klage ab. Die Frau sei berechtigt gewesen, den Behandlung­svertrag mit dem Arzt zu kündigen. Noch dazu, wo es sich bei ihr um eine Angstpatie­ntin handle, für die die Vorfälle besonders schlimm seien.

OGH: Vertrauens­basis nötig

Der OGH (8 Ob 50/20s) bestätigte dies. Ein Behandlung­svertrag mit einem Zahnarzt erfordere „naturgemäß eine ganz besondere Vertrauens­basis“. Bei „potenziell lebensbedr­ohlichen Kunst- und Aufklärung­sfehlern“sei es Patienten unzumutbar, beim zuvor gewählten Mediziner in Behandlung zu bleiben. Das gelte auch für die Frau im konkreten Fall, selbst wenn durch die Fehlberatu­ng kein Schaden entstanden sein sollte.

Der Zahnarzt bleibt auf seiner Forderung sitzen.

 ?? [ Reuters ] ?? Zahnärzte wollen nicht nur von der Hand im Mund leben. Wenn sie grobe Fehler begehen, erhalten sie aber kein Honorar.
[ Reuters ] Zahnärzte wollen nicht nur von der Hand im Mund leben. Wenn sie grobe Fehler begehen, erhalten sie aber kein Honorar.

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