Fast erstickt: Frau darf Arzt wechseln
Rechnung. Ein Zahnarzt klagte eine Patientin, weil diese die Behandlung nicht fortsetzen und bezahlen wollte. Der Mediziner habe das Vertrauen aber verspielt, betonen die Höchstrichter.
Wien. „Das kann jetzt ein bisschen weh tun“, ist ein Satz, den man beim Zahnarzt in Kauf nimmt. Dass man aber wegen mangelnder Information durch den Mediziner fast zu ersticken droht, ist nichts, was man sich gefallen lassen muss. Auch dann nicht, wenn der Zahnarzt zuvor die Behandlung korrekt begonnen hatte, wie eine aktuelle Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH) zeigt.
Der Fall drehte sich um eine Angstpatientin, die den Entschluss fasste, ihr Gebiss komplett sanieren zu lassen. 6000 Euro für sechs Implantate und weitere 6600 Euro für zwölf Kronen sollte der Spaß kosten. Zu Beginn der für mehrere Sitzungen anberaumten Behandlung lief alles glatt. Der Zahnarzt zog wie geplant fünf Zähne, entfernte einen Weisheitszahn und setzte Teilprothesen ein. Darauf verschrieb er der Patientin ein Antibiotikum. Bis dahin, so sollten die Gerichte später feststellen, war alles medizinisch korrekt erfolgt.
Fünf Tage später suchte die Frau den Zahnarzt wieder auf, bei ihr hatte sich ein Mundbodenabszess entwickelt. Das kann nach so einer Behandlung passieren, wenn man Pech hat. Die Frau hatte eine Schwellung, Schmerzen und Schluckbeschwerden. Sie konnte den Mund nicht öffnen. Der Zahnarzt untersuchte sie. Danach überwies er die Frau aber nur zu einem im selben Haus tätigen HNO-Arzt und machte einen Kontrolltermin für den übernächsten Tag aus. Der HNO-Experte diagnostizierte eine Lymphknotenentzündung.
Diesfalls kann man dem Zahnarzt aber nun vorwerfen, die Frau zu wenig aufgeklärt und therapiert zu haben. Auch wenn das Abszess noch nicht nachweisbar war, hätte er der Frau in Anbetracht ihres Zustandes ein anderes Antibiotikum verschreiben müssen, mahnten die Gerichte. Der Zahnmediziner hätte die Frau überdies eindringlich darauf hinweisen müssen, dass sich ihr Zustand verschlechtern könne. Und dass dann ein Notfall vorliege, in dem sie sich umgehend auf der Kieferchirurgie melden solle. In der Situation, in der die Frau sich schon befand, waren nämlich in weiterer Folge Atembeschwerden bis hin zum Tod durch Ersticken möglich.
Hilfe durch den Hausarzt
So aber wusste die Frau nicht so genau, was sie tun sollte, als sie am nächsten Tag das Gefühl bekam, zu ersticken. Sie kontaktierte ihren Hausarzt und kam dadurch in Spitalsbehandlung. Dort wurde das Abszess nun diagnostiziert und per Operation eingegriffen.
Sich bei ihrem Zahnarzt weiter behandeln zu lassen (sechs weitere Termine waren geplant) kam für die Frau nicht mehr in Frage. Der Zahnarzt forderte nun 5100 Euro ausständiges Honorar von der Patientin ein (6600 Euro für das Einsetzen der Kronen minus Materialersparnis, weil die Frau nicht kam).
Das Bezirksgericht Graz-Ost sowie das Grazer Landesgericht für Zivilrechtssachen wiesen die Klage ab. Die Frau sei berechtigt gewesen, den Behandlungsvertrag mit dem Arzt zu kündigen. Noch dazu, wo es sich bei ihr um eine Angstpatientin handle, für die die Vorfälle besonders schlimm seien.
OGH: Vertrauensbasis nötig
Der OGH (8 Ob 50/20s) bestätigte dies. Ein Behandlungsvertrag mit einem Zahnarzt erfordere „naturgemäß eine ganz besondere Vertrauensbasis“. Bei „potenziell lebensbedrohlichen Kunst- und Aufklärungsfehlern“sei es Patienten unzumutbar, beim zuvor gewählten Mediziner in Behandlung zu bleiben. Das gelte auch für die Frau im konkreten Fall, selbst wenn durch die Fehlberatung kein Schaden entstanden sein sollte.
Der Zahnarzt bleibt auf seiner Forderung sitzen.