Von virtueller Währung zu digitalen Vermögenswerten
Gastbeitrag. Die EU will sich mit eigenen Regelungen über Krypto-Assets als weltweit relevantes Zentrum der neuen Technologie etablieren.
Wien. Als die EU-Kommission 2016 den Vorschlag machte, virtuelle Währungen einem Regelungsregime zu unterstellen, hatte sie vor allem Bitcoin vor Augen. Bitcoin ist im Kern lediglich ein digitaler Vermögensgegenstand, der einer Person eindeutig zugeordnet werden kann und nur von dieser Person übertragbar ist. Das Besondere? Das System kommt ohne zentrale Stelle aus, niemand kontrolliert es. Mit Bitcoin war es deshalb erstmals möglich, enorme Vermögenswerte in wenigen Minuten und ohne Kontrolle weltweit zu verschieben.
Diese ureigene Funktion von Bitcoin birgt freilich das Risiko, für Geldwäsche missbraucht zu werden. Andere Einsatzzwecke der Blockchain-Technologie, auf der auch Bitcoin beruht, waren 2016 noch kaum absehbar. So verwundert es wenig, dass sich der erste Regelungsvorschlag der Kommission darauf beschränkte, Bitcoin und andere virtuelle Währungen der 5. EU Geldwäscherichtlinie zu unterstellen. Am 10. Jänner 2020 trat die Umsetzung dieser neuen Regeln in Österreich in Kraft.
Freilich existierte 2016 bereits eine andere Blockchain, die das wahre Potenzial der Technologie erahnen ließ: Ethereum. Diese Blockchain ermöglicht es, eigene digitale Assets mit geringem Aufwand neu zu schöpfen, sogenannte Token. Außerdem können auf Ethereum Programme ausgeführt werden – sogenannte Smart Contracts –, um Token einen eigenen Einsatzzweck zu verleihen.
„Tokenisierung“greift um sich
Virtuelle Währungen und Token lassen sich am besten mit einem Bogen Papier vergleichen. Papiergeld ist – wie der Name schon sagt – Papier, das von der Gesellschaft als Zahlungsmittel akzeptiert wird. Ein Bogen Papier kann aber auch als Gutschein zum Einsatz kommen, um Waren oder Dienstleistungen nur eines Unternehmens zu beziehen. Auch andere Forderungen lassen sich auf Papier bringen, man denke an den Wechsel, Scheck, Aktien oder Anleihen. Diese bekannten Entwicklungen des Wirtschaftslebens lassen sich mit
Token wegen ihrer Zuordenbarkeit digital nachbilden. In der Branche spricht man von „Tokenisierung“.
Dies sind längst keine Gedankenexperimente mehr. Noch relativ unbeobachtet von der Öffentlichkeit wurden erfolgreich Wertpapiere oder Cashflows tokenisiert. Aktien und mittlerweile sogar GmbH-Anteile wurden auf die Blockchain gebracht. Es haben sich Stablecoins etabliert, die einen festen Umtauschkurs versprechen. Und weil Token rasch und günstig geschaffen werden können, kommt es laufend zu weiteren Innovationen. Smart Contracts ersetzen mittlerweile klassische Finanzinstrumente wie Forwards, Futures oder CFDs (Differenzkontrakte), ohne dass eine Gegenpartei dafür notwendig wäre. All diese Beispiele wurden in Österreich bereits umgesetzt.
Zum Teil fallen diese Neuerungen schon unter einen Regelungsrahmen der EU. Tokenisierte Wertpapiere etwa fallen unter die Finanzmarktrichtlinie Mifid II, die Ausgabe von Gutschein-Token kann unter die E-Geld- oder die Zahlungsdiensterichtlinie fallen, generell gilt die Verbraucherrechterichtlinie. Gewisse Innovationen sind noch nicht erfasst; teilweise steht das Aufsichtsrecht der neuen Technologie noch im Wege.
Im Herbst hat die EU-Kommission deshalb ein „Digital finance package“verabschiedet. Es enthält erstmals auch einen Legislativvorschlag zu Krypto-Assets, das sind finanzielle Vermögenswerte, die auf Kryptografie beruhen. Und dieser Vorschlag verspricht ein großer Wurf zu werden. Wird er umgesetzt, so könnte in der Union bereits 2022 eine neue Verordnung über Märkte für Krypto-Assets gelten (Markets in Crypto Assets, Mica). Als Verordnung würde Mica unmittelbar unionsweit einen einheitlichen Rechtsrahmen schaffen.
Inhaltlich beschäftigt sich
Mica umfassend mit Krypto-Assets, also dem digitalen Pendant zum Bogen Papier, das für unterschiedliche Zwecke eingesetzt werden kann. Erstmals werden Begriffe wie Asset-referenzierter Token, E-Geld-Token und Utility-Token verwendet. Ihrem Wesen nach entsprechen sie den am Markt bekannten Arten, die bisher jedoch ungeregelt sind. Die sogenannten Security Token – also tokenisierte Finanzinstrumente – werden von Mica übrigens nicht behandelt; diese bleiben dem Regime der Mifid II unterworfen.
Rechtssicherheit für Handel
Der Entwurf soll Rechtssicherheit für das Angebot und den Handel von Krypto-Assets schaffen. Großteils übernimmt er von den Finanzmärkten bekannte Regelungen. Er verbietet etwa Marktmissbrauch; dazu gehört auch das Verbot von Insiderhandel und Marktmanipulation bei Krypto-Assets. Es werden Ad-hoc-Publizitätspflichten gelten, die den Pflichten von Emittenten öffentlich gehandelter Finanzinstrumente gleichen. Teils werden aber auch Best practices aus der Krypto-Szene in Recht gegossen. So wird das bisher in der Branche bei der Ausgabe neuer Krypto-Assets übliche Whitepaper vorgeschrieben. Auch werden bestimmte organisatorische und verhaltenstechnische Anforderungen und Vorgaben an Marketing geschaffen.
Stablecoins werden im Verordnungsentwurf als potenzielle Bedrohung für die Finanzstabilität gesehen, da ihr Angebot immer mehr Verbreitung findet – man denke an Facebook und den geplanten Stablecoin Libra. Der Verordnungsentwurf schafft daher eine eigene Lizenz für Emittenten solcher Stablecoins. Diese und andere Dienstleister werden verpflichtet, Kapitalpuffer vorzuhalten.
Der Verordnungsentwurf lässt Parallelen zur bestehenden Regulierung von Finanzinstituten und Wertpapierfirmen erkennen. Angesichts der rasanten Entwicklungen kommen die Regeln wohl nicht zu früh. Für die einzelnen Marktteilnehmer wird Mica zwar weitere Hürden aufstellen; ein vertrauenswürdiger Markt für KryptoAssets könnte die EU allerdings zum weltweiten Zentrum der Technologie machen. Mit Blick auf das große Ganze ist der Vorschlag der Kommission also mehr als zu begrüßen.