Österreichs Herr der Ringe
Turnen. Vinzenz Höck ist der erste heimische Weltcupsieger. Über Körperfetischismus, Image des Sports und den Weg nach Tokio.
Wien. Der Neustart des internationalen Kunstturnens erfolgte Anfang Oktober mit einer Sensation: Vinzenz Höck gewann beim Weltcup in Szombathely an den Ringen, der erste Sieg auf dieser Ebene für den Wahl-Tiroler – und der allererste für Österreichs Turnsport. „Ich habe gewusst, dass ich Chancen habe, aber das nicht erwartet. Die Nervosität war da, dass es so geklappt hat, ist sehr cool“, blickt der 24-Jährige auf seinen bislang größten Erfolg zurück. Diesen Schwung möchte Höck nun zu den Europameisterschaften mitnehmen, ab Mittwoch wird in Mersin um Medaillen geturnt. „Ziel ist das Finale, dort kann alles passieren.“
Höck ist nicht zum ersten Mal rot-weiß-roter Vorturner, schon vor sechs Jahren hat er sich in den Geschichtsbüchern verewigt. 2014 kürte er sich als erster heimischer Athlet zum Junioren-Europameister. Was ist also für einen österreichischen Turner noch alles möglich? Wenn man daran glaubt und hart arbeitet, ist alles möglich“, sagt der Gesamtweltcupdritte an den Ringen des Vorjahres. „Hoffentlich schafft es einer ganz nach oben. Wenn ich das bin, super, wenn es ein Kollege sein sollte, freut mich das auch.“Dass ihm im Vergleich zu Kollegen aus Turngroßmächten wie Russland oder den USA ein gewisses Standing bei den Preisrichtern fehlen könnte, glaubt er nicht: „Ich habe mich noch nie unfair bewertet gefühlt.“
Der Blick in den Spiegel
Die Ringe und die dafür nötige Muskelkraft haben es Höck angetan. „Das ist sehr kraftbetont und ich bin relativ kräftig“, so seine simple Erklärung. Doch kommt es nicht nur auf die für alle sichtbare
Statur an, sondern auch die Beherrschung jeder einzelnen Faser. Nicht umsonst fliegen nur die allerwenigsten Bodybuilder derart elegant durch die Lüfte. Wie viel „Körperfetischismus“teilt Höck mit anderen Muskelprotzen? „Bei einem ausgelaugten Blick in den Spiegel gibt das schon zusätzliche Kraft“, sagt er. Die Optik spiele für ihn jedoch trotzdem nur die Nebenrolle. „Das ist alles mehr funktional, denn diese Muskeln werden gebraucht.“Und sind beim Kleidungskauf mitunter hinderlich, wie er mit einem Schmunzeln verrät: „Bei Hemden wird es manchmal schwierig, weil Brustund Taillenumfang nicht zusammenpassen.“
Die Faszination für den Sport entdeckte Höck in der Volksschule, bald brachte die Mutter den bewegungsfreudigen Buben in Graz zum Turnkurs. Als der Teenager 2013 bei den European Youth Games das Finale erreichte, stand das Karriereziel fest. Der Reiz ist bis heute derselbe geblieben. „Man fliegt durch die Gegend, macht coole Figuren. Es ist der pure Spaß an Bewegung“, erklärt Höck, der sich mit 24 im besten Turnalter sieht. Nach dem Schulabschluss ist der Heeressportler nach Innsbruck übersiedelt, trainiert dort sechs Tage die Woche und schätzt das unmittelbare Feedback des Körpers. „Man merkt, dass die harte Arbeit später belohnt wird.“
Der olympische (Mehr-)Kampf
Schon bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit 1896 stand Turnen im Programm, in Österreich fällt es heute unter Randsport. Doch Image und Ruf würden sich laufend verbessern, ist Höck überzeugt, auch weil artverwandte Trendsportarten wie Parcour Interesse und Aufmerksamkeit bringen. Mit den Bedingungen hierzulande ist er hochzufrieden, ein Wechsel ins Ausland stand für ihn nie zur Diskussion. „Im Vergleich zu anderen europäischen Nationen stehen wir gut da.“
Höcks Ziel heißt Tokio 2021, der Weg dorthin ist ein schwieriger. Das Regelwerk sieht die Qualifikationen vornehmlich über Mehrkampf und Mannschaft vor, was der fünfmalige WM-Teilnehmer kritisch sieht: „Das ist wie wenn Lukas Weißhaidinger sich über den Mehrkampf qualifizieren müsste, damit er Diskus werfen kann.“Die Titelkämpfe in Mersin bringen keine Qualifikationspunkte, Europas zwei letzte Tokio-Tickets werden bei der EM 2021 in Basel vergeben. Der Olympia-Traum ist ein großer, die Corona-Pandemie aber hat auch Höck geerdet: „Man lernt wieder die kleinen Dinge schätzen, wie seine Familie ohne Sorgen treffen zu können.“