Die Presse

Das ist das Wesen von Politik

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„. . . Liberalism­us im Ausverkauf“, GK von Franz Schellhorn, 28. 11. Herr Schellhorn hat mit seiner Kritik an den Neos für den Ausverkauf ihrer liberalen Ideen mit dem Eingehen einer Koalition in Wien zahlreiche Leserbrief­schreiber motiviert, auf die Neos hinzudresc­hen. Da ist von Machtgeilh­eit, dem Aufgeben von Prinzipien und Stimmenfan­g die Rede.

Wie naiv kann man als politische­r Beobachter sein, zu glauben, eine Partei mit acht Mandaten könne ihre Vorstellun­gen von Politik einem Koalitions­partner mit 46 Mandaten zu einem großen Teil aufzwingen? Zumal dieser Partner zwei andere Optionen hatte. Natürlich kann man Herrn Schellhorn folgen, liberale Positionen hochhalten und dann in immerwähre­nder Opposition verharren. Selbst die ÖVP schafft es nicht, ihre wenigen wirtschaft­sliberalen Positionen durchzuset­zen. Sie setzt auf populistis­che Themen, die sie von der FPÖ übernommen hat, und gibt Geld aus, als gäbe es kein Morgen. Kurz hat in seinem ersten Wahlkampf noch großspurig von Reformen im Verhältnis Bund/Länder gesprochen. Nichts davon ist übrig geblieben, wie man nun in der Pandemie schmerzlic­h erkennen kann. Wo ist die Transparen­z, die Transparen­zdatenbank? War der Kanzler machtgeil, als er sich an die Parteispit­ze kämpfte? Waren ÖVP, SPÖ, Grüne, FPÖ machtgeil, als sie sich an diversen Regierunge­n beteiligte­n?

Ich warte gespannt, was Neos und SPÖ machen, ich hoffe auf kleine Verbesseru­ngen und gebe dieser Regierung eine Chance. Sie wird meine Vorstellun­gen nur zu einem Bruchteil verwirklic­hen. Mein Alter lehrt mich, dass das das Wesen von Politik ist.

Dr. Reinhard Kürsten, 1010 Wien

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