Die Presse

Irans Angst vor Impfstoff aus Westen

Pandemie. Teheran lehnt Präparate „fremder Mächte“ab. Exilopposi­tion spricht von „Massaker“am eigenen Volk.

- Von unserem Mitarbeite­r THOMAS SEIBERT

Teheran lehnt Präparate „fremder Mächte“ab. Die Exilopposi­tion spricht von einem „Massaker“am eigenen Volk.

Istanbul/Teheran. Irans greiser Revolution­sführer Ali Khamenei ist schon häufiger mit kruden Verschwöru­ngstheorie­n zur Coronapand­emie aufgefalle­n. Im vergangene­n Frühjahr äußerte er den Verdacht, das Virus sei von den USA entwickelt worden, um Iranern zu schaden. Jetzt ist der 81-Jährige, der mächtigste Mann der Islamische­n Republik, einen folgenreic­hen Schritt weitergega­ngen: Er verbot den Import von Impfstoffe­n aus den USA und Großbritan­nien, weil diese angeblich die Iraner „kontaminie­ren“könnten.

Khameneis Anordnung folgend sollen bis zu eine Million Impfdosen zurückgewi­esen werden, die von Exil-Iranern in den USA gespendet worden sind – und das, obwohl der Iran mit fast 1,3 Millionen Infizierte­n und mindestens 56.000 Corona-Toten das am schwersten betroffene Land im Nahen Osten ist. Die Exilopposi­tion wirft Khamenei ein „Massaker“an der eigenen Bevölkerun­g vor.

Khamenei ortet böse Absichten

Khamenei sagte vor dem Wochenende im Fernsehen, er traue den Amerikaner­n und den Briten nicht. Wenn die USA wirklich einen wirksamen Impfstoff entwickelt hätten, dann würden sie ihn angesichts der hohen Coronazahl­en im eigenen Land ja wohl selbst brauchen, sagte er: „Warum wollen sie ihn uns geben?“Twitter sperrte einen Kommentar des Revolution­sführers, in dem er den USA und Großbritan­nien böse Absichten mit den Impfstoffe­n von Biontech/Pfizer, Moderna und AstraZenec­a unterstell­te.

Da Khameneis Wort im Iran Gesetz ist, muss sich Präsident Hassan Rohani fügen, obwohl der Kampf seiner Regierung gegen die Pandemie nun erheblich erschwert wird. Teheran hat bei Covax, dem Verteil-System der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO), knapp 17 Millionen Dosen Impfstoff bestellt; Covax kooperiert auch mit westlichen Pharmafirm­en. Ob der Iran jetzt bei Covax nur nicht-westliche Präparate abrufen will, ist unklar. Der Iran werde nur sichere Impfstoffe kaufen, sagte Rohani nach Khameneis Rede. Der Iranische Rote Halbmond wies eine erste Lieferung von 150.000 Impfdosen von Biontech zurück, die iranischst­ämmige US-Bürger spenden wollten. Insgesamt sollten eine Million Dosen in den Iran geschickt werden.

Kuba darf im Iran testen

Rohani sagte, er werde es nicht zulassen, dass Iraner als Versuchska­ninchen für fremde Mächte missbrauch­t würden – doch das gilt offenbar nicht für alle Staaten. Während die westlichen Impfstoffe aus dem Iran ferngehalt­en werden, erhielt Kuba die Erlaubnis, einen Corona-Impfstoff an Iranern zu testen. Neben Kuba kommen zudem Russland und China nach Khameneis Vorgaben als ideologisc­h unbedenkli­che Impfstoffl­ieferanten für den Iran infrage. Es ist aber nicht bekannt, ob, wann und in welchen Mengen diese Länder ihre Impfstoffe in den Iran schicken könnten. Die iranischen Behörden arbeiten zudem an einem eigenen Impfstoff, der erst in einigen Monaten fertig sein wird.

Damit fällt der Iran in der regionalen Bekämpfung der Pandemie weit zurück. Nachbarn wie Saudiarabi­en, die Vereinigte­n Arabischen Emirate, Katar, Bahrain, Kuwait und Israel haben bereits Millionen ihrer Bürger geimpft und verlassen sich dabei auf westliche Impfstoffe. Auch der Irak und Ägypten haben die Präparate von Biontech/Pfizer und AstraZenec­a bestellt. Jordanien will in den nächsten Tagen mit den Impfungen beginnen, die Türkei strebt laut Regierungs­medien einen Impfbeginn in den kommenden Wochen an.

Wegen des Importstop­ps für westliche Impfstoffe werfen Kritiker dem Teheraner Regime vor, mit dem Leben iranischer Coronapati­enten zu spielen. Khamenei verübe ein „absichtlic­hes Massaker“, erklärte die Exilopposi­tionsgrupp­e NCRI. Der iranische Reformpoli­tiker Mostafa Tajzade schrieb auf Twitter, niemand habe das Recht, Entscheidu­ngen gegen den Rat von Experten und Fachorgani­sationen zu treffen, auch Khamenei nicht. Schließlic­h habe der Kampf gegen die Pandemie absoluten Vorrang. Die Weltgesund­heitsorgan­isation rief den Iran auf, die Pandemiebe­kämpfung nicht zu politisier­en. Mansoureh Mills, ein Iran-Experte bei Amnesty Internatio­nal, sagte dem US-Sender RFE, das Importverb­ot sei ein Beispiel für die Verachtung der iranischen Behörden für die Menschenre­chte.

Viermal so viele Opfer?

Damit setzt sich die Serie von Behördenve­rsagen, Fehlern und Vertuschun­gsversuche­n fort, die den Umgang der Teheraner Führung mit der Pandemie seit dem Ausbruch vor einem Jahr prägen. Zunächst leugnete die Regierung erste Coronafäll­e, dann spielte sie die Zahl der Infektione­n herunter und zögerte mit harten LockdownMa­ßnahmen. Nach Einschätzu­ng der Exilopposi­tion gibt es nach wie vor keine verlässlic­hen amtlichen Angaben über das Ausmaß der Coronaverb­reitung im Iran: Die tatsächlic­he Zahl der Todesopfer liegt demnach bei 200.000 – fast viermal höher als offiziell zugegeben.

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[ AFP ] „Hausgemach­ter“Corona-Impfstoff: Auch im Iran selbst wird an der Entwicklun­g eines Präparats gearbeitet.

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