Was Kims stundenlange Tiraden über Nordkorea verraten
Analyse. Der Diktator nahm diesmal vor allem Joe Biden ins Visier und kündigte neue Atom-U-Boote an – ein Zeichen, wie schlecht es dem Land geht.
Tokio/Pjöngjang. Keine donnernde Parade wie üblich, nicht einmal ein knalliges Feuerwerk oder wenigstens ein Massenmeeting des begeisterten Volks. So unspektakulär der achte Parteitag Nordkoreas endete, gab der Kongress dennoch einen tiefen Einblick in die Abgründe eines gescheiterten Regimes. Die Ansprache von Parteiund Staatschef Kim Jong-un, der sich zum Abschluss des Parteitags mit dem Titel „Generalsekretär“schmücken darf, dauerte ganze neun Stunden. Das Grundsatzreferat des Führers wurde auf zwei Tage verteilt, wahrscheinlich, um die oft schon betagten mehr als tausend Delegierten nicht übermäßig zu ermüden.
Was allerdings der Diktator seinen Genossen zu sagen hatte, klang nicht so neu. Im Grunde war es nicht viel mehr als eine überdehnte Kampfansage an die USA, nur dass dieses Mal der designierte Präsident, Joe Biden, die Zielscheibe abgab sowie natürlich der Imperialismus im Allgemeinen. Zusammengefasst läuft die Ansprache auf einen wesentlichen Punkt hinaus: Ausbau des Atomprogramms, um den „größten Feind“, die USA, zu besiegen. Bei drei Gipfeln mit Trump drang diese Absicht zwar nicht so deutlich durch, aber Kims relativ freundliche Worte damals waren ja wohl ohnehin nur Lippenbekenntnisse.
Jetzt will der Machthaber „die USA unterwerfen“– als ob sein weltweit fast total isoliertes Reich nicht wirtschaftlich am Boden läge und militärisch außer ein paar Nukleartests und Raketenabschüssen ins Japanische Meer nicht viel aufzubieten hätte. Beobachter sind sich einig: Wenn Kim derart auf die Pauke haut, steht es um die Realität schlecht. Seinem hungernden und frierenden Volk will er suggerieren, dass Nordkorea über eine internationale Schlagkraft verfüge, die eine Weltmacht aus den Angeln heben könnte.
Ernst zu nehmender ist die Passage in der Mammutansprache des Führers, dass seine außenpolitische Linie unabhängig davon sei, wer in Washington regiere. Das richtet sich direkt an Joe Biden. Kim will vor dem Amtswechsel im Weißen Haus die Hoffnung dämpfen, er werde die Chance des US-Neubeginns für positive Impulse in den festgefahrenen Atom-Verhandlungen nutzen. Es zeichnet sich ab, dass zwischen Kim und Biden die Chemie nicht stimmt. Schon in der Vergangenheit hat er den Rivalen seines „guten Freundes“Donald Trump als einen „tollwütigen Hund“verunglimpft. Im Gegenzug nannte Biden Kim einen Tyrannen und kritisierte Trumps „scheinheilige Anbiederung“an Nordkorea.
Kim hat indes ehrgeizige militärische Projekte: Nordkoreas Armee soll gestärkt und das atomare Waffenarsenal sowohl als „Erstschlags- als auch als Verteidigungskapazität“ausgebaut werden. Schwerpunkt seien ballistische Langstreckenraketen mit Feststoffantrieben. Auch müsste das Militär mit Spionagesatelliten und bewaffneten Drohnen ausgestattet werden.
Nordkorea bereite jetzt den Test und die Produktion von Raketen mit mehreren Sprengköpfen und „Überschall-GleitflugSprengköpfen für einen neuen Typ ballistischer Geschosse vor“. Und Planungen für ein neuartiges Atom-U-Boot seien nahezu abgeschlossen. Wie er dies angesichts der desolaten Wirtschaftslage finanzieren will, ließ Kim offen. Nordkoreas Diktator kündigte nur einen neuen Fünfjahres-Entwicklungsplan an, dessen Kern „Selbstständigkeit und ökonomische Unabhängigkeit“sei.
Katastrophale Versorgungslage
Auf seinen letzten Verbündeten in der Welt, das chinesische KP-Regime, kann Pjöngjang kaum noch zählen. Bereits im Frühjahr ist – auch coronabedingt – der legale Handel zwischen Nordkorea und China um 90 Prozent eingebrochen. Auf das erste Halbjahr 2020 berechnet, sank dieser laut südkoreanischem Wiedervereinigungsministerium um zwei Drittel im Vergleich zum Vorjahr.
Damit verschlechterte sich die ohnehin katastrophale Versorgungslage im abgeschotteten Land dramatisch. Im Juli und August verwüsteten zudem sintflutartige Regenfälle und Taifune die Ernte und zerstörten unzählige Häuser. Schon vor der Pandemie waren rund elf Millionen Nordkoreaner unterernährt.