Die Presse

Schaparows Sprung vom Gefängnis in das Präsidente­namt

Kirgisista­n. Für die zentralasi­atische Republik ist die Kür von Sadyr Schaparow gleichbede­utend mit dem Abschied vom demokratis­chen Experiment.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Moskau/Bischkek. Kirgisista­n war schon bisher berühmt-berüchtigt für Überraschu­ngen. Proteste stürzten in den vergangene­n eineinhalb Jahrzehnte­n drei Regierunge­n in der zentralasi­atischen Republik. Politische Karrieren enden und beginnen hier über Nacht. Doch der Siegeszug Sadyr Schaparows ist selbst für kirgisisch­e Verhältnis­se außergewöh­nlich. Das Chaos einer Nacht vor drei Monaten brachte Schaparow die Freiheit – und einen rasanten Aufstieg an die Macht, die der 52-Jährige mit dem Sieg der vorgezogen­en Präsidente­nwahl vom Sonntag formal besiegelte.

Die Auszählung war zwar am Montagaben­d noch nicht beendet. Doch das bisherige Ergebnis ist eindeutig: Mehr als 80 Prozent der Wähler haben laut Zentraler Wahlkommis­sion für Schaparow gestimmt; die Wahlbeteil­igung lag allerdings nur bei knapp 40 Prozent. 16 weitere Kandidaten waren angetreten, doch diese hatten gegen den im Vorfeld des Urnengangs omnipräsen­ten Politiker und bisherigen Interimspr­äsidenten keine Chance. Schaparow positionie­rte sich als kirgisisch­er Nationalis­t, der in populistis­cher Manier den einfachen Bürgern Stabilität, Gerechtigk­eit und die „Diktatur des Gesetzes“versprach. Die Wahl nutzte der 52-Jährige auch dazu, ein Referendum über die Stärkung seines künftigen Amtes durchzufüh­ren. Die Initiative erreichte die notwendige Wahlbeteil­igung und wurde mehrheitli­ch angenommen. Im Frühling soll eine Abstimmung über weitere Verfassung­sänderunge­n folgen.

Kirgisista­n, bisher eine parlamenta­risch geprägte Demokratie, dürfte damit wie seine zentralasi­atischen Nachbarn auf einen stärker autoritäre­n Kurs einschwenk­en. Angesichts der instabilen politische­n Lage und der chronische­n ökonomisch­en Schwierigk­eiten der früheren Sowjetrepu­blik hat sich unter vielen Kirgisen Frustratio­n über die demokratis­che Ordnung – bzw. ihrer konkreten kirgisisch­en Realität – breitgemac­ht. Demokratis­che Instrument­e sind allzu oft den Partikular­interessen einflussre­icher Clans ausgeliefe­rt, die informell das Sagen haben. So gibt es in Kirgisista­n mehr Pluralismu­s und Meinungsfr­eiheit als in den anderen „Stans“, häufig aber verzerrt Korruption­sanfälligk­eit den politische­n Wettbewerb.

Dass dem neuen Präsidente­n eine Stabilisie­rung der brüchigen Ordnung gelingen wird, ist noch nicht ausgemacht. Schaparow selbst hat das Vertrauen in den Staat weiter geschwächt, in dem er auf seinem Siegeszug rechtsstaa­tliche Regeln gebrochen bzw. ausgehöhlt hat. Im Chaos der Proteste nach der Parlaments­wahl Anfang Oktober 2020 wurde er aus dem Gefängnis befreit, wo er eine mehrjährig­e Haftstrafe wegen Entführung absaß. Seine Kontakte in das kriminelle Milieu waren ihm beim Aufstieg hilfreich.

Auf den Druck seiner Anhänger auf der Straße setzend, schüchtert­e er Konkurrent­en ein. Zunächst als Interimspr­emier und später als Interimspr­äsident übernahm er die Macht im Staat und besetzte wichtige Posten mit Vertrauten – um im rechten Moment zurückzutr­eten und sich als Kandidat für die Präsidente­nwahl in

Stellung zu bringen. Doch viele Kirgisen stoßen sich nicht an diesen fragwürdig­en Details. Das Vertrauen in den Rechtsstaa­t ist sowieso gering. Schaparow konnte von diesem Misstrauen profitiere­n und die Schwäche der staatliche­n Organe für seinen Aufstieg nutzen.

Intellektu­elle sehen schwarz

Kirgisisch­e Intellektu­elle befürchten für die Zukunft ein repressive­res Klima. Die Sozialwiss­enschaftle­rin Asel Doolotkeld­iewa warnt auf Twitter vor einer „dummen Despotenre­gierung“. Bektour Iskender, Gründer des unabhängig­en Medienport­als „Kloop“, spricht vor einem „autoritäre­n Banditenre­gime“. „Wir werden es psychologi­sch nicht leicht haben in den nächsten Jahren“, schreibt er in einem Beitrag. Die Zivilgesel­lschaft müsse nun zusammenha­lten – und die Kirgisen sollten in Bildung investiere­n, um sich von den Regierende­n nicht mehr an der Nase herumführe­n zu lassen.

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[ Reuters] Triumph eines Skrupellos­en: Sadyr Schaparow ist nun Präsident Kirgisista­ns.

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