Die Presse

Deutscher Impfsonder­weg sorgt für Unmut

Analyse. Berlin sichert sich gegen die EU-Vereinbaru­ng Impfstoffd­osen, steigt um dreistelli­ge Millionenb­eträge bei Pharmaunte­rnehmen ein und fördert neue Standorte: Im europäisch­en Ausland wittert man unfairen Egoismus.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Schon in wenigen Wochen soll es im hessischen Marburg losgehen: An einem vormaligen Standort des Konkurrent­en Novartis plant das deutsche Pharmaunte­rnehmen Biontech, seinen Impfstoff gegen Covid-19 herzustell­en. Schon in den ersten sechs Monaten sollen es eine Viertelmil­liarde Dosen sein. Für diese Standorten­tscheidung gibt es starken Rückenwind aus Berlin. Vergangene Woche beriet Bundeskanz­lerin Angela Merkel mit ihren zuständige­n Ministern, wie diese zusätzlich­e Impfstoffp­roduktion durch den Bund gefördert werden kann, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Regierungs­kreisen.

Das ist eigentlich eine gute Nachricht. Doch der Umstand, dass sich Deutschlan­d hinter die Stärkung der Arzneimitt­elprodukti­on auf europäisch­em Boden klemmt und dafür viel Geld auszugeben bereit ist, sorgt im europäisch­en Ausland für wachsendes Misstrauen. Der immer lauter von Politikern und Medien geäußerte Verdacht: Die Deutschen pfeifen auf die von ihnen sonst so hoch gelobte europäisch­e Solidaritä­t und schaffen sich Sonderbedi­ngungen und Bevorzugun­gen bei der Beschaffun­g von Impfstoffe­n gegen das Virus. Während Kanzlerin Merkel einerseits salbungsvo­ll die Europäisch­e Kommission als einzigen Verhandler mit den Pharmakonz­ernen erklärt, segnete sie gleichsam hintenheru­m Spezialdea­ls mit den Konzernen ab.

„Kein Recht, zu verhandeln“

So lautet zumindest der Vorwurf. Berlin weist ihn beharrlich zurück. Doch mehrere Umstände nähren diese Anschuldig­ung. Allen voran das Abkommen der Bundesregi­erung mit Biontech und seinem USPartner Pfizer vom September vorigen Jahres, 30 Millionen Dosen ihres Impfstoffe­s an Deutschlan­d zu liefern – zwei Monate bevor die Kommission ihren EU-weiten Abschluss mit Pfizer/Biontech präsentier­te.

Streng genommen hätte Berlin dieses Abkommen nicht schließen dürfen. Denn laut einem Beschluss der 27 Mitgliedst­aaten vom vergangene­n Juni soll einzig die Kommission mit den Impfstoffh­erstellern Rahmenvert­räge verhandeln. Nationale Alleingäng­e sind rechtswidr­ig: Das sagt sogar die mächtigste Deutsche in Brüssel, Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen. „Auf der Grundlage dieser rechtlich bindenden Vereinbaru­ng hat kein Mitgliedst­aat das Recht, gleichzeit­ig zu verhandeln oder Verträge zu schließen“, erklärt sie am Freitag vergangene­r Woche bei einer Pressekonf­erenz.

Doch wo kein Kläger, da kein Richter: „Der Spiegel“berichtete am Wochenende zwar von hitzigen Debatten über die Verteilung der bestellten Impfstoffe innerhalb des Gremiums der Beamten aus den Mitgliedst­aaten, welches der Kommission bei ihren Verhandlun­gen auf die Finger schaut. Aus der Deckung heraus mit offener Kritik am deutschen Vorgehen wagt sich kein Mitgliedst­aat. Mit Berlin will man sich nicht anlegen.

Zumal es fragwürdig ist, ob von der Leyen sich einen Rechtsstre­it mit Berlin mitten in der zweiten oder dritten Welle der Pandemie leisten kann. Wenn der Beschluss der Mitgliedst­aaten, Einzelverh­andlungen zu verbieten, rechtswirk­sam ist, wie von der Leyen es sagt, dann müsste sie eigentlich ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren eröffnen. Bloß fragen sich Brüsseler Beobachter dieses Geschehens auch, wer denn durch Berlins Vorpresche­n geschädigt sei: Die 30 Millionen zusätzlich­er Dosen sollen, heißt es im deutschen Gesundheit­sministeri­um, erst dann ausgeliefe­rt werden, wenn die gemeinsam bestellten Chargen verteilt sind. Das wird ohnehin noch bis spät in dieses Jahr dauern.

Von Frankreich gelernt

Die Covidkrise hat die vorherrsch­ende deutsche Sichtweise auf die Teilhabe von Staat und Unternehme­n an der Bewältigun­g großer Probleme stark verändert. Lange kritisiert­e man den Staatsinte­rventionis­mus des Partners jenseits des Rheins. Nun betätigt sich die deutsche Regierung in staatliche­r Beteiligun­gspolitik nach französisc­hem Zuschnitt. Das prominente­ste Beispiel dafür ist die 23-Prozent-Beteiligun­g des Bundes am deutschen Impfstoffh­ersteller Curevac. Als im Frühling Gerüchte umgingen, US-Präsident Donald Trump wolle Curevac mit Milliarden­beträgen in die Vereinigte­n Staaten locken, ließ Wirtschaft­sminister Peter Altmeier in Windeseile rund 300 Millionen Euro für die Curevac-Aktien springen. Von einem raschen Verkauf ist in den nächsten Jahren nicht auszugehen.

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[ Reuters/Leon Kuegeler] Zuckerstan­gen und Glasur: Ein Dortmunder Bäckermeis­ter nahm sich Impfdosen zum Motiv für eine Kreation.

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