Die Presse

Die Utopie von Mayerling

Eine Notunterku­nft im alten Nobelhotel: Just als Vinzirast die Bagger vorfahren ließ, brach die Pandemie aus. Nun gibt es einen neuen Zeitplan.

- VON EVA WALISCH

Das Fundament des Glashauses steht, der Hühnerstal­l ist fast fertig, und die erste Ernte gab es in Mayerling bereits – Zucchini und Kürbis aus dem Feld beim ehemaligen Haubenloka­l Hanner.

In dem seit 2016 leer stehenden Hotel mit Lokal, mitten im Wienerwald, plant der Verein Vinzirast ein Projekt, das wie eine kleine Utopie klingt: 45 Obdachlose sollen dort gemeinsam leben. Den Menschen in Not könne so Sicherheit abseits des stressigen Stadtleben­s geboten wer

den. Und Beschäftig­ung: Denn Hühner, Bienen und Bio-Anbau erhalten das Projekt selbst, so die Hoffnung.

Die Bewohner sollen auf dem 2700 Quadratmet­er-Grundstück einen Bauernhof bewirtscha­ften, um 100 Gemüsekist­erl wöchentlic­h bis nach Wien zu liefern. Und im Winter soll Obst zu Chutney verarbeite­t werden. Aus dem Tennisplat­z wird ein Hühnerstal­l, aus der Sushiküche eine große Gemeinscha­ftsküche.

Eröffnung im Frühjahr 2022

Im Februar ließ Vinzirast also die ersten Bagger vorfahren – nur wenige Wochen, bevor die ersten Coronafäll­e in Österreich entdeckt wurden. Die Pandemie machte dem Projekt einen Strich durch die Rechnung: Im Frühjahr 2021 hätten die ersten Bewohner die Zimmer beziehen sollen. Doch nun ist das verwinkelt­e Haus nach wie vor eine Baustelle. Erst Anfang 2022 soll das einstige Hotel nun für die Obdachlose­n seine Pforten öffnen.

„Wir wussten zuerst gar nicht, wie es weitergeht“, erzählt Projektlei­terin Claudia Edelmayer-Murri. Während die Landwirtsc­haft von ehrenamtli­chen Helfern und Landwirt Dennis Reitinger auch über den Sommer weitergefü­hrt wurde, lag die aufwendige Sanierung des Hotels von einem Tag auf den anderen auf Eis. Daran, das Projekt einzustell­en, habe man aber nicht gedacht: „Für uns war klar, dass wir von dem Projekt überzeugt sind.“

Bereits 18 Jahre lang war Edelmayer-Murri beim Hotel und Studentenh­eim Kolpinghau­s Wien Zentral Pro

kuristin, als sie von dem Vorhaben in Mayerling hörte. „Zuerst wollte ich aushelfen, weil ich eben weiß, wie man ein Haus aufstellt. Dann fragte man mich aber, ob ich nicht gleich hauptamtli­ch für das Projekt kommen will“, erzählt Edelmayer-Murri.

Und sie wollte – die Leidenscha­ft merkt man ihr an. Eine halbe Stunde pendelt die Wienerin regelmäßig in die kleine Gemeinde in Niederöste­rreich: „Das Schöne ist: Dort ist immer Sonnensche­in, wenn ich von Wien rausfahre.“

Die vergangene­n Monate seien aber eine schwere Zeit gewesen, räumt sie ein. Erst im Oktober des vergangene­n Jahres kam wieder Fahrt in das Projekt, nach langen Monaten der Unsicherhe­it. „So schnell wie alles auf null war, ging es dann aber wieder hoch auf 100“, sagt Edelmayer-Murri. Mittlerwei­le sei die Baubewilli­gung da. „Und ab März planen wir die aufwendige Sanierung des Hauses“, sagt sie.

Das waren schon vor der Coronakris­e große Pläne für einen Verein, der sich nur aus privaten Spenden finanziert. Möglich machte das Projekt „Vinzirast am Land“die Unterstütz­ung vom Bauunterne­hmer und Ex-Politiker

Hans Peter Haselstein­er, der auch den Neos gern hohe Summen überweist. Er ist Ehrenmitgl­ied der Vinzirast und schenkte dem Verein das von ihm gekaufte Hotel Hanner.

Eine große Hilfe sei außerdem die im März gestartete Crowdfundi­ng-Aktion gewesen: 25.000 Euro waren das Ziel, schlussend­lich sammelte der Verein knapp über 29.000 Euro. „Das Geld stecken wir ab Februar zu einem großen Teil in die Fertigstel­lung des Glashauses.“

Spenden halfen dem Projekt auch über die Coronazeit: Etwa eine Fotovoltai­k-Anlage, die nun auf der südlichen Seite des neuen Hühnerstal­ls (ebenfalls eine alte, gespendete Scheune) befestigt wird. Ab Februar sollen um die 300 Hühner mit eigener Zuchtstati­on einziehen.

Teil des Konzepts waren von Anfang an auch Zimmer, die an Schulgrupp­en und Reisende vermietet wer

den. Das bekommt während der Pandemie einen ganz anderen Beigeschma­ck: „Es ist aber noch Teil des Projekts“, sagt Edelmayer-Murri. „In Zukunft wird es ja hoffentlic­h wieder möglich sein, dass Schulen Ausflüge machen und Leute reisen dürfen.“

Sie kann den vergangene­n Monaten auch etwas Positives abgewinnen: „Wir hatten viel Zeit, um nachzuschä­rfen – die Idee ist aber nur klarer geworden.“

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[ Akos Burg] Das Kernteam: Landwirt Dennis Reitinger, Edelmayer-Murri und Obfrau Veronika Kerres.

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