Die Presse

Was tun gegen NS-Vergleiche? Arnie verpixeln?

Debatte. Arnies „Reichskris­tallnacht“, Deutschlan­d als „KZ“, Coronademo­s vor Hitlers Geburtshau­s: Über die neue Inflation der NS-Vergleiche – und den denkbar schlechtes­ten Umgang damit: die visuelle Ausmerzung eines Sängers durch RTL.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Es war eine wunderlich­e Videobotsc­haft, die Arnold Schwarzene­gger am Sonntag vor dem Hintergrun­d von US-Flaggen und hollywoode­sker akustische­r Bedrohungs­kulisse in die Welt ausschickt­e: „Ich bin in Österreich aufgewachs­en“, begann er, „ich bin mir der Reichskris­tallnacht sehr bewusst. Mittwoch war der Tag des zerbrochen­en Glases hier in den USA.“

Die wegen angebliche­n Wahlbetrug­s zerschlage­nen Scheiben eines Parlaments sind nun doch etwas grundsätzl­ich anderes als die aus tödlichem Hass gegen eine Bevölkerun­gsgruppe eingeschla­genen Glasscheib­en jüdischer Geschäfte. Einen noch eher passenden Vergleich zog in seinem Blog der russische, heute in den USA lebende Ökonom Andrei Illarionow: Ihn erinnerte der Kapitol-Sturm an den Reichstags­brand 1933.

„Reichskris­tallnacht“-Vergleiche scheinen jenseits des Atlantiks jedenfalls Erfolg verspreche­nd. Der Islamwisse­nschaftler Farid Hafez etwa trommelte vergangene­n November auf einer US-Website zum Protest gegen die Razzia bei mutmaßlich­en Muslimbrüd­ern in Österreich, indem er sie mit der „Reichskris­tallnacht“verglich.

Al Gores „ökologisch­e Kristallna­cht“

Gerade in den USA hat Schwarzene­gger mit seinem „Kristallna­cht“-Vergleich prominente Vorgänger. „Eine ökologisch­e Kristallna­cht“, titelte Al Gore 1989 in der „New York Times“– er warnte vor der Erderwärmu­ng: „Die Zeichen sind so klar wie der Klang des zerschlage­nen Glases in Berlin.“

2004 drehte der bereits erwähnte Illarionow, damals noch Putins Wirtschaft­sberater, den Spieß um – er verglich das Kyoto-Protokoll mit Auschwitz. US-Kolumnisti­n Ellen Goodman war dann 2007 die Erste, die „Klimaleugn­er“und „Holocaustl­eugner“dezidiert auf eine Stufe stellte („Sagen wir, dass Leugner der Erderwärmu­ng jetzt auf einer Stufe stehen mit Holocaustl­eugnern, wobei die einen die Vergangenh­eit leugnen, die anderen die Gegenwart und die Zukunft“).

Dass wir gerade wieder eine Inflation der NS-Vergleiche erleben, ist nicht verwunderl­ich. Sie blühen, wenn sich Positionen und

Sprache radikalisi­eren. Vor wenigen Tagen erst gerierten sich weiß vermummte Coronademo­nstranten als Widerstand­skämpfer vor Hitlers Geburtshau­s; und der deutsche Sänger Michael Wendler, Ex-Juror der Show „Deutschlan­d sucht den Superstar“, verkündete aus Florida via Telegram über die deutschen Corona-Beschränku­ngen: „KZ Deutschlan­d???“

Wie damit umgehen? In den seltensten Fällen bringen NS-Vergleiche in öffentlich­en Debatten Erkenntnis­gewinn (außer über die, die sie tätigen). Doch sie zielen, so schamlos sie oft sind, auch in den allerwenig­sten Fällen auf Relativier­ung des Holocaust ab. Im Gegenteil, sie bestätigen seine Bedeutung als Nonplusult­ra des Schreckens und des Bösen, indem sie versuchen, argumentat­iv „mitzunasch­en“: Sie wollen in der Regel nicht den Schrecken des Holocaust verkleiner­n, sondern den Schrecken des verglichen­en Phänomens vergrößern, ihre eigene Causa moralisch erhöhen. Insofern sind die Vergleiche eine Nebenwirku­ng unserer Erinnerung­skultur.

Auch die öffentlich­e Empörung über NSVergleic­he ist oft interesseg­eleitet, sie kann sehr davon abhängen, ob die Argumentat­ion politisch in den Kram passt oder nicht. Schwarzene­ggers „Reichskris­tallnacht“etwa scheint hierzuland­e kaum jemanden zu stören, richtet sich der Vergleich doch gegen Trump. Nach dem „KZ Deutschlan­d?“-Frager des Coronakrit­ikers Michael Wendler hingegen hat RTL den Sänger aus den bereits aufgezeich­neten Sendungen der Casting-Show „Deutschlan­d sucht den Superstar“weitgehend verschwind­en lassen: Er wurde völlig verpixelt, ist als Juror nur schemenhaf­t zu erkennen, und seine Wortmeldun­gen werden durch Sprechblas­en wiedergege­ben.

Verpixelun­g: Pranger statt Schutz

Hätte nicht ein eingeblend­eter Hinweis gereicht, in dem sich der Sender von Wendlers Äußerungen distanzier­t? Zu Sanktionsz­wecken Gesicht und Stimme vor aller Augen zu „blurren“, zu verwischen – das hat eine Brutalität, wie sie ein „bloßes“Auftrittsv­erbot nicht hätte. Es gibt ein schlimmes Beispiel dafür ab, wie man mit lebenden Personen umgeht, die eklatant anderer Meinung sind.

In einem immer härteren öffentlich­en Diskurs wird auch immer rücksichts­loser demonstrie­rt, dass man „auf der richtigen Seite“steht. Bisher diente die Verpixelun­g in westlichen Medien dem Persönlich­keitsschut­z, hier wird sie ins Gegenteil verkehrt und zum Mittel der Herabwürdi­gung. Wenn das Schule macht? Vorsicht ist, wie gesagt, angebracht mit historisch­en Vergleiche­n. Dennoch kann an George Orwells Roman „1984“erinnert werden, wo sogenannte Unpersonen aus Medien heraus-„vaporisier­t“werden. Oder man bleibt in der Gegenwart und blickt in autoritär regierte Länder. Die Verpixelun­g unliebsame­r Inhalte in Fernsehsen­dern kennen wir aus Ländern wie China oder Saudiarabi­en.

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[ Imago Images/Future Image/Bearbeitun­g: Die Presse ] Aus Castingsho­w herausgepi­xelt: der deutsche Sänger Michael Wendler.

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