Die Presse

Nun ist München auf Rattle stolz

Klassik. Das Symphonieo­rchester des Bayerische­n Rundfunks hat sich erneut einen „großen Namen“als Chefdirige­nten gesichert: Sir Simon Rattle folgt auf Mariss Jansons.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Seit dem Tod des Publikumsl­ieblings Mariss Jansons gab es hinter den Kulissen heftige Bemühungen vonseiten einiger Dirigenten, den begehrten Posten des musikalisc­hen Leiters des Symphonieo­rchesters des Bayerische­n Rundfunks (in der Branche kurz: SOBR) zu erlangen. Dieses Amt ist begehrt, nicht nur weil es wie alle Münchner Kulturposi­tionen besonders gut dotiert ist, sondern weil es viele Möglichkei­ten medialer Präsenz und Verwertung der künstleris­chen Tätigkeit bietet.

Nicht zuletzt das hat Jansons seinerzeit dazu bewogen, sich für München zu entscheide­n. Damals musste er wegen chronische­r Arbeitsübe­rlastung zwischen zwei Orchestern wählen, die ihn beide als Chefdirige­nten behalten wollten. Das renommiert­e Amsterdame­r Concertgeb­ouw-Orchester unterlag in diesem Wettstreit. Jansons wählte das SOBR, das in Zeiten der Teilung Deutschlan­ds als einzige Konkurrenz galt, vor der sich die Berliner Philharmon­iker zu fürchten hatten.

Seit dem Fall der Mauer spielen zwar auch die Traditions­orchester aus Leipzig und Dresden wieder im großen internatio­nalen Konzert mit. Aber die Bayern gehören nach wie vor zur den Besten. Das liegt auch daran, das sie seit ihrer Gründung von einer im Münchner Musikleben konkurrenz­los luxuriösen Führungsel­ite geprägt wurden: Auf den ersten Chefdirige­nten, Eugen Jochum, folgten Rafael Kubel´ık, Colin Davis und Lorin Maazel, allesamt bedeutende Erzieher von Orchestern.

Dank seiner Stellung als Rundfunk-Ensemble war das SOBR von Anfang an in den Medien präsent – und konnte in den Studios auch unter besten Bedingunge­n Aufnahmen machen. Vor allem unter Kubel´ıks Führung realisiert­e man legendäre Großprojek­te wie die Gesamtaufn­ahme der Symphonien Gustav Mahlers. Ihr kam nur Leonard Bernsteins New Yorker Pioniertat zuvor (wobei Kenner Kubel´ıks musikantis­chen Zugang zu dieser Musik besonders schätzen und die Münchner Aufnahme daher für viele bis heute als erste Wahl gilt).

Engagement für die Moderne

Doch schloss das SOBR von Anfang an auch an die von Karl Amadeus Hartmann begründete Tradition der Aufführung­en Neuer Musik an. „Musica viva“, wie der Zyklus hieß, brachte die Cr`eme de la Cr`eme der damaligen Komponiste­n an das Dirigenten­pult: Igor Strawinsky dirigierte seine eigenen Werke ebenso wie Paul Hindemith und Hans Werner Henze.

Aber auch die „Fortschrit­tspartei“war mit Pierre Boulez, Karlheinz Stockhause­n und Mauricio Kagel vertreten. Kubel´ık selbst engagierte sich für die Musik seiner Landsleute Martinu und Jana´cek,ˇ aber auch für Karl Amadeus Hartmanns Symphonien.

Die Ära des großen Maestros dauerte beinah zwei Jahrzehnte lang. Nirgendwo hat es der Heißsporn auch nur annähernd so lang ausgehalte­n wie in München. Kubel´ıks Nachfolger sollte mit Kirill Kondraschi­n einer der prägenden russischen Dirigenten jener Epoche werden. Doch er starb in der Vorbereitu­ngsphase. Nach der Schrecksta­rre, während derer man auf Gastdirige­nten setzte, kam mit Colin Davis ein unaufgereg­t effektiver Maestro an das Pult, der vor allem die Kompetenz eines großen Symphonieo­rchesters bei der Interpreta­tion klassische­r Musik in Zeiten der aufkeimend­en Originalkl­ang-Debatte überzeugen­d und mit Traditions­bewusstsei­n zu pflegen verstand.

Lorin Maazel sicherte dem Orchester danach verstärkt internatio­nale Aufmerksam­keit. Er führte die Bayern unter anderem erstmals zu den Salzburger Festspiele­n und begann mit einer verstärkte­n Videodokum­entation des klassische­n und romantisch­en Repertoire­s.

Hier konnte Mariss Jansons ansetzen. Von der weltweiten Aufmerksam­keit und den großzügige­n medialen Möglichkei­ten wird auch Sir Simon Rattle profitiere­n, der – wie „Die Presse“bereits gemeldet hat – für die kommenden fünf Spielzeite­n zum Chefdirige­nten gekürt worden ist. Er hat das SOBR 2010 zum ersten Mal dirigiert und zuletzt Großprojek­te wie Aufführung­en und Aufnahmen von Wagners „Rheingold“und „Die Walküre“mit dem Orchester realisiert.

Seine Zuneigung zu den Münchner Musikern datiert aber bereits aus seinen Teenagerja­hren: Das Gastspiel des SOBR unter Rafael Kubel´ık mit Beethovens Neunter in Liverpool bezeichnet­e Rattle als ein Schlüssele­rlebnis „für einen jungen Mann, der sich in den Kopf gesetzt hatte, Dirigent zu werden“.

Nun dirigiert der ehemalige Chef der Berliner Philharmon­iker neben seiner Tätigkeit als Leiter des London Symphony Orchestra also auch jenes Orchester, dessen Auftritt er einst als so inspiriere­nd empfunden hat.

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[ Getty Images ] Nach Chefpositi­onen in Birmingham, Berlin und London wechselt Sir Simon Rattle für fünf Jahre nach München.

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